Österreich

Tiller: "Menschen sind mir wichtiger als die Partei"

Heute Redaktion
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Nach 40 Jahren übergibt Döblings Bezirkschef Adi Tiller (79, VP) sein Amt an Nachfolger Daniel Resch (34). "Heute" lud die beiden zum Doppel-Interview im Amtshaus.

Seit zweieinhalb Jahren ist Daniel Resch (34) der Bezirksvorsteher-Stellvertreter in Döbling. Ende Oktober tritt er in die Fußstapfen von "Urgestein" Adi Tiller, dem längstdienenden Bezirksvorsteher Wiens. Auch österreichweit dürfte der Rekord einmalig sein. "Heute" fragte Tiller nach dem "Geheimnis", das es braucht, um 40 Jahre Bezirksvorsteher zu bleiben – und mit dem amtierenden Bezirkschef und seinem Nachfolger über Pläne für die Zukunft und wichtige Projekte der Vergangenheit. Den Goldenen Rathausmann hat Tiller heuer von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bekommen, das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien hat er noch von Altbürgermeister Michael Häupl bekommen. Im Hintergrund des Büros hängt ein Porträt von Tillers Urgroßvater Josef Strobach – der 1896 christlich-sozialer Bürgermeister von Wien war. Klar ist: Anekdoten und Schmäh dürfen bei diesem Gespräch nicht fehlen.

"Heute": Herr Bezirksvorsteher Tiller, Sie sind noch eine Woche Döblings Bezirksvorsteher, am 31. Oktober übergeben Sie Ihr Amt. Wie fühlen Sie sich?

Adi Tiller: Ich bin jetzt 79, da wird es Zeit, dass man an jüngere Kräfte übergibt. Wir haben im Bezirk alles vorbereitet – in der ÖVP geht es da sehr harmonisch und menschlich zu. Das Motto muss sein: Hin zu den Menschen. Man muss mehr auf die Bevölkerung zugehen.

Bei uns in Döbling hat die Bezirksliste um 5.917 Stimmen mehr als die Rathaus-ÖVP. Ich selbst habe 2.598 Vorzugsstimmen. Der Grund ist, dass wir am Puls des Volkes sind. Ich habe bis jetzt 15.000 Ehrungen gemacht.

Von den Vorzugsstimmen sei eine von Ex-SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch, so Tiller: "Er ist in Neustift zu Hause und sagt immer: Ihr werdet verstehen, ÖVP kann ich nicht ankreuzeln, aber Tiller schreib ich immer hin."

Nachfolger Daniel Resch ist auch Tag für Tag in Döbling unterwegs.

Daniel Resch: Ich war am Wochenende auf einem Schulball. Den Sonntag habe ich mit einer Gospelmesse in Nußdorf gestartet, nach mehreren Terminen hat der Tag wieder in einer Kirche geendet – mit einem Requiem von Brahms.

Tiller: Da wird man auch begrüßt, die Menschen wissen dann, dass man Interesse hat. Ich war am Wochenende bei einer Goldenen Hochzeit, da mich eine ältere Dame angesprochen und gesagt: Wissen Sie, ich bin eine Sozialistin aber: Ich habe Sie immer gewählt.

Resch: Man sieht: Es muss Spaß machen. Man muss diesen Job lieben. Das ist der Grund, warum du in Döbling bekannter bist als der Bundespräsident. (Richtung Tiller)

Tiller: Ich habe Kontakte über alle Parteigrenzen hinweg. Wir machen es ja für die Menschen. Ich habe den Karl-Marx-Hof generalsanieren lassen. Das habe ich aus Überzeugung gemacht – gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat Rudi Edlinger.

Nur in Döbling sind alle S45-Stationen zugedeckt. Bei den Durchsagen fallen die Leute sonst alle fünf Minuten aus dem Bett. Das habe ich ja nicht für die Partei gemacht, sondern für die Menschen, die dort wohnen.

"Heute": Welche Projekte sind Ihnen wichtig?

Als ich angefangen habe, hat es noch keinen Bus 38A von Heiligenstadt nach Grinzing und dann weiter auf den Kahlen- und den Leopoldsberg gegeben. Die Menschen spüren es, wenn man sich einsetzt. Das Parteipolitische ist mir nicht das wichtigste, die Menschen sind wichtig. Bei den Ehrungen – es waren 15.000 – kommt man natürlich in die Familien.

