Österreich

Als Kind verheiratet: Auch in Österreich Fälle bekan...

Nicht nur in der Schweiz – auch in Österreich leben Dutzende Betroffene, die als Minderjährige zwangsverheiratet wurden.

Heute Redaktion
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Zwangsehen mit minderjährigen Mädchen nehmen in Europa eklatant zu, das erschütternde Phänomen archaischer Traditionen ist in vielen westlichen Ländern zu beobachten. In den letzten Tagen erschütterten Berichte aus der Schweiz, wo immer mehr Zwangsehen aufgedeckt werden.

"Alleine im Jahr 2018 betreute die zuständige Fachstelle 119 Fälle. Die meisten Betroffenen sind Kurden aus dem Irak und Syrien oder sie stammen aus der Türkei, Afghanistan oder Somalia. Der Hauptgrund dafür ist der Kult um die Jungfräulichkeit der Frau", erklärt die Präsidentin der Fachstelle Zwangsheirat. Die Familien sehen in der Schweiz die Gefahr, dass ihre Tochter bereits vor der Ehe Sex haben könnte. Denn hier lebt man nicht getrennt nach dem Geschlecht. "Um die Familienehre zu wahren, wird die Tochter dann im Ausland als Minderjährige verheiratet oder verlobt", so die Präsidentin.

Zwei junge Frauen, die als Mädchen verheiratet wurden und in der Schweiz leben, sind Samira (19) und Nesrin (17). Damit sie nicht identifiziert werden können, wurden ihre Namen und Herkunftsländer verändert. Das sind ihre Geschichten.

"Ich versuchte, mir mit Tabletten das Leben zu nehmen"

Samira ist Schweizerin und hier geboren, ihre Eltern stammen aus Syrien. Sie war 15, als sie von ihrer Familie via Telefon mit ihrem Mann in Syrien verheiratet wurde. Ein Jahr später folgte auf Druck der Familie die rituelle Heirat im Ausland.

Letztes Jahr wurde Samira 18. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit wurde die Kinderehe in der Schweiz rechtskräftig. Als die junge Frau das realisierte, versuchte sie sich das Leben zu nehmen: "Ich schluckte Tabletten meines Vaters. Doch ich überlebte."

Mit der anerkannten Heirat hat ihr Ehemann, der noch in Syrien lebt, Recht auf Familiennachzug erhalten. Dieses will er auch nutzen: Er wird in den kommenden Tagen in die Schweiz einreisen. Für Samira eine Katastrophe: "Warum anerkennt die Schweiz meine Kinderheirat? Ich will nicht verheiratet sein!" Die 19-Jährige versucht nun verzweifelt mit Hilfe der Fachstelle Zwangsheirat, die Einreise ihres Ehemannes zu verhindern.

Die Möglichkeiten sind allerdings begrenzt: Schafft es Samira nicht, ihren Mann von seinem Vorhaben abzubringen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihre Arbeit zu kündigen. Denn ohne finanzielle Absicherung würde er den Anspruch auf Familiennachzug verlieren. Die Möglichkeit, ein Einreiseverbot für ihren Mann, den sie nicht aus freien Stücken geheiratet hat, zu erwirken, gibt es nicht.

Was aber, wenn die Einreise nicht verhindert werden kann und Samira zumindest das Zusammenleben verhindern will? Samira bliebe noch die Option, abzutauchen und mit der Hilfe der Fachstelle Zwangsheirat unter einer neuen Identität weiterzuleben. Das würde aber auch einen Bruch mit der gesamten Familie bedeuten.

Nesrins Fall landete beim Gericht – ohne Folgen

Nesrin war 14 Jahre alt, als sie im Irak verheiratet wurde. Mit 16 kam sie in die Schweiz und erhielt Asyl. Die Asylbehörde erfuhr von der Kinderehe und leitete den Fall an das Gericht weiter.

Dieses sollte entscheiden, ob die Weiterführung der Ehe den "überwiegenden Interessen" von Nesrin entspreche. Konkret heißt das: Wäre Nesrin schwanger oder würde sie vor den Schweizer Behörden und der Familie die Liebe gegenüber dem Ehemann bestätigen, dürfte die Ehe bestehen bleiben. Eine Altersuntergrenze gibt es per Gesetz nicht. Beides trifft auf Nesrin nicht zu. Trotzdem wurde ihre Kinderehe nicht annulliert. Der Grund: Bis heute hatte das Gericht keine Zeit, ihren Fall zu behandeln.

Die Folge: Die Ehe wird in einem Monat rechtskräftig. Denn dann wird Nesrin 18 Jahre alt. Auch eine "normale" Scheidung würde keine rasche Lösung bieten. Denn ihr Ehegatte würde diese wohl anfechten und somit die Scheidung um mindestens zwei Jahre verzögern.

Kinderehen gelten in der Schweiz nicht als Zwangsehen

Wie kann es sein, dass die Schweiz Ehen anerkennt, ohne sie vorher zu prüfen? Kinderehen gelten in der Schweiz nicht als Zwangsehen und sind somit nicht grundsätzlich verboten. Doch die Überprüfung solcher Fälle mittels Interessenabwägung steht in der Kritik.

Anu Sivaganesan: "Die Interessenabwägung dauert meist so lange, bis die betroffene Person volljährig und die Ehe automatisch auch in der Schweiz gültig wird."

Die Grünen und die SVP wollen nun handeln. "Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei Verheiratungen von unter 16-Jährigen um eine Zwangsheirat handelt", sagt SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer. Einen entsprechenden parlamentarischen Vorstoß reichte sie Ende September ein. Die Fachstelle Zwangsheirat, Kompetenzzentrum des Bundes, sieht das ähnlich. Die Fachstelle schlägt vor, Eheschließungen, die vor dem 18. Lebensjahr im Ausland geschlossen wurden, in der Schweiz nicht anzuerkennen.

Österreich akzeptiert rechtlich Zwangsehen mit Minderjährigen

In Österreich gilt bisher das Eherecht des Herkunftslandes. Das bedeutet, dass die Ehen hierzulande gültig sind, außer einer der Partner ist jünger als 14 - das ist bei uns die gültige Altersgrenze für sexuelle Kontakte.

"In den vergangenen drei Jahren gab es mindestens 32 Fälle, wo Minderjährige, die meistens um die 14 Jahre alt sind, zwangsverheiratet wurden", bestätigt Bgrd. Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zu Bekämpfung der Schlepperkriminalität, des Menschenhandels und des Grenzüberschreitenden Prostitutionshandels im Bundeskriminalamt Österreich. "Die jungen Mädchen werden oft auf Urlaub in ihr Heimatland eingeladen und dort verheiratet".

Anschließend kehren sie - meist mit Ehemann - nach Österreich zurück. "Da die Täter häufig in der eigenen Familie zu finden sind, gibt es so gut wie nie Anzeigen. Die Betroffenen suchen sehr selten Kontakt zur Polizei".

Auch gerade deshalb soll die Dunkelziffer weit höher liegen. Eine Schätzung der tatsächlichen Zahlen über Betroffene wollte das Bundeskriminalamt aber nicht bekannt geben. Die Mädchen, die in Österreich leben, sollen meist aus Afghanistan, der Türkei oder aus Balkanländern stammen.

Anlaufstellen für Betroffene

Notwohnung für von Zwangsheirat bedrohte oder betroffene junge Frauen: Mit der Notwohnung wird Mädchen und Frauen eine spezialisierte, geschützte Krisenunterbringung und intensive Betreuung, Beratung und Begleitung angeboten. Der Kontakt zur Notwohnung wird über die Beratungsstelle des Vereins Orient Express hergestellt. Für Frauen, die nicht in Wien leben, kann der Kontakt über eine Frauenberatungseinrichtung hergestellt werden.

Orient Express

Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen

Frauenservicestelle

Schönngasse 15-17 / Top 2

1020 Wien

Telefon: 01 728 97 25

E-Mail: [email protected]

Web: www.orientexpress-wien.com



Weiters erhalten betroffene Hilfe von der Caritas

Caritas der Diözese Graz-Seckau


Beratungsstelle DIVAN

Grabenstraße 39 (Bergstraße 24)

8010 Graz

Telefon: 0676 880 153 60

E-Mail: [email protected]

Web: www.caritas-steiermark.at

Informationsbroschüren mit wertvollen Tipps zum Thema finden Sie in deutscher, englischer, türkischer und arabischer Sprache unter:

www.frauen-familien-jugend.bka.gv.at