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Dank der Pest bekam die Neuzeit ihre ersten Pornos

Heute Redaktion
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Die Pest war die größte Katastrophe des Mittelalters. Und sie diente als Bühne für den "Decameron" des Italieners Bocaccio (1313-1375), eine Sammlung zum Teil sehr frivoler Geschichten.

Die Pest tötete im Mittelalter geschätzt ein Drittel der Bevölkerung Europas und krempelte die Gesellschaft um. Vielfach wollten die Überlebenden – besonders in den Städten und dessen mächtiger werdenden Bürgertums – nicht mehr nach den christlichen Moralvorstellungen von Adel und Klerus leben.

Das zeigt sich in einem der bedeutendsten literarischen Werke der europäischen Geschichte: dem "Decamerone" von Giovanni Bocaccio, den dieser wahrscheinlich zwischen 1349 und 1353 schrieb. Die Arbeit begann er etwa ein Jahr, nachdem die Pest in seiner Heimat Florenz gewütet hatte. Die Pest dient auch als Rahmenhandlung für die Sammlung von insgesamt 100 Geschichten. Es ist das erste Prosawerk in einer modernen europäischen Sprache (im Gegensatz etwa zu Latein).

Bocaccio beschreibt zunächst eindringlich und realitätsnah wie die Pest in Florenz wütet. Zehn junge Menschen (drei Männer und sieben Frauen) flüchten auf ein Landhaus in Quarantäne und vertreiben sich dort die Zeit indem sie sich dort an zehn Tagen jeweils zehn Geschichten erzählen.

Von Tragik über Komödie bis Porno

Die Geschichten sind nicht nur auch heutzutage noch komisch und auch spannend, sondern zum Teil auch äußerst frivol, erotisch und bisweilen sogar regelrecht pornografisch. Die Kirche und Mönche kommen dabei durchwegs schlecht weg und werden als höchst unmoralisch und oft lüstern dargestellt.

So lässt sich ein christlicher Eremit in einer Novelle beispielsweise von einer jungen Heidin, die etwas über das Christentum erfahren will, dabei helfen, "den Teufel auszutreiben", der von einem Teil seines Körpers Besitz ergriffen hat – gemeint ist eine Erektion, die er beim Anblick der jungen Frau bekommt. Doch diese findet mit der Zeit zuviel Gefallen am "christlichen Gebet", so dass der Eremit an seine körperlichen Grenzen gelangt.

Sexy Geschichten als Flirt

Der Untertitel des Decamerone ist übrigens "Der Prinz Galetto". Das ist für heutige Leser kryptisch, für seine Zeitgenossen aber nicht. Gemeint ist Galehaut, ein zeitweiliger Widersacher von König Artus Freund von dessen Ritter Lancelot. Er ist es, der in einigen Versionen der Geschichte Lancelot und Königin Guinevere verkuppelt und deren ehebrecherische Liebe ermöglicht.

Die Geschichten dienen also sozusagen als Kuppler. So erzählt Bocaccio für jeden der zehn Tage, was die jungen Leute tagsüber auf der Landvilla alles machen, bevor sie sich abends die Geschichten erzählen. Was sie anschließend nachts machen, das überlässt Bocaccio der Fantasie der Leser.

Von der Kirche abgelehnt, über die Jahrhunderte verehrt

Die Herabwürdigung des Kirchenstandes war es auch, die Bocaccio die Ablehnung der Kirche einbrachte. In der Bevölkerung fand Bocaccio allerdings eine breite Leserschaft. Und er fand zahlreiche Nachahmer, auch Shakespeare ließ sich später von Bocaccios Novellen inspirieren.

Auch Maler bedienten sich auf der Suche nach oft erotischen Motiven öfters bei Bocaccio, der in Renaissance und Barock längst zum europäischen Klassiker (und "Bestseller") geworden war.

Auch der Film entdeckte den Decamerone als Quelle für unterhaltsame Geschichten bereits in den 1920er Jahren für sich. Nachdem Pier Paolo Pasolini einige Novellen in seinem Film "Decamerone" (1971) nacherzählte, gab es einen kleinen Boom an zumeist eher billigen Verfilmungen, meist als Erotikkomödien oder gar Pornos.