"Heute": Herr Bezirksvorsteher Tiller, Sie hatten ja eine Tankstelle in Hernals... Wie lange haben Sie sie betrieben und was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Tiller:Von 1965 bis 1979, 1978 bin ich dann zum Bezirksvorsteher gewählt worden. Die Tankstelle habe ich damals von meinem Vater übernommen. Vorher war ich ja in der Creditanstalt. Ich hab in der CA gelernt: Der Kunde ist König. Dann habe ich in der Tankstelle gelernt: Der Kunde ist schon wieder König, sonst hätte ich ja kein Geschäft gemacht. Daher habe ich das seit der Matura gelernt, auf die Menschen zuzugehen. Als ich die Aufgabe (Anm.: als Bezirksvorsteher) übernommen habe, habe ich gewusst: Ich gehe zu den Menschen hin. Dass man für die Menschen da ist, ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. In der Tankstelle habe ich von 6 bis 22 Uhr Dienst gehabt, warum nicht?

"Heute": Nach 40 Jahren als Bezirksvorsteher: Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie jetzt aufhören?

Tiller:Döbling ist lebenswerter geworden. Da hat man Freude. Mit 79 Jahren – auch wenn man noch fit ist – ist die Dynamik nicht mehr so stark wie vor 40 Jahren, weil man vieles mit Routine macht. Er (Richtung Resch) kann sich jetzt ein bisserl auf die Schienen werfen. Wir sind zwar beide Waagen – ausgleichend. Aber er (Resch) kann jetzt schon ein bisschen Druck machen. Ich habe immer gesagt: Der Tiller geht nicht in Pension, ich bleibe so lange wie der Adenauer. Adenauer war bis zum Alter von 88 Jahren Kanzler – aber er hat erst mit 70 angefangen. Figl, Mickel-Göttfert und Kobald sind alle jung und haben Erfolg.

"Heute": Was ist wichtig als Bezirkschef?

Tiller:Der Schmäh gehört schon dazu – genauso wie die Sachkompetenz und dass man den Bezirk kennt.

Resch:Das meiste erfährt man, wenn man bei den Leuten ist und mit ihnen redet, dass man sich Sachen merkt. Der Job bringt mit sich, dass man sich, wenn man durch den Bezirk geht, jede Bezirkstafel anschaut.

Tiller: Wenn Halteverbotstafeln da stehen, bei denen die Bewilligung abgelaufen ist, drehe ich sie entweder um oder decke sie zu. Wenn Diplomatenzonen eingerichtet sind, samt Tafeln – und die Botschaft ist übersiedelt oder bei Ladezonen, die keine Bewilligung mehr haben, dann habe ich für diese Fälle eine eigene Leiter. Dann nehme ich die Leiter und schwarze Müllsäcke, fahre hin und hänge es drüber. Dann schreibe ich der MA 46, dass das Halteverbot schon länger nicht mehr gilt, sie es übersehen hat und ich es zugehängt habe. Das mache ich immer selbst.

Resch: "Machen, nicht reden" ist wichtig. Das ist genau das, was die Bürger ärgert. Wenn es nicht mehr gilt, geht man hin, dreht es um – und fertig.

"Heute": Was war Ihr wichtigstes Projekt?

Tiller: In meiner Zeit wurden acht Pensionistenwohnhäuser errichtet. Das sind mehr als 2.000 Menschen, die einen super Lebensabend haben. Das zweite ist der Biosphärenpark. Auch der Japanische Garten und das Sanatorium Döbling waren wichtige Projekte. Wir haben seit 29 Jahren immer einen Überschuss beim Bezirksbudget. Ein anderer Schwank: In der Muthgasse gibt es ein BOKU-Gebäude, auf der einen Seite in Richtung Donaukanal und auf der anderen Seite Richtung Heiligenstädter Straße. Die Studenten hätten über die Straße rennen müssen – von einem zum anderen Gebäude. Ich habe gesagt, dass wir dort eine Brücke machen müssen. Die Stadt hat zuerst gemeint, das gebe es nicht – eine Brücke über eine Straße. Dann habe ich gesagt: Bei der Lugner City habt ihr das gemacht – und dort geht das nicht? Und schon war die Brücke da.

"Heute": Welche Projekte gehen Sie zuerst als Bezirksvorsteher an, Herr Resch?

Resch: Ein Herzensanliegen ist das Ortsbild. Jeder möchte in Grinzing, Sievering und Neustift zum Heurigen gehen. Damit es hier so schön bleibt, muss man sich etwas einfallen lassen. Was viele nicht wissen, ist, dass der Bezirk ja nicht Baubehörde ist. Wir bekommen zuerst den Ärger – dabei können wir oft nichts machen.

Wir sind schon die, die das Ortsbild und die Heurigenkultur in Döbling erhalten und fördern wollen. Wir unterstützen die Betriebe – auch mit Veranstaltungen und geben uns sehr viel Mühe. Wichtig ist, dass der Heurige nicht zu Akzent im Heurigenort wird. Früher war es so, dass die jungen Leute nicht zum Heurigen gehen, das ändert sich jetzt.

Vor zwei Jahren hätten sie den Winzern etwas weggenommen, sie hätten nicht mehr im Erdgeschoß wohnen dürfen, Grund hätte gefehlt. Das haben wir in zehn Verhandlungen verhindert.

"Heute": Ein weiterer Schwerpunkt?

Resch:Die Stadt will mehr Öffis, dann müssen sie auch forciert werden – mit Intervallverdichtungen oder neuen U-Bahnstationen wie in der Gunoldstraße zum Beispiel. Querverbindungen von Döbling nach Währing – etwa mit Citybussen – stelle ich mir auch vor.

"Heute": Stichwort Parkpickerl. Herr Resch, Sie haben dafür gestimmt – nicht ganz auf Linie, jetzt kommt das Pickerl für Döbling...

Resch:Ich habe einen klaren Zugang. Die Stadt Wien hat zwei Tarifmodelle: 9 bis 19 Uhr und 9 bis 22 Uhr. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou hätte nie einem (Anm.: vom Bezirk Döbling gewünschten) Modell von 14 bis 19 Uhr zugestimmt. Natürlich haben wir gesagt, wir wollen für ganz Wien eine Lösung oder ein Westpickerl. Wir hätten noch zehn Jahre diskutieren können. Mir war es wichtig, da jetzt eine Entscheidung herbeizuführen. Laut Stadt Wien soll das Pickerl am 1. Juli 2019 kommen, mir wäre früher lieber. Mir ist lieber: Wir machen Nägel mit Köpfen. Der Bezirk ist zum Teil sehr überparkt, da findet man keinen Parkplatz.

"Heute": Herr Resch, Ihr Bruder ist FPÖ-Klubobmann in Döbling?

Resch: Unser Sonntagstisch ist wie eine Diskussionssendung – nur mit gutem Essen dazu. Wir verstehen uns sehr gut, sind politisch anders unterwegs. Bei uns in der Bezirksvertretung kommen wir mit allen Fraktionen gut aus. Man muss eine Liebe zu diesem Job haben.

"Heute": Was machen Sie am 1. November, Herr Tiller?

Tiller: Ich gehe zu Allerheiligen auf den Friedhof, wie jedes Jahr, ab 2. geht es los, ich bleibe ja ÖVP-Parteiobmann in Döbling. Ich bin Präsident im Bezirksmuseum, wir haben in Döbling eine eigene Baugesellschaft, wo ich Aufsichtsratspräsident bin. Vielleicht werde ich wieder beim Fußballverein Vienna was tun. Sebastian Kurz hat mir Gartengeräte geschenkt. Bisher hat das meine Frau gemacht, jetzt kann ich sie unterstützen.

Von der ÖVP Döbling hat Tiller – der selbst nie einen Computer am Schreibtisch stehen hatte – ein iPad zum Abschied bekommen. Resch selbst bringt in sein neues Büro auf jeden Fall einen Bürosessel mit, den ihm sein Vater geschenkt hat, wird auch von seinem Vater angefertigte Bilder aufhängen.

Mit seiner Ehefrau Hannelore ist Adi Tiller schon 57 Jahre verheiratet, wird jetzt mehr Zeit für sie, die zwei Töchter, zwei Enkeltöchter und zwei Urenkel haben.

Tiller (selbst Inhaber einen Spielerpass der Vienna):Den beiden bringe ich Fußball-Spielen bei.