Ukraine
Bereits 2023 – "dies könnte Putins Ende bedeuten"
Nach der Explosion auf der Krim-Brücke müsse Wladimir Putin einen Sündenbock präsentieren, sagt ein Russland-Experte. Mit unvorhersehbaren Folgen.
Am Samstag beschädigte eine schwere Explosion die Krim-Brücke. Dabei kamen mindestens drei Menschen ums Leben. Wer dafür verantwortlich ist, ist nicht klar. Die Brücke ist eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen der von Russland annektierten Halbinsel und dem russischen Festland. Russland-Experte Alexander Dubowy über die Gefahr eines harten Gegenschlags der Russen und die Folgen für Wladimir Putin.
„Herr Dubowy, die Ukraine bekennt sich nicht zum Anschlag. Der Lastwagen mit der Bombe kam angeblich von der russischen Seite. Waren es die Russen, die den Anschlag verübten?“
Alexander Dubowy: Das kann mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Es ergibt auch keinen Sinn, dass Russland dahintersteckt. Es ist eine herbe symbolische Niederlage für Russland.
„Weshalb ist der Anschlag auf die Krim-Brücke so bedeutend?“
In erster Linie war es ein Prestigeobjekt von Russland und eine Herzensangelegenheit von Wladimir Putin selbst. Dass die Brücke nun stark beschädigt wurde, schmerzt Putin wohl sehr. Doch auch logistisch hat dies ernstzunehmende Folgen. Die Brücke versorgte die Krim vom russischen Festland. Die russischen Truppen müssen nun anderweitig versorgt werden. Dies wird nun deutlich erschwert.
„Russische Nationalisten und Propagandisten fordern nun einen "harten" Gegenschlag Russlands. Kommt dieser und wie sieht ein solcher aus?“
Ob ein harter Gegenschlag erfolgt, bleibt abzuwarten. Den Krieg gegen die Ukraine wird Putin aber auch aufgrund dieses Anschlags nicht offiziell ausrufen. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass in naher Zukunft die kritische Infrastruktur der Ukraine sowie zivile Objekte inklusive Wohnhäuser als Ziele verstärkt ins Auge gefasst werden.
„Mit welchen Auswirkungen?“
Der Winter naht. Russland könnte Strom- und Wasserversorgung angreifen. Putin kann dadurch die Lage der Bevölkerung extrem verschlimmern.
„Welchen Einfluss hat dies auf den Kriegsverlauf?“
Einen unmittelbaren Einfluss auf den Kriegsverlauf werden diese Maßnahmen nicht ausüben; wohl aber einen mittelbaren. Der Kreml wird mit Angriffen gegen zivile Objekte den Druck auf die ukrainische Regierung enorm erhöhen.
„Mehrfach betonte das Verteidigungsministerium, die Sicherheit bei der Krim-Brücke sei gewährleistet. Werden nun in diesem Ministerium von Putin personelle Änderungen vorgenommen?“
Dass dieser Anschlag überhaupt möglich wurde, ist eine Blamage für die russischen Sicherheitsbehörden. Folgenlos dürfte dies nicht bleiben.
„Werden die militärischen Niederlagen Russlands zu Absetzungen an der Spitze des Verteidigungsministeriums führen?“
Angesichts der Misserfolge der russischen Armee in der Ukraine, der von zahlreichen Skandalen begleiteten Mobilmachung und dem sinkenden Zuspruch des Volkes für den Kreml benötigt Putin dringend einen Sündenbock. Die Absetzung vom Verteidigungsminister Schojgu und Generalstabschef Gerasimov liegt nahe. Diese Absetzung fordert auch der radikale Flügel innerhalb des Kremls. Doch würde sich Putin mit diesem Schritt selbst enorm schwächen und an Einfluss innerhalb der wichtigen Gruppe der sogenannten Silowiki verlieren. Denn die Radikalen fordern Aleksej Djumin als neuen Verteidigungsminister. Gestern Nacht berichtete der Söldnergruppe Wagner und ihrem Gründer Jewgenij Prigoschin nahestehende Telegramkanal über die baldige Absetzung Schojgus. Damit würde der radikale Flügel innerhalb der russischen Führung stark an Einfluss gewinnen.
„Mit welchen Auswirkungen?“
Aleksej Djumin bildet gemeinsam mit Ramsan Kadyrow und Jewgenij Prigoschin das Kernteam der radikalen Kriegsbefürworter. Gegen ein mit formeller militärischer Macht ausgestattetes und agiles Bündnis von Prigoschin-Kadyrow-Djumin kommt Putin kaum an. Sollte Djumin in die Regierung kommen, wird er sofort als Kronprinz und potentieller Nachfolger Putins wahrgenommen werden. Das ist gefährlich für den jetzigen Präsidenten.
„Also ist gar die Präsidentschaft von Putin in Gefahr?“
Nicht nur die Präsidentschaft. Die geschilderten Entwicklungen könnten das Ende Putins bereits im Jahr 2023 bedeuten. Während der Angriff auf die Krim-Brücke für Putin im ersten Moment zwar blamabel, aber nicht katastrophal ist, könnten jedoch die dadurch ausgelösten und von Radikalen geforderten Maßnahmen, wie beispielsweise personelle Rochaden, Putin – nicht nur – sein Amt kosten.