Ukraine

24.2.22 – Der Tag, der die Ukraine für immer veränderte 

Vor einem Jahr begann die russische Invasion der Ukraine: Doch was spielte sich am 24.2.2022 wirklich ab und welches Zwischenfazit lässt sich ziehen?

Ein ukrainischer Kampfpanzer in der hart umkämpften Stadt Bachmut.
Ein ukrainischer Kampfpanzer in der hart umkämpften Stadt Bachmut.
REUTERS

Am 24. Februar 2022 wurde wahr, was einige befürchteten und viele nicht glauben wollten – die russische Armee marschierte nach Wochen des Bangens auf Befehl von Wladimir Putin in die Ukraine ein. Ein Jahr später lässt sich sagen: Es ist der verheerendste Krieg, der Europa seit dem Zweiten Weltkrieg heimsucht. Ganze Städte wurden eliminiert, Tausende Zivilisten getötet und ein Fünftel der Ukraine besetzt. 

Doch wie erlebte die Ukraine den Beginn des Krieges? Noch am Vortag versucht der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, das Land zu beruhigen. Russische Truppenbewegungen an der Grenze seien laut dem Sekretär des Sicherheitsrates, Oleksi Danilow, "nichts Neues". Doch bereits am Abend beschließt der Sicherheitsrat nach beunruhigenden Geheimdienstinformationen den Ausnahmezustand. 

Selenski will es anfangs nicht wahrhaben

Während Selenskis Team die Gefahr einer Invasion runterspielte, warnte der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko seit Monaten davor und bereitete die Hauptstadt auf mögliche Horrorszenarien vor, indem unter anderem Luftschutzkeller reaktiviert wurden. Er sollte Recht behalten: Bereits um 3:40 Uhr morgens wurden erste Beschüsse im Grenzort Milowe registriert. Wenig später folgten Explosionen in weiten Teilen des Landes, auch nahe der Hauptstadt Kiew. 

Selenski spricht anfangs nur von Artilleriebeschüssen, Luftangriffen und Explosionen, nicht von einer Invasion – er versucht, die Gemüter nicht zu erhitzen. Doch noch am selben Morgen stimmt das Parlament einstimmig über die Verhängung des Kriegszustandes ab, in nur acht Minuten. Unterdessen forderte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow die Bevölkerung bereits dazu auf, zur Waffe zu greifen, während Teile der Regierung mit Sonderzügen in Richtung Westen gebracht wurden. 

Am Abend des ersten Tages der Invasion hatte sich Selenski bereits zum Kriegspräsidenten gewandelt und zeigte sich erstmals im seither charakteristischen Militär-Outfit. Während in der Ukraine Chaos herrscht, zeigt das russische Abendfernsehen ein anderes Bild: Eine erfolgreiche Invasion, sich ergebende ukrainische Soldaten und verschonte Zivilisten. In Brüssel wird bis in die frühen Morgenstunden unter den EU-Staats- und Regierungschefs debattiert. Emmanuel Macron ruft sogar Putin an, um ihn zum Rückzug zu bringen – bekanntermaßen erfolglos. 

Hätte der Krieg verhindert werden können?

Doch warum wurde die von Russland ausgehende Gefahr dermaßen unterschätzt und (wie) hätte der schreckliche Krieg verhindert werden können? Warum hat fast niemand an Putins Irrationalität geglaubt? Selenski beteuert bis heute, dass die Informationen aus dem Westen zu vage gewesen wären. Außerdem war er eigentlich angetreten, um den Konflikt mit Russland ein für allemal zu beseitigen.

Hätte die Ukraine selbst den Krieg verhindern können? Wohl nicht. Der Westen jedoch schon. Dafür hätte es jedoch schon lange Zeit vor der Invasion deutlich höheren ökonomischen und diplomatischen Druck gebraucht, wie es in erst seither gibt. Erst nach Beginn des Krieges kam es zu einem Zusammenrücken des Westens. 

Die Ukraine trotzt der Verheerung 

Was hat das Jahr mit der Ukraine und dem Westen gemacht? Putins Krieg hat die Ukraine nur noch mehr Richtung Westen geschoben. Immer mehr Ukrainer wollen Teil der Nato und der EU werden, während westliche Alliierte das ukrainische Militär mit Waffensystemen zur Verteidigung versorgen. Außerdem hat sich die Ukraine neu erfunden: In der Gegnerschaft zu Russland ist das Land zusammengerückt, das Vertrauen in die Institutionen ist so hoch wie noch nie.

Der Historiker Timothy Snyder versucht in einem Interview mit dem "Spiegel", den Krieg historisch einzuordnen. Aus seiner Sicht könnte er das Ende der Idee von konkurrierenden Großmächten sein. Russland müsse den Krieg wohl erst verlieren, um sich weiterzuentwickeln und sich dem Rest Europas in den Bestrebungen in Richtung einer europäischen Integration anzuschließen.

Ukraine-Sieg alternativlos

Für den Westen sei ein Sieg der Ukraine alternativlos. Allerdings bedürfe es deutlich größerer Unterstützung, um einen solchen Sieg auch zu ermöglichen. Ängste vor einer atomaren Eskalation des Konflikts versteht der Historiker nicht: Für ihn hat der ukrainische Widerstand die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges für die nächsten Jahrzehnte noch weiter minimiert. Auch ein Konflikt zwischen der Nato und Russland sei wegen der Stärke der Nato und der Schwäche der russischen Armee sehr unwahrscheinlich geworden. 

Wie auch immer sich die Situation in dem gebeutelten Land entwickeln wird, eines steht mit Blick auf den 24. Februar 2022 fest, wie Premierminister Denys Schmyhal treffend formuliert: "Das ist ein Tag, an dem für alle Ukrainer und für mich alles andere zum Stillstand kam und wir uns auf den Krieg konzentrierten. Das Jahr, das seither vergangen ist, ist wie ein einziger Tag verflogen. Ein langer, schwerer Tag, voller Verluste und Leid."

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    Kurz vor dem 1. Jahrestag der russischen Invasion ist <a target="_blank" data-li-document-ref="100256083" href="https://www.heute.at/g/us-praesident-joe-biden-ueberraschend-in-kiew-eingetroffen-100256083">US-Präsident Joe Biden überraschend in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgetaucht</a>.
    DIMITAR DILKOFF / AFP / picturedesk.com