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"Reisen darf kein Billigprodukt sein"

Weshalb die Corona-Krise die Sonnen- und Schattenseiten des Tourismus aufzeigt: Ein Experte für nachhaltiges Reisen erklärt die Zusammenhänge.

Heute Redaktion
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Ein menschenleerer Sandstrand auf den Philippinen. In normalen Zeiten ein Ort der Sehnsucht, aktuell schaut's weltweit überall so aus.
Ein menschenleerer Sandstrand auf den Philippinen. In normalen Zeiten ein Ort der Sehnsucht, aktuell schaut's weltweit überall so aus.
Bild: iStock

Für Jon Andrea Florin ist klar: Eine Bio-Gurke ist aromatischer und ein fair gehandelter Kaffee gibt ein besseres Gefühl. Was fürs Essen gilt, gilt bei ihm auch fürs Reisen. Reisenden zu nachklingenden Erinnerungen, Tourismus-Anbietenden zu anhaltenden Geschäften und unserer Welt zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen, dafür setzt er sich als Geschäftsführer des Vereins Fair unterwegs - Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung mit Sitz in Basel ein.

Herr Florin, der Tourismus steht weltweit still. Derweil erholen sich die Gewässer in Venedig und es wird weniger geflogen. Ist die Corona-Krise wie ein Spiegel, der aufzeigt, welche Schäden der Tourismus weltweit anrichtete?

Nein, denn es wäre ein Zerrspiegel. Die aktuelle Krise sagt nichts über die sozialen und kulturellen Schäden aus, die der Tourismus anrichtet. Sie zeigt uns nur die Umweltschäden auf.

Der World Travel & Tourism Council rechnet vor, dass durch die Corona-Krise weltweit 50 Millionen Jobs auf dem Spiel stehen.

Genau deshalb sollten wir den Tourismus neu denken. Damit die Tourismusgebiete solchen Schocks gegenüber widerstandsfähiger werden. Denn die Tourismusbranche ist extrem krisenanfällig.

Hinter den Zahlen stehen Menschen. Was bedeutet die aktuelle Krise für den Streetfood-Verkäufer in Bali oder den Wanderführer in Peru?

Diese Menschen trifft es hart. Es sind Menschen, die einst Arbeit in den Tourismusorten suchten – und nun vor dem Nichts stehen.

Eine finanzielle Unterstützung gibt es in solchen Ländern nicht?

Es gibt Beispiele von verantwortungsbewussten Reiseveranstaltern, die versuchen, Partnern vor Ort mindestens die Hälfte des Lohns – sozusagen ein freiwilliges Kurzarbeitsgeld – zu bezahlen. Aber das sind Ausnahmen.

Man sprach in letzter Zeit oft von den negativen Auswirkungen des Tourismus. Wird durch die Corona-Krise nun deutlich, wo der Tourismus durchaus eine Stütze darstellte, für Jobs und Wohlstand sorgte?

Die Frage ist, von welchem Tourismus wir sprechen. Sonst könnten wir auch sagen, dass die Bekleidungsindustrie die Stütze der armen Bevölkerung ist, obwohl diese Menschen die Modeartikel oft unter miserabelsten Bedingungen herstellen.

Wie sähe denn Ihrer Meinung nach Tourismus aus, der sozial und ökologisch vertretbar wäre?

Er wäre sicher weniger abhängig von globalem Kapital. Dieses neigt dazu, das Geld aus einer Region rauszuziehen und an die Aktionäre zu verteilen. Die Wertschöpfung aus ärmeren Ländern endet in den Taschen der Wohlhabenden.

Wie sehen Sie die Auswirkungen von Maßentourismus?

Maßentourismus ist einer der entscheidenden Gründe, weshalb die Tourismusbranche derart verletzlich ist. Maßentourismus bedeutet: Eine große Maße reist für einen tiefen Preis und verursacht hohe soziale, ökologische und kulturelle Nebenkosten, die nirgends eingerechnet sind. Kosten, die wir als Allgemeinheit zu tragen haben.

Inwiefern würde denn ein nachhaltiger Tourismus, wie Sie ihn sich vorstellen, die Branche krisensicherer machen?

Er wäre regionaler verankert. Chinesische Touristen würden nach Laos reisen, wir Schweizer nach Frankreich. Bei einer globalen Krise würden sich einzelne Regionen schneller erholen.

Reisen würde teurer und dadurch auch für viele unerschwinglich werden.

Es ist wie bei der Wegwerfmode: Reisen darf kein Billigprodukt sein. Wenn Reisen teurer ist, heißt das nicht, dass es unerschwinglich wird. Sondern, dass man etwas weniger oft und weniger weit weg verreist. Es sorgt gleichzeitig für nachhaltigere Erinnerungen, spannendere Eindrücke und Begegnungen mit Menschen, die der Maßentourist nie in diesem Ausmaß erfährt.

In der Corona-Krise markiert die Politik eine hohe Präsenz. Müsste sie beim Thema nachhaltiger Tourismus auch mehr Verantwortung übernehmen?

Es wäre wünschenswert. Die Politik müsste darauf achten, dass die involvierten Arbeitskräfte in der Hotellerie und Gastronomie einen existenzsichernden Lohn erhalten. Die Politik kann insofern Einfluss nehmen, als sie Investitionen im Ausland mit Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsstandards verknüpft. Es müsste eine globale Bewegung geben, deren Anliegen es ist, dass höhere Standards im Tourismus eingehalten werden. Und wahrscheinlich müsste eine solche nicht nur aus der Politik, sondern vor allem von den Reisenden selber kommen. Dies unter Mithilfe der Reiseanbieter, die hier genauso in der Pflicht stehen.

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