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"In Zukunft ist jedes fünfte Kind handysüchtig"

Jochen Mutschler ist Chefarzt an der Privatklinik Meiringen und erklärt, warum die Handysucht lebensbedrohlich sein kann.

Heute Redaktion
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Die Nebenwirkungen der Digitalen Revolution: Jedes fünfte Kind soll in Zukunft handysüchtig sein. Ein Experte warnt.
Die Nebenwirkungen der Digitalen Revolution: Jedes fünfte Kind soll in Zukunft handysüchtig sein. Ein Experte warnt.
Bild: iStock

Herr Mutschler, wie viele Menschen leiden an einer Handysucht?

Die Erforschung der Verhaltenssüchte steckt noch in den Kinderschuhen. Lange wurden sie nicht so ernst genommen wie die Drogen- oder Alkoholsucht. Darum gibt es noch keine konkreten Zahlen.

Und was ist mit der Sucht nach Social Media?

Auch hier gibt es keine guten Zahlen. Denn sie gilt nicht als Krankheit.

Ist das für die Betroffenen nicht fatal?

Doch, das ist sehr problematisch. Wer ist schon gern krank, erhält aber keine Diagnose? In Zukunft wird aber wahrscheinlich auch die Social-Media-Sucht als Krankheit anerkannt werden. Hilfe bekommt man aber bereits heute.

Was war ihr krassester Fall?

Ein Patient war so stark süchtig nach Handyspielen, dass er dafür monatlich 2000 Euro ausgab.

"Grundsätzlich ist keine Heilung möglich."

Wie konnten Sie ihn heilen?

Grundsätzlich ist keine Heilung möglich. Ein Süchtiger bleibt süchtig. In der Therapie lernen die Patienten aber, eigene Ziele zu definieren. Also, dass man zum Beispiel jeden Monat eine Stunde weniger lang am Handy verbringt. Der Therapeut unterstützt den Patienten dabei, indem er die Eigenmotivation stärkt.

Was kann sonst noch helfen?

Für die Nacht empfiehlt es sich, das Handy einzuschließen oder es auszuschalten. Zudem müssen die Betroffenen lernen, wie sie mit dem starken Suchtverlangen umgehen. Oft hilft Sport, eine kalte Dusche oder eine Massage mit einem Igelball. Wichtig ist aber auch, dass das Verlangen einfach mal ausgehalten wird.

Ein Alkoholiker kann auf den Alkohol verzichten. Was aber machen Handysüchtige?

In unserer Gesellschaft ist es kaum möglich, ohne Handy zu leben. Social-Media-Süchtige sollten entsprechende Apps löschen und Gaming-Süchtige die Spiele. Denn eine eigentliche Handysucht gibt es nicht. Das Smartphone ist lediglich das Medium für verschiedenen Verhaltenssüchte.

Warum wird man überhaupt süchtig nach Games oder Social Media?

Am Anfang gibt es einen positiven Kick, wenn ich auf Instagram Likes erhalte oder im Online-Game ein Level weiter komme. Bald darauf wird es zum Zwang, weiterzumachen. Ansonsten treten Entzugserscheinungen auf.

"Instagram nimmt es bewusst in Kauf, dass die Benutzer süchtig werden."

Nehmen die Betreiber von Games und Apps bewusst in Kauf, dass die Benutzer süchtig werden?

Auf jeden Fall. Gerade Instagram und Snapchat sind solche Kandidaten.

Warum sind digitale Süchte überhaupt gefährlich?

Weil Betroffene im schlimmsten Fall daran sterben können.

Wie?

Gerade beim Gaming vergessen stark Betroffene zu essen und können verhungern. Aber auch bei den anderen digitalen Süchten sind die Folgen schwer: Es können Depressionen auftreten. Diese wiederum verstärken den sozialen Rückzug. Oft verlieren Betroffene dann auch ihre Arbeit, weil sie unkonzentrierter sind.

Gibt es genug Hilfe?

Im Bereich der Verhaltenssüchte gibt es eine Unterversorgung. In Zukunft werden wohl 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von einer Handy- oder anderen Verhaltenssucht betroffen sein.

Was fordern Sie?

Lehrer müssen die Schüler für das Thema Medienkonsum sensibilisieren. Zudem brauchen die Eltern mehr Informationen. Diese sind oft überfordert und wissen nicht, ab wann das Handyverhalten ihrer Kinder problematisch ist.

Wie erkennt man eine Handysucht?

Die verbrachte Zeit mit dem Handy ist nicht ausschlaggebend. Wenn sich aber die Schulnoten verschlechtern oder das Einschlafen zum Problem wird, kann das auf ein Suchtverhalten hinweisen.

Wie effektiv sind Zeiteinschränkungen mittels Apps auf dem Handy?

Als Prävention ist dies sehr sinnvoll. Auch handyfreie Zeiten oder Tage befürworte ich.

Wer ist am anfälligsten für eine Handysucht?

Kinder und Jugendliche. Heute verbringen sie bis zu drei Stunden täglich im Internet.

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