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Wie mein Balkan-Opa die Welt gesehen hat

Mein Großvater hatte seine ganz eigene Sicht auf die Welt, obwohl er nicht wirklich viel davon gesehen hat.

Heute Redaktion
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Mein Opa hat alles erlebt. Er hatte zu allem eine Meinung, von der er sich auch nicht abbringen ließ. Und das, obwohl er eigentlich kaum etwas von der Welt gesehen hat.

Ich hatte eine besondere Bindung zu meinem Opa. Denn er hat mich gewissermaßen großgezogen. Während meine Mama versuchte, in Österreich eine Zukunft für uns aufzubauen, blieb ich bei meinen Großeltern, die sich – so erfuhr ich später – liebevoller um mich kümmerten, als sie es bei ihren eigenen Kindern je getan hatten.

Über diesen Blog

Hallo und herzlich willkommen zu "Hajde", dem Balkan-Blog auf "Heute.at"! Unser Blogger ist zwischen Sarma und Wiener Schnitzeln aufgewachsen. Wie das so ist? Er verrät´s euch in seinen Kolumnen. Übrigens: "Hajde" bedeutet auf Deutsch so viel wie "Los geht´s!"

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Damals gab es noch keine Smartphones, mit denen man sich die Zeit hätte vertreiben können. Einen Fernseher konnten wir uns auch erst viel später leisten. Dafür war Opa mein privates "Hollywood": Er erzählte mir Geschichten, gegen die jeder Tarantino-Film wie ein Mitschnitt einer Wetterkamera aus den Alpen wirkte. Im Nachhinein betrachtet waren die Stories eigentlich eher nichts für einen kleinen Buben. Aber damals konnte ich nicht genug davon kriegen.

Mein Opa war 1938 geboren worden. Im Krieg. Ähnlich wie ich in den 90ern. Er sagte mir oft, dass ich keine Angst haben müsse, keine "Memme" sein solle – und tischte dann Geschichten aus seiner eigenen Kindheit auf, die mich gleichermaßen erschreckten und faszinierten.

So erzählte er mir, wie er als Kind übers Feld rannte, weil er einem Flugzeug folgte. Er habe nicht gewusst, dass es sich dabei um einen Bomber handelte. Erst als aus dem Flieger "Kübel" fielen, so beschrieb er es, sei er weggelaufen. Nur ein paar Meter hinter ihm habe es schließlich eine riesige Explosion gegeben. Seitdem hasse er die Deutschen oder die Amerikaner. Oder beide.

Ob es diese Explosion tatsächlich gegeben hat, weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, dass er ein sehr konkretes Weltbild hatte, welches man um keinen Millimeter verrücken konnte. So wünschte er sich für mich, dass ich irgendwann eine Jugo-Freundin finden, sie heiraten und möglichst viele Söhne mit ihr bekommen würde, um den Familiennamen am Leben zu erhalten. Man muss nämlich wissen, dass er drei Töchter hatte und einen Sohn, der keine Kinder wollte. Eine Tatsache, mit der er nie wirklich klar gekommen war.

Auch nachdem sich meine Beziehung mit meiner "Svabo-Freundin" zum sechsten Mal jährte, ließ er nicht von seiner Hoffnung ab. Er meinte, dass ich noch "zur Besinnung" kommen würde. Von den "Deutschen" hielt er nun mal nicht sonderlich viel. Ebenso wenig von meiner Freundin. Da war er sehr hart und direkt. Sie sei zwar nett, aber keine Frau zum Heiraten. Denn wie in einem früheren Blog schon einmal erwähnt: Kochen war nicht ihre Leidenschaft und die Hausarbeit teilen wir uns auf. Ein No Go für meinen Balkan-Opa.

Generell fand er es komisch, wenn Frauen zu viel "Freiraum" hatten. Deshalb erzählte er mir auch öfters, dass er in den 70ern eine Bar geführt hatte. Und wie sollte es anders sein: In dieser hielten sich hauptsächlich Männer auf. Sie seien nun mal die Privilegierten gewesen, die Alkohol trinken durften. Dass ich überhaupt keinen Alkohol trinke, konnte er nie verstehen.

Im vergangenen Jahr schloss mein Großvater für immer seine Augen. Bis zum Schluss ließ er sich nicht von seinem Weltbild abbringen. So seien Kriege zum Beispiel notwendig. Und: Er würde immer wieder in den Kampf ziehen, wenn es denn sein müsste. Dabei konnte er sich bereits im Alter von 50 Jahren kaum noch bewegen.

Ich muss gestehen, dass ich seine sture Art trotz allem gern hatte. Wahrscheinlich lag das zum großen Teil daran, dass er einfach mein Opa war und sich herzlichst um mich kümmerte, auch wenn er nach außen hin immer den "emotionslosen Krieger" gab. Vielleicht konnte er die Emotionen auch einfach nie so richtig zeigen. Oder er wollte sie nie zulassen.

Auf jeden Fall hoffe ich, er verzeiht mir, dass ich mein Leben komplett gegenteilig lebe, aber trotzdem oft mit einem Lächeln an ihn zurückdenke.

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