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"Wir brauchen eine Second-Hand-Revolution"

Acht Jahre lang arbeitete eine Schweizer Stylistin für einen Fast-Fashion-Riesen. Heute betreibt sie einen eigenen Shop und setzt auf Secondhand.

Heute Redaktion
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Tanja, wann warst du das letzte Mal shoppen? Im Juni. Da hab ich mir bei Mango im Sale zwei Leinenkleider gekauft. Danach hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Wieso das? Weil ich gar keine neuen Sommerkleider gebraucht hätte. Ich finde es schlimm, dass sich Kleider zu Wegwerfartikeln entwickelt haben und wir all die Arbeitsstunden und auch die Materialien überhaupt nicht mehr wertschätzen. Selbst wenn man seine Sachen nach ein paar Mal tragen spendet, kommt nur ein ganz kleiner Teil wirklich bei einem anderen Menschen an – der Kleidermarkt ist komplett übersättigt.



Langweilen dich als Mode-Liebhaberin deine Kleider nicht schnell, so ganz ohne regelmäßige Shoppingtouren?
Doch, ich liebe Abwechslung! Ich kaufe ja weiterhin Klamotten ein – allerdings nur noch Secondhand oder ganz vereinzelt Basics aus nachhaltiger Produktion. Außerdem tausche ich mit meinen Schwestern und Freundinnen hin und her. Man kann auch so viel aus den Kleidern machen, die man schon hat.

Zum Beispiel? Neue Kombinationen ausprobieren, mal einen Gürtel über den Blazer binden oder den Saum einer Jeans abschneiden.

Dafür brauchts ein gutes Händchen für Mode. Das hat nicht jede. Das mag sein – für Secondhand-Mode braucht es das aber nicht zwingend. In vielen Shops werden auch Fast-Fashion-Teile verkauft, teils sogar aus der letzten Saison, manche nie getragen.



Wann kam dein Sinneswandel?
Immerhin warst du acht Jahre lang bei Zara – dem Inbegriff von Fast Fashion. Nachhaltigkeit war mir schon immer wichtig. Ich esse kein Fleisch, gehe mit der Stofftasche einkaufen, solche Dinge. Irgendwann hatte ich mit jemandem ein Gespräch, der meinte, meine Lebenseinstellung und mein Beruf seien ganz schön widersprüchlich. Bis dato hatte ich die beiden Bereiche immer getrennt. Aber die Person hatte natürlich komplett recht. Ab da stand ich mit einem anderen Gefühl im Laden.

Mit welchem? In mir tobte ein innerer Konflikt.

Hat sich das nach außen irgendwie bemerkbar gemacht? Wenn eine Kundin mit einem Teil unsicher war, hätte ich am liebsten gesagt: Nehmen Sie es nicht! Aber ich musste sagen: Kaufen Sie es – es ist so günstig! Bei meiner Arbeitsuniform habe ich versucht, mich mit Teilen aus der alten Saison durchzumogeln, obwohl wir immer die neuste Saison tragen mussten. Aber bei Zara gibts so viele Kleider, das hat niemand so richtig gecheckt. (lacht)

Trägst du deine alten Zara-Sachen noch? Ja, ich wasche meine ganzen synthetischen Kleider von früher aber in speziellen Säcken, die das Mikroplastik rausfiltern. Als ich mich selbstständig gemacht habe, war mein erster Gedanke: Ich kann doch als nachhaltige Stylistin nicht mit Fast-Fashion-Teilen rumlaufen – dann bin ich überhaupt nicht glaubwürdig. Aber alles wegzuwerfen, wäre noch viel weniger nachhaltig gewesen.

Worin unterscheidest du dich von anderen Stylistinnen? Ich fokussiere mich darauf, was die Person, die mich engagiert, schon zu Hause hat. Beispielsweise empfehle ich meiner Kundschaft immer eine Schrank-Beratung. Die Leute legen dann Teile raus, die sie eigentlich mögen, aber nicht mehr tragen. Da setze ich dann an, überlege mir, wie man etwas kombinieren könnte oder ob Umnähen eine Option wäre.

Du kaufst also gar nichts Neues für die Person ein? Doch. Wenn eine Kundin zum Beispiel fünf, sechs Sachen hat, die alle super zu einer Jeansjacke passen würden, definieren wir zusammen, dass ihr eine Jeansjacke fehlt. Oft schaue ich dann erst mal, ob ich in meinem eigenen Secondhand-Laden etwas Passendes habe. Oder ich wühle mich durch andere.



Ziemlich zeitaufwendig.
Ja, das ist es – wir brauchen dringend eine Secondhand-Revolution! Ich denke, dass vielen Menschen die Zeit und die Lust fehlen, sich stundenlang durch die teils muffigen Shops zu kämpfen – selbst wenn sie für Secondhand eigentlich aufgeschlossen wären.



Gibts in puncto Umweltschutz was, bei dem du dich selbst noch mehr an der Nase nehmen willst?
Ich muss gestehen: Wer in meinen Kühlschrank schaut, wird ganz schön viel Bio-Gemüse in Plastikverpackung finden. Das muss sich eindeutig noch ändern. (friday)

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