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"Yogis sagen, ihr Sperma sei ein Segen"

Heute Redaktion
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Eine Aussteigerin beschreibt, wie weit sie die mentale Stärke ihres Gurus getrieben hat. "Es gibt durchaus auch seriöse Yoga-Schulen", sagt ein Experte.

In Thailand hat ein Yoga-Guru über 40 Frauen sexuell belästigt oder vergewaltigt. Auch der mittlerweile verstorbene Yogi K. Pattabhi Jois soll seine Schülerinnen immer wieder sexuell belästigt haben. Das zeigt ein Bild, das vom Online-Portal Healthista veröffentlicht wurde. Laut Healthista habe sogar seine Familie den renommierten Guru angefleht, endlich mit den Übergriffen auf seine Schülerinnen aufzuhören.

Auch eine ehemalige Schweizer Yoga-Lehrerin mit dem Pseudonym Elsa Gantenbein hat in ihrem Umfeld von Übergriffsfällen gehört. Aus Erfahrung weiß sie: Gerade im Tantra-Yoga mit viel körperlicher Intimität seien Sprüche des Lehrers wie "Mein Sperma ist ein Segen für dich" schnell gesagt. Und leider würden immer wieder Frauen darauf reinfallen. Die Aussteigerin Gantenbein hat ein Buch über ihre Erlebnisse im Yoga und ihren Aufenthalt in einem indischen Meditationszentrum, dem sogenannten Ashram, geschrieben.

"Überall, wo es ausgeprägte Hierarchien gibt, ist die Gefahr des Missbrauchs gegeben. Zusammen mit einem spirituellen Überbau ist das Missbrauchspotenzial groß", sagt der Sektenexperte Hugo Stamm. Übergriffe im Yoga seien ein bekanntes Problem. Aufgrund seiner Autorität sei es einem Yoga-Lehrer möglich, den Widerstand der Schülerinnen mit spirituellen Versprechen zu brechen. "Er kann den Frauen zu verstehen geben, dass bestimmte Berührungen Teil ihrer spirituellen Entwicklung sind und so auf ihre Kosten seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen", sagt Stamm.

"Habe ihm die Füsse geküsst"

Gantenbein spricht von einer überragenden mentalen Stärke, die die Gurus besitzen. "Beim Meditieren in der Schweiz habe ich manchmal die Hand meines Gurus auf meinem Rücken gespürt. Obwohl ich wusste, dass das physiologisch unmöglich ist, war ich mir sicher, dass die Hand real ist." Auch seine Stimme habe sie im Schlaf öfter gehört.

Neben der mentalen Stärke hätten die großen Yoga-Lehrer eine Aura, von der man sich wie automatisch angezogen fühle. Man wolle diesen Leute unbedingt nahe sein, sagt die Aussteigern. "In meiner Zeit im Ashram wurde ich in meiner übertriebenen Hingabefähigkeit so weit getrieben, dass ich meinem Guru die Füsse geküsst habe. Heute kann ich mir nicht mehr erklären, wie ich so etwas je tun konnte." Sie sei sich nie sicher gewesen, ob sie dies aus eigenem Wille getan habe oder ob die psychische Kraft des Gurus durch sie agierte und sie dazu brachte, so etwas zu tun.

Yoga-Schule sorgfältig auswählen

Der Sektenexperte Hugo Stamm betont, dass es durchaus seriöse Yoga-Schulen gebe, die sich beim Yoga auf die Körperübungen konzentrieren würden. "Sobald es aber zu einem Missbrauch kommt, liegen immer sektenhafte Aspekte vor. In diesen Fällen hat der Lehrer so viel Macht über seine Schülerinnen, dass sie sich ihm gegen ihren Willen hingeben. Die Gurus behaupten, die sexuelle Vereinigung würde die spirituelle Entwicklung fördern." Man solle seinen Yoga-Lehrer deshalb sehr sorgfältig auswählen und eher auf private Lehrpersonen setzen statt auf Institute mit mehreren Lehrpersonen.

"Im Ashram wurde mir jegliche Individualität genommen"

Gantenbein sieht die Situation prekärer: Hinter diversen Yoga-Schulen stehe ein Guru, ist sie überzeugt. "Es ist nicht unüblich, dass Yoga-Institutionen rund zehn Prozent ihres Umsatzes dem Guru schicken, der sie ausgebildet hat, beispielsweise nach Indien". Vielen Yoga-Schülern sei das nicht bewusst.

Vor allem die Zeit im Ashram in Indien sei schlimm für sie gewesen, erzählt Gantenbein. Dort sei ihr jegliche Individualität genommen worden. Sie durfte die Institution nicht verlassen, musste ihre Haare scheren und konnte nicht selber entscheiden, was sie aß. "Für dich als Mensch interessiert sich dort niemand, du lebst nur fürs Yoga und dienst dem Guru." Gefährlich sei zudem, dass in diesen Kreisen niemand über die psychologischen Grundkenntnisse verfüge. Dabei würden auch psychisch angeschlagene Menschen Hilfe im Yoga und in den Ashrams suchen. Diese seien besonders gefährdet bei Machtmissbrauch.

Spiritualität wird gesucht

"Viele Yoga-Schüler, vor allem weibliche, suchen die Kombination von Yoga und Spiritualität. Dabei treffen zwei sensible Bereiche aufeinander, bei denen es um Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste geht", sagt der Sektenexperte Stamm. Das fördere das Abhängigkeitspotenzial. Schließlich müsse man differenzieren zwischen den Lehrern, die die Verehrung durch die Schülerinnen gezielt suchen und ausnutzen, und jenen, die sich zu einem sexuellen Abenteuer hinreißen lassen. "Yoga bedeutet viel Körperlichkeit, es kann leicht erotisch aufgeladen werden."

So komme es auch nicht selten vor, dass sich eine Schülerin in ihren Lehrer verliebe. "In dieser Situation muss sich ein seriöser Lehrer wie ein Therapeut verhalten und klare Regeln einhalten", sagt Stamm. (jk)