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"Avengers"-Multiplayer im Test: Wirklich heldenhaft

Aller Unkenrufe und Sorgen zum Trotz: Das neue "Marvel's Avengers" liefert ein Multiplayer-Erlebnis, das Spieler noch Jahre beschäftigen könnte.

Rene Findenig
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    Ist die Einzelspieler-Kampagne von "Marvel's Avengers" nach rund 15 Stunden vorbei, geht das neue Action-Game erst wirklich los.
    Ist die Einzelspieler-Kampagne von "Marvel's Avengers" nach rund 15 Stunden vorbei, geht das neue Action-Game erst wirklich los.
    Square Enix

    Ist die Einzelspieler-Kampagne (hier der "Heute"-Test) von "Marvel's Avengers" (PlayStation 4, Xbox One, Google Stadia, PC und später PlayStation 5 sowie Xbox Series X) nach rund 15 Stunden vorbei, geht das neue Action-Game erst wirklich los. Und über was sich anfangs ziemlich dunkle Wolken aufgrund der Bedenken gelegt hatten, das entpuppt sich als wahrhaft heldenhaftes Abenteuer mit Missionen, die Spieler monatelang beschäftigen werden. Zwar ist dabei nicht alles so spektakulär gestaltet und ein gewisser Grind-Faktor einzurechnen, Zocker bekommen aber mehr als einen simplen Loot-Brawler mit Ingame-Shopping-Wahnsinn.

    Doch von Anfang an: Steigt man nach der Kampagne in den Multiplayer-Modus namens "Avengers-Initiative" ein, ist man erst einmal nicht sonderlich beeindruckt. Der Einstieg funktioniert übrigens auch vor beziehungsweise während der Kampagne, da die Story des Einzelspieler-Modus dort aber fortgesetzt wird, empfehlen wir dies nicht. Zurück zur vermeintlichen Enttäuschung: Am Missions-Tisch poppt anfangs eine Handvoll neuer Missionen auf, die recht unspektakulär wirken: Trainings-Aufgaben, Erkundungs-Gänge und ähnliches schreien förmlich "Loot Grind".

    Die Kampagne bereitet uns nicht vor

    Das ist ein Problem des Spiels: "Marvel's Avengers" liefert nicht nur sich wiederholende Abarbeitungs-Aufgaben, versteckt aber die spannenden Missionen in den Untermenüs. Dieses Verstecken zieht sich durch das Game: Egal ob Missions-Stränge, Skills, Helden-Fähigkeiten, Ausrüstung, Items oder Materialien – wenig ist leicht zu finden und noch weniger leicht zu durchschauen. Wie Ausrüstung die Statuswerte der Helden verändert, was Upgrades bewirken, welche Sammelmaterialien wo eingesetzt werden können und welche Missionen man spielen sollte, all das findet man erst nach Stunden heraus.

    Auch, weil die Kampagne den Spieler auf die Masse an Inhalten nicht vorbereitet: In der Story starten Spieler einfach die nächste Mission, legen gesammelte Ausrüstung mit der automatischen Auswahl-Funktion an und verbessern Items und Skills dann, wenn sie das Spiel per Text-Einblendung dazu aufruft. Erst der Multiplayer zeigt, wie wenig Ahnung man dann von den verschiedenen Reitern der Charaktere hat, in denen Ausrüstung, Fähigkeiten und Co. detailliertest aufgelistet sind. Und es zeigt auch, dass das "Endgame" in Wahrheit erst der Auftakt zum Marvel-Spiel ist.

    Aus "Avengers" wird komplett neues Spiel

    Dass "Avengers" kein Singleplayer-Titel mit Online-Modus ist, sondern ein Multiplayer-Spiel mit Kampagnen-Zusatz, zeigt schon die Story ab etwa der Hälfte. Rekrutiert man die ersten Helden für die wiederverinigten Avengers, mehren sich auch die Koop-Missionen, erst für zwei, dann drei und schließlich bis zu vier Spieler. Gespielt werden kann im Online-Koop übrigens mit Fremden per automatischem Matchmaking, mit eingeladenen Freunden oder aber man bleibt beim Koop mit der Computer-KI, die die fehlenden Plätze des Einsatzteams auffüllt. Empfohlen wird dringend, sich menschliche Unterstützung zu holen. Bisher zeigt die Computer-KI nämlich ziemliche Macken – die des eigenen Teams ebenso wie des Feindes.

    Ist das Ziel einer Mission, einen Punkt auf der Karte mit den Helden zu halten, damit Tony Starks Computer-Intelligenz Jarvis ein System hacken kann, prügeln Teampartner und Feinde manchmal weitab von diesem Punkt aufeinander ein, während man unbehelligt die Zeit abwartet, bis das Hacken abgeschlossen ist. An anderer Stelle wiederum muss ein Zugang durch das Betreten zweier Schaltflächen geöffnet werden – doch der KI-Begleiter weigert sich beharrlich, auf seinen Platz zu spazieren. Zumindest: Die Schalträtsel sind zwar für zwei Spieler gedacht, können aber auch nacheinander von nur einem Spieler ausgelöst werden.

    Beute-Teilung und wichtige Absprache

    Bei menschlichen Mitspielern kommt es oft auf den guten Willen der Kollegen an, und wer kann, sollte mit ihnen per Stimme kommunizieren, um sich abzusprechen. Denn sonst kann es sein, dass man nicht viel von einer Mission miterlebt. Während Anfänger sich noch orientieren und Beute-Kisten plündern wollen, stürmen übermotivierte Spieler gleichzeitig zur Aufgabe und zerlegen etwa die Generatoren als Missionziel in ihre Einzelteile. Bevor man sich versieht und es genießen kann, wird einem dann schon der Abschlussbildschirm eingeblendet. Was aber gut gelöst ist: Um Beute muss man sich nicht prügeln. Egal welches Teammitglied eine Truhe und Co. als erstes findet, alle Mitspieler können die Beute darin einstreifen.

    Picture

    Zumindest in diesem Stadium – die Entwickler haben das Spiel ja auf mehrere Jahre mit immer neuen Figuren und Inhalten ausgelegt – ist die Team-Zusammenstellung noch etwas zu kurz geraten. Zwar gibt es auch hier Tank-, Damage-Dealer- und Heiler-Rollen für die Helden, um ein möglichst abwechslungsreiches Team zusammenzustellen, in der Praxis hat das aber wenig Auswirkung, denn primär wird einfach auf alles eingeprügelt, das im Weg steht, und nicht auf Unterstützungseffekte geachtet. Generell verleitet das Spiel sehr dazu, auf Taktik und Kombos zu pfeifen und alle Feinde direkt zu attackieren, egal ob es sich um einen kleinen Fußsoldaten oder einen riesigen Spinnen-Mech handelt. Gerade die taktischen und spektakulären Manöver in "Marvel's Spider-Man" vermisst man hier.

    Wer will, kann ganz anders kämpfen

    Genug der Unkenrufe: Auch wenn viele Kritiker es anders sehen, die Gameplay-Evolution von der Kampagne zum Multiplayer kann sich sehen lassen. Wer der Verlockung des Button-Mashing widersteht und die Fähigkeiten der Helden mit ihrem Aufleveln freischaltet, kann tatsächlich die Kämpfe mit unglaublich vielen neuen Manövern angehen. Beispiel Iron Man: Teilt er anfangs leichte und schwere Schläge aus und knipst zwischendurch Feinde per Laser gezielt aus, stehen später Schlag-Kombos mit Rundum-Lasern, Raketensalven auf mehrere Feinde und Verkettungen von Angriffen auf der Tagesordnung. Etwas schade ist, dass das Spiel die Zocker nicht mehr dazu motiviert, diese Fähigkeiten verstärkt einzusetzen.

    Kurios ist das Loot-System des Spiels. Einerseits lässt "Marvel's Avengers" die Spieler Dutzende Ressourcen von Comics über Ausrüstung und Kostümen bis hin zu Verbesserungsmaterialien finden oder bei den Ingame-Händlern kaufen. Das macht Spaß, wenn man erst weiß, was man mit den Items überhaupt macht. Dann fuchst man sich etwa in die Ausrüstung ein und erkennt, wie tiefgreifend die Mechaniken eigentlich sind. Die Ausrüstungsgegenstände könne je nach Stufe und Seltenheit nicht nur die Nahkampf-, Fernkampf-, Verteidigungs- und Helden-Werte der Avengers verbessern, sondern auch mehrere Zusatzeffekte wie Heilungsboosts oder Lähmungsboni haben. Das sie keine neuen Schläge und Schüsse möglich machen, ist schade. Dass sie allerdings auch die Optik der Spielfiguren keineswegs verändern, einfach nur seltsam. Egal welchen Brustpanzer oder welche Handschuhe man dem Helden anlegt, die Statuswerte verändern sich zwar, im Spiel sieht die jeweilige Figur aber immer gleich aus.

    Das stärkste Argument für "Marvel's Avengers"

    Schöner ist die Abwechslung bei den Multiplayer-Missionen gelungen. Damit es zu keinen skurrilen Szenen kommt, können übrigens keine doppelten oder mehrfachen Helden in der Koop-Truppe ins Gefecht gehen. Eine Prügelorgie mit vier Hulks bleibt also aus. Spielbar sind bisher Captain America, Iron Man, Hulk, Thor, Black Widow und Ms. Marvel – neue Helden sollen in regelmäßigen Abständen dazustoßen. Egal ob man Aufträge für Fraktionen wie Shield und Pym erledigt, im HARM-Raum knackige Trainings absolviert oder in Landezonen kurze Missionen wie die Zerstörung einer Feindesgruppe abschließt – die Menge an verschiedenartigen Aufträgen, die man über den "War Table" im Spiel auswählen kann, ist gewaltig.

    Zu den zuvor genannten Missionstypen stoßen auch noch absolute Endgame-Aufgaben wie "Hives" mit immer weiter wachsenden Gegner-Herausforderungen, Shield-Vaults mit starken Feinden und lohnendem Loot, Feindes-Sektoren mit einigen bekannten Marvel-Bösewichten als Hauptgegner und "War Zones", in denen man in einer weitläufigen Landschaft Sonderaufgaben wie das Finden von Gegenständen oder das Besiegen von Feinden innerhalb eines Zeitlimts absolviert. Was alle gemeinsam haben und was eines der stärksten Argumente für "Marvel's Avengers" ist: Egal wie kurz oder lang eine Koop-Mission ist, so gut wie jede hat eine kleine oder größere Hintergrundgeschichte mit Videosequenzen und offenbart teils sogar eine ganz neue Quest-Reihe um einen der Superhelden. Spannend wird es zudem, wenn noch riesige Raids Einzug in das Spiel halten.

    Ein wirklich heldenhafter Koop-Brawler

    Der Koop-Multiplayer von "Marvel's Avengers" ist letztlich eine Kopie der Story: Die einzelnen Helden haben Komplikationen, sich wieder zu einem großen Ganzen zusammenzutun, überwinden aber ihre Probleme und formen wieder ein Superhelden-Team. Zwar ist das Spiel selbst noch nicht an diesem Punkt angelangt, an dem man von einem einzigartigen Spiele-Universum sprechen könnte, doch die einzelnen Elemente wie Modi, Missionen, Figuren, Gegenstände und Möglichkeiten sind da und teils großartig. Jetzt liegt es noch an den Entwicklern, sie weiter zu polieren und sie zu einem genialen Gesamt-Erlebnis zusammenzufügen. Dass dies gelingen kann, bezweifeln wir nach unserem Test nicht mehr.

    Die gut gelungene Kampagne lässt schon jetzt wenig zu wünschen übrig, ist aber mit rund 10 bis 15 Spielstunden nicht genug, um sich für ausschließliche Einzelspieler extrem zu lohnen. Anders sieht es für jene aus, die in den Koop einsteigen und mit menschlichen Mitspielern ein Superhelden-Team gründen wollen, um die Spielwelt von "Marvel's Avengers" zu retten. Was uns noch am meisten Kopfzerbrechen bereitet sin die derzeit noch etwas lahme KI, Ausrüstungen ohne optische Veränderungen der Spielfiguren und zu wenige Anreize, um Team-Effekte, Fähigkeiten und Taktik der einzelnen Helden wirklich auszunutzen. Was uns dagegen jetzt schon jubeln lässt, ist die gewaltige Fülle an verschiedenen Aufgaben, die starke Präsenz von Story und Videosequenzen im Multiplayer und die Veränderung des Gameplays mit Aufrüstung jedes Helden. Auch in Comics und Co. kommen die Avengers nicht ohne Probleme aus. Wirklich heldenhaft sind sie trotzdem, und so auch dieses Spiel.