Politik

"55 Cent pro Tag – das ist der ORF allemal wert"

Heute Redaktion
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Anti-GIS-Volksbegehren und Millionen-Klage: Dem ORF weht ein rauer Wind entgegen. So kontert ORF-Boss Alexander Wrabetz im "Heute"-Interview.

Herr Wrabetz, angenommen, die Österreicher könnten heute über die GIS-Gebühr abstimmen: Was käme dabei heraus?

Wohl ein ganz ähnliches Resultat wie in der Schweiz, wo die Bevölkerung im Frühjahr eine Abschaffung der Rundfunkgebühr mit über 70 Prozent verworfen hat. Wenn es hart auf hart kommt, und man die Österreicher fragt: "Wollt ihr, dass der ORF abgeschafft wird?", dann sagt wohl nur eine ganz kleine Minderheit Ja.



Sicher? Gerade junge Leute fragen sich: Warum soll ich noch eine GIS-Gebühr zahlen, wenn ich doch ein Netflix-Abo habe und im Internet eine Fülle an Informationen kostenlos zugänglich ist?

Die Konkurrenz durch Netflix und Co. ist eine Herausforderung, keine Frage. Das Mediennutzungsverhalten verändert sich und auch wir müssen unsere Angebote anpassen. Fakt ist aber auch: Über 90 Prozent der Menschen in Österreich nutzen mindestens einmal pro Woche ein oder mehrere ORF-Programme – auch bei den jungen Zuschauern sind wir sehr stark.

Wie erklären Sie sich dann den großen Zuspruch, den das Anti-GIS-Volksbegehren erfährt? Immerhin haben über 320.000 Menschen unterschrieben.

So riesengroß finde ich den Zuspruch nicht, wenn gerade einmal 5 Prozent der Wahlberechtigten unterschrieben haben. Aber natürlich nehmen wir die Diskussion ernst und sind bereit, uns ihr zu stellen. Wenn wir gut informieren, werden viele Unterstützer ihre Meinung bis zu einer allfälligen Volksabstimmung noch revidieren.

Und mit welchen Argumenten wollen Sie die Kritiker bekehren?

Wer den ORF nicht komplett abschaffen will, muss sich fragen, wie man ihn ohne Gebühren finanzieren soll. Die Frage wird ja durch das Volksbegehren nicht beantwortet. Fakt ist: Nur mit Werbung können wir unser Angebot nicht aufrechterhalten. Das Geld müsste also aus dem Staatsbudget kommen.

"Ich glaube nicht, dass die Zuschauer ungarische Verhältnisse wollen."

Was wäre daran so schlecht?

Wir müssten unser Budget mit dem Finanzminister verhandeln! Der ORF würde dann wie eine Abteilung eines Ministeriums geführt, der politische Einfluss auf die Berichterstattung wäre sehr direkt. Das ist überall zu beobachten, wo es das Modell in Europa gibt – zum Beispiel in Ungarn. Die Demokratie in unserem Land würde darunter leiden. Ich glaube nicht, dass die Zuschauer ungarische Verhältnisse wollen. Abgesehen davon müssten die Bürger in dem Fall ja genauso für den ORF zahlen, es wäre einfach eine andere, indirekte Form der Finanzierung.

Gedankenexperiment: Wie sähe ein Österreich ganz ohne ORF aus?

Die Bürger wären schlechter informiert und schlechter unterhalten, ein ganz wichtiger Identitätsfaktor ginge verloren. Für die Kultur in Österreich wäre es verheerend, wenn es den ORF nicht gäbe, auch für die Kreativwirtschaft und den Produktionsstandort. Sendungen wie der "Tatort" oder "Vorstadtweiber" lassen sich kommerziell nicht finanzieren. Ohne unsere Landesstudios ginge eine Klammer verloren, die das Land zusammenhält. Und es gäbe kein Korrespondentennetz mehr, das aus der ganzen Welt aus einer österreichischen Perspektive aktuell berichtet. Das alles bekommen die Zuschauer heute für 55 Cent pro Tag...

… 55 Cent? In Wien kostet die GIS monatlich 26,33 Euro.

Davon gehen aber nur 17 Euro an den ORF. Den Rest kriegen Bund und Länder, die hoffentlich mit diesem Geld etwas Gutes machen. Wobei ich jetzt auch nicht unterstellen möchte, dass das nicht so ist (lacht)! 55 Cent pro Tag – das ist der ORF mit seinem umfassenden Informations-, Unterhaltungs- und Kulturangebot den meisten Leuten allemal wert.

Müssen Sie eigentlich selber auch GIS-Gebühr zahlen oder sind Sie davon befreit?

Nein, nein, natürlich zahle ich! Und die GIS schaut da auch genau hin. Das habe ich vor ein paar Jahren am eigenen Leib erfahren: Ich bin umgezogen und habe die Rundfunkgebühr auf die neue Wohnung umgemeldet. Die Abmeldung in der alten Wohnung war anscheinend noch nicht abgeschlossen. Dann kam auch schon die GIS und wollte wissen, warum ich in der alten Wohnung nichts mehr zahle. Ich konnte alles aufklären, aber dass ich ORF-Generaldirektor bin, spielte da gar keine Rolle (lacht).

"Der ORF ist sicher kein linker Sender! "

Ungemach droht dem ORF ja auch in Form einer Sammelklage der Firma AdvoFin: Zahlreiche GIS-Kunden fordern die Mehrwertsteuer zurück. Insgesamt geht es um 300 Millionen Euro. Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten der Klage?

Erstens: Im EU-Beitrittsvertrag steht ganz klar, dass Österreich diese Mehrwertsteuer weiterhin erheben darf. Zweitens: Das Geld kommt nicht uns zu gute, die GIS hebt diese Steuer entsprechend geltendem Recht für den Finanzminister ein. Und drittens muss man sich vor Augen halten, dass die Anwälte der AdvoFin die großen Gewinner wären. Sie erhielten 30 Prozent der 300 Millionen – die 100 Millionen wären für die Advofin-Anwälte schnell verdientes Geld. Allerdings haben sich bis dato erst 0,5% der Bevölkerung dieser Initiative angeschlossen, das Interesse dürfte eher überschaubar sein.



Insbesondere von rechts wird die politische Ausrichtung des ORF immer wieder heftig kritisiert – die FPÖ spricht vom "Rotfunk". Ist der ORF ein linker Sender?

Nein, der ORF ist sicher kein linker Sender! Wir haben per Gesetz objektiv und unparteilich zu berichten – und das tun wir auch. Dass in einer polarisierten politischen Diskussion auch die Übermittler von Informationen gern kritisiert werden – und dass das geradezu Teil einer politischen Kampagne ist –, damit muss man leben. Ja, manchmal ist die aktuelle Regierung mit uns unzufrieden. Aber ich blicke inzwischen auf einige Regierungen zurück und kann berichten, dass die immer unzufrieden waren. Das gehört dazu, wenn man kritisch berichtet.

"Allerdings sieht auch der Vizekanzler Strache, dass der ORF eine ganz wichtige Rolle für Österreich spielt."

Was auffällt, sind die verstärkten persönliche Attacken von Politikern auf Mitarbeiter des ORF, Stichwort Vilimsky gegen Pawlicki oder Strache gegen Wolf. Wie reagieren Sie auf solche Angriffe?

Ich habe sehr klar gemacht, dass wir keine Einmischung dulden und uns auch schützend vor unsere Mitarbeiter stellen. Wenn es nötig ist, wie im Fall Armin Wolf, bieten wir rechtliche Unterstützung. Wenn wir aufgefordert werden, eine Journalistin zu entlassen, wie im Fall Pawlicki, dann zeigt das, dass es eben ganz gut ist, dass wir finanziell unabhängig sind. Dass ich nicht zum Jahresende bei der jeweiligen Regierung einreichen muss, wer auf der Gehaltsliste steht.

Wie ist Ihr Verhältnis zu FP-Parteiobmann Heinz-Christian Strache?

Herr Vizekanzler Strache und ich haben eine professionelle Gesprächsbasis. In einigen Punkten sind wir unterschiedlicher Auffassung, z.B. was die Finanzierung des ORF betrifft. Allerdings sieht auch der Vizekanzler Strache, dass der ORF eine ganz wichtige Rolle für Österreich spielt. Er ist ja auch Sportminister – und er weiß zum Beispiel, dass den Sportlern und dem Publikum ohne unsere Sportübertragungen etwas abgehen würde.

Ihr Vater war Anwalt für die FPÖ, Sie selbst waren Vorsitzender des Verbands Sozialistischer Studentinnen in Österreich: Wie hitzig wurde bei Ihnen am Mittagstisch über Politik gestritten?

Es hat schon intensive Diskussion gegeben, aber immer in familiärem Ton. Mein Vater hat sich immer als Vertreter des liberalen Flügels der FPÖ gesehen, Meinungsfreiheit ist ihm wichtig. Er ist bis heute ein wirklich genauer Beobachter unseres Programms. Er lobt, kritisiert mich aber auch, wenn ihm etwas nicht gefällt.

"Gerade bei Armin Wolf sieht man, dass er nicht nur einzelne Akteure kritisch beobachtet, sondern alle Seiten."

Im Sommer warf ein Entwurf einer Social-Media-Richtlinie für ORF-Mitarbeiter hohe Wellen. Was ist daraus geworden?

Wir haben den Entwurf in mehreren Runden mit den Redakteuren diskutiert. Bis Jahresende wird ein Ergebnis vorliegen, das ich dann als Richtlinie erlassen werde. Natürlich sollen unsere Journalisten auch kritische Information verbreiten können, aber es darf nicht einseitig sein. Das ist wichtig, gerade damit die Objektivität des ORF nicht öffentlich angezweifelt wird. Eine solche Richtlinie dient auch dem Schutz der Mitarbeiter, weil dann klar ist, was arbeitsrechtlich gilt.

ORF-Moderator Armin Wolf kritisierte unlängst Verkehrsminister Hofer auf Twitter, weil dieser das Führerscheingesetz mit Verweis auf "arabische Clans" verschärft hat. "Es gibt offenbar kein Vorhaben, das ohne böse Ausländer auskommt", so Wolf. Dürfen wir davon ausgehen, dass Sie wenig euphorisch reagieren, wenn Sie von solchen Tweets erfahren?

Wenn eine Kritik sachlich ist, habe ich damit kein Problem. Gerade bei Armin Wolf sieht man, dass er nicht nur einzelne Akteure kritisch beobachtet, sondern alle Seiten. Im Fall der Führerscheinprüfungen scheint mir die Frage durchaus berechtigt, ob das jetzt wirklich nur ein Thema "arabischer Clans" ist.