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Bolschoi-Tänzer muss 6 Jahre ins Straflager

Heute Redaktion
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Es ist der Schlussakt in einem Ballettdrama, das die internationale Kulturwelt erschaudern ließ. Elf Monate nach dem Säureanschlag auf Sergej Filin, den Ballettchef des legendären Moskauer Bolschoi Theaters, hat ein russisches Gericht den Solotänzer Pawel Dmitritschenko schuldig gesprochen. Das Gericht sah es am Dienstag als erwiesen an, dass der 29-Jährige im Jänner zwei Bekannte zu dem Attentat angestiftet hat.

, hat ein russisches Gericht den Solotänzer Pawel Dmitritschenko schuldig gesprochen. Das Gericht sah es am Dienstag als erwiesen an, dass der 29-Jährige im Jänner zwei Bekannte zu dem Attentat angestiftet hat.

Dmitritschenko bekommt für die schwere Körperverletzung sechs Jahre Straflager. Die Anklage hatte für neun Jahre Straflager plädiert. Der Tänzer hatte sich am künstlerischen Führungsstil seines Chefs gestört.

Fast blind trotz 20 Operationen

Der 42-jährige Filin leidet noch immer unter den Verätzungen im Gesicht - auch nach mehr als 20 Operationen in der Augenklinik in Aachen ist er fast blind. Filins Anwältin Tatjana Stukalowa hatte daher eine besonders harte Strafe gefordert.

2 Arbeitslose als Komplizen

Wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurden auch zwei Arbeitslose im Alter von 35 und 32 Jahren. Der 35-Jährige, ein Bekannter von Dmitritschenko, hat Filin in der Nacht zum 17. Jänner Schwefelsäure ins Gesicht geschüttet. Er ist zu 10 Jahren Straflager veruteilt worden. Der dritte Angeklagte, der den Täter gefahