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"Ich bin das gute Gewissen der Game-Industrie"

Heute Redaktion
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Kate Edwards sorgt dafür, dass Gamedesigner nicht laufend in interkulturelle Fettnäpfchen treten. Sie musste auch schon nach Riad reisen, um sich zu entschuldigen.

Sie könnte endlos erzählen. Zum Beispiel, wie sie ein Game stoppte, das schon mehrere Monate in Arbeit war. Oder wie sie nach Saudi-Arabien reiste, um sich im Namen von Microsoft zu entschuldigen. Oder generell davon, in welche Fettnäpfchen Game-Entwickler möglicherweise treten, wenn sie ihr Werk in einem anderen Land verkaufen wollen. Kate Edwards berät Entwickler, wenn es um kulturelle Tretminen geht – sie sei weltweit eine der wenigen, die sich diesem Thema widmen.

Kate Edwards ist ein Urgestein der Game-Branche. Seit 26 Jahren arbeitet sie in der Industrie und hat wohl schon die meisten Fauxpas gesehen, die Designern in interkulturellen Fragen unterlaufen können. Die studierte Geografin aus Seattle überprüft Games auf Herz und Nieren und macht sich auf die Suche nach problematischen Stellen, die sauer aufstoßen können – Gesten, die in einem Land als Beleidigung gelten, Symbole, Darstellungen oder Texte, die als respektlos wahrgenommen werden, oder geografische Ungeschicklichkeiten, wenn es um Landesgrenzen, Gebietsansprüche und Geschichte geht.

Heilige Kühe und das Gesetz

Als Beispiel nennt sie das Strategiespiel "Age of Empires". Darin gebe es eine mittelalterliche Szene, in der Korea von Japan eingenommen wird. Da Korea diese Version nicht akzeptiert, kehrten die Entwickler die Ereignisse für die koreanische Ausgabe um: Hier fielen die Koreaner in Japan ein. "Wir veränderten im Spiel die Geschichte", sagt Edwards. Spieler hätten bestimmte Erwartungen, die abhängig von ihrer Wahrnehmung, Erziehung und Kultur seien. Stimmt das Game nicht mit diesen überein, kann dies Spielern sauer aufstoßen. Bisweilen verletzt es auch das Gesetz.

So fast geschehen bei Bethesda im Spiel "Fallout 4". Im Spiel kommt ein doppelköpfiger Brahman-Bulle vor. Die Brahman-Kuh ist im Hinduismus aber ein heiliges Wesen, die Darstellung des Bullen hätte gegen das lokale Gesetz verstoßen. Statt das Tier zu ändern, entschloss sich Bethesda, das Spiel in Indien nicht zu verkaufen.

"Meine persönliche Meinung: Das Level hätte man nicht bringen dürfen"

Zur Entschuldigung nach Riad

Eine solche Entscheidung verhindert jedoch nicht, dass ein Game in die falschen Hände gerät. Edwards erzählt, wie sie im ultrabrutalen Xbox-Prügelspiel "Kakuto Chojin: Back Alley Brutal" auf eine Audiospur stieß, die nach Arabisch klang. Sie fand heraus, dass es sich um eine Rezitation des Korans handelte und wies Microsoft auf das Problem hin. Da bereits 70.000 Exemplare des Spiels produziert worden waren, entschied sich Microsoft, es nur in den USA zu veröffentlichen – wo ein Exemplar prompt den Weg in die saudi-arabische Botschaft fand und für einen Sturm der Entrüstung sorgte. In der Folge musste Edwards nach Riad fliegen, um sich in Namen des Konzerns zu entschuldigen. "Dies war mit ein Grund, wieso Microsoft eine von mir vorgeschlagene Review-Prozedur ins Leben rief", sagt sie.

Je näher sich ein Spiel an die Realität anlehne, desto heikler sei es, weiß Edwards. Auch Entwickler von Fantasiespielen sind nicht vor einem Lapsus sicher. Im Sci-Fi-Shooter "Halo 2" sollte als Feind ein Prophet der Wahrheit namens Dervish auftreten. Die Bezeichnung "Prophet der Wahrheit" wird aber auch dem muslimischen Propheten Mohammed zugeschrieben und Derwische sind religiöse Figuren des Sufi-Islam. Weil das Spiel nach 9/11 erschien und der Master Chief die Feinde bis aufs Blut bekämpft, hätte der Fantasy-Krieg auch als Rache der Amerikaner an den Muslimen interpretiert werden können. Nachdem Kate Edwards auf das Problem hingewiesen hatte, änderten die Entwickler den Namen der Game-Figur in Arbiter.

Große Kundschaft

Die Bedingung für ihren Job sei einerseits ein breites Wissen. Sie reise viel, habe eine sehr große Neugier für fremde Kulturen und ein tiefes Bedürfnis nach Harmonie. Es geht aber auch ums Geschäft: "Nur wenn wir zeigen, dass wir den zusätzlichen Aufwand leisten und uns um die Anliegen der Gamer kümmern, werden wir ernst genommen."

Kate Edwards gehört zu den gefragtesten Experten in diesem Bereich und die Firmen hören auf sie. Zu ihren Kunden gehört beispielsweise Bioware. Fürs kommende Sci-Fi-Game "Anthem" habe sie tonnenweise Material gesichtet. "Ich bin das Gewissen", sagt sie schmunzelnd.

Nicht immer sei sie aber mit den Entscheidungen einverstanden. So war sie in die Diskussion zu "Call of Duty: Modern Warfare 2" involviert, als es um die brutale Eröffnungsszene auf dem russischen Flughafen ging, in der Spieler Zivilisten abschießen müssen. "Meine persönliche Meinung? Das Level hätte man nicht bringen dürfen", sagt Edwards. Trotzdem wurde es veröffentlicht – und löste prompt einen Aufschrei aus.