"Ich versteckte zwei KZ-Flüchtlinge vor den Nazis"

Heute Redaktion
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500 Menschen flüchteten am 2. Februar 1945 aus dem KZ Mauthausen – darunter Michail Rybtschinskij und Nikolai Zimkolo. Die beiden überlebten nur, weil Anna Hackl sie vor der SS versteckte. Ein Gespräch mit Isabella Martens.

„Block K" im KZ Mauthausen: Bei minus acht Grad springen 500 Männer aus den Fenstern des „Todesblock". Für die Totgeweihten ist die Flucht die einzige Chance, am Leben zu bleiben. Die Männer, allesamt sowjetische Kriegsgefangene, werfen Steine und Seifen auf die Wachen, schließen mit nassen Decken den elektrischen Stacheldrahtzaun kurz. Hunderte Flüchtlinge werden nach nur wenigen Metern erschossen. Auf jene, die es über den Zaun schafften, eröffnen die Nazis um 00.50 Uhr die „Mühlviertler Hasenjagd". An der Treibjagd beteiligen sich Schutzstaffel (SS), Sturmabteilung (SA), Hitlerjugend (HJ), Gendarmerie, Volkssturm – und die Bevölkerung!

Uniformierte und Zivilisten brachten Geflüchtete um

Nur elf Kilometer vom KZ entfernt, wohnt Anna Hackl mit ihrer Familie. „Ich hörte in dieser Nacht ein Sirenengeheul. Die SS fuhr durch Winden, forderte die Bevölkerung mit Lautsprechern auf, alle Geflüchteten zu töten. Sie drohten uns allen den Tod an, falls jemand den Geflüchteten helfen würde."

Erbarmen gab es keines. Auf ihrer Treibjagd brachten Uniformierte und auch viele Zivilisten alle Geflüchteten um, die sie fanden. „Die Leichen wurde mit Ochsen durch die Straßen geschleift, dann warfen sie die Toten auf Lastwagen. Die Straßen waren Rot vom vielen Blut".

Noch in der Nacht des Ausbruchs beschließt Annas Mutter Maria, „jedem KZ-Flüchtling, der kommt", zu helfen.

Wenige Tage später stürmte die SS den Hof

24 Stunden später klopfte es an der Hintertür: Draußen stand ein abgemagerter Mann, barfuß und in eine Decke gewickelt. Sein Name: Michail Rybtschinskij. Ein zweiter, Nikolai Zimkolo, versteckte sich. Sofort versorgte die Familie beide Männer, die aus dem KZ geflüchtet waren, mit Essen, richtet einen Unterschlupf am Heuboden ein. „Meine Mutter riskierte mit dieser Entscheidung unser aller Leben. Hätten die Nazis die Versteckten gefunden, wären wir dran gewesen", schildert Anna Hackl. Nur wenige Tage später stürmt die SS mit mehreren Hunden den Hof, doch Anna Hackl kann die Versteckten warnen. Sie bleiben unentdeckt.

Als Heldentat bekannt wurde, bekamen die Familie Drohbriefe

Nach Kriegsende kehrten Zimkolo und Rybtschinskij in ihre Heimat zurück. 19 Jahre später gab es ein emotionales Wiedersehen mit den Rettern.

Als die Heldentat der Familie nach Kriegsende bekannt wird, bekommt sie zahlreiche Drohbriefe und Anfeindungen, bis heute: „Nazis gab es überall, auch lange nach Kriegsende. Vielen hätte es auch gefallen, wenn wir damals aufgeflogen wären."

Das Interview ist Teil einer Zeitzeugen-Serie. Alle Zeitzeugen-Gespräche finden Sie auf www.heute.at/zeitzeugen

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