Politik

"Pflege in Österreich ist Armutsfalle"

Die IG-Pflege fordert kostenlose Beratung für Angehörige, die unter psychischer Belastung ihre Liebsten pflegen.

Heute Redaktion
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Bild: Fotolia

Aufhorchen ließ Ex-Rechnungshof-Präsident Josef Moser am Dienstag auf Ö1, als er sagte, dass die letzte Woche vom Rechnungshof angeprangerten Missstände seit 2014 bekannt seien und eine eigene Arbeitsgruppe damals eingeführt wurde. Getan habe sich seitdem so gut wie nichts.

Tatsache ist: In Österreich werden 84 Prozent aller Pflegegeldbezieher – rund 380.000 Menschen – zu Hause betreut. Ihre Angehörigen sind der größte "Pflegedienst" des Landes und brauchen mehr Unterstützung.

Pflege als Armutsfalle

Am 12. Mai ist internationaler Tag der Pflege. Hunderttausende Österreicher betreuen Tag für Tag Menschen in ihrem engsten Lebensumfeld und setzen dabei ihr eigenes Wohl aufs Spiel. Pflegende Angehörige stellen oft ihre eigenen Interessen zurück und versuchen, ohne Hilfe zurecht zu kommen. "Weil viele weniger arbeiten, um pflegen und betreuen zu können, kann das zu einem echten Armutsproblem werden", warnt Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger (IG-Pflege). Der gemeinnützige Verein setzt sich für die Interessen pflegender Angehöriger ein. Die meisten von ihnen sind über 60 Jahre alt, es sind aber auch junge Menschen und Kinder darunter.

Pflegesituation in Österreich
Langzeitpflege:
Pflegegeld-Bezieher:
Rund 455.000 Anspruchsberechtigte
Davon werden etwa 84 % zu Hause versorgt
ca. 16 % in Heimen
ca. 39 % der Pflegegeldbezieher, die zu Hause leben, leben alleine
von den 39 % allein lebenden Pflegegeldbeziehern beziehen rund 58 % Pflegegeld der Stufe 1 und 2
ca. 46 % werden ausschließlich durch Angehörige versorgt
ca. 31 % mit Hilfe von mobilen Diensten
ca. 5 % mit Hilfe der 24-Stunden-Betreuung
ca. 1-2 % in teilstationären Einrichtungen
(Quelle: Pflegedienstleistungsstatistik, Pflegegeldinformation

Menschen im häuslichen Umfeld:
Durchschnittsalter der Pflegegeldbezieher:
Frauen 78,08 Jahre
Männer 73,13 Jahre
Durchschnittsalter der pflegenden Angehörigen:
Frauen 61,60 Jahre
Männer 66,19 Jahre
Welche Angehörigen pflegen?
ca. 24 % Töchter
ca. 18 % Partner, Ehe-Partner
ca. 18 % Söhne
ca. 8 % Schwiegertöchter,
Berufstätigkeit der pflegenden Angehörigen (Hauptbetreuungspersonen):
11,82 % sind vollzeitbeschäftigt
11,32 % sind teilzeitbeschäftigt
4,34 % sind selbstständig
10,37 % der pflegenden Angehörigen haben ihre Berufstätigkeit reduziert oder aufgegeben.

„Pflegende Angehörige brauchen vor allem einen guten und raschen Zugang zu Unterstützungsangeboten", sagt Meinhard-Schiebel. Die IG-Pflege fordert kostenlose Beratung für sie. „Diese müsste aber bereits im Krankenhaus beginnen, um die häusliche Pflege bestmöglich zu gewährleisten. Dazu gehören auch Entlastungs-Möglichkeiten, um geistige und körperliche Beeinträchtigungen zu vermeiden."

Psychische Belastung

Etwa 62 Prozent der pflegenden Angehörigen empfinden derzeit ihre Verantwortung als psychische Belastung. 47 Prozent machen sich laut Daten des Kompetenzzentrums Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege Sorgen oder haben Angst. 44 Prozent gaben an, sich einschränken und auf Dinge verzichten zu müssen. Die Zahl der zu Pflegenden steigt indessen. Die Gruppe der über 80-jährigen wird von 2015 bis 2030 um über 47 Prozent zunehmen. Die Menschen leben länger und leiden oft an mehreren Krankheiten gleichzeitig: Dadurch wird auch der Pflege- und Betreuungsbedarf komplexer.

"Es ist Zeit zu handeln", sagt Meinhard-Schiebel. "Und wer beim Thema Pflege etwas erreichen will, muss bei den pflegenden Angehörigen und Zugehörigen ansetzen, die mehr Unterstützung brauchen. Unsere Aufgabe ist es, überall für sie einzutreten, wo sie es selbst nicht tun können. Die IG-Pflege steht als Anlaufstelle und Lotse durch das System zur Verfügung." Auch das BürgerInnenservice des Sozialministeriums biete wertvolle Hilfe an.

(jem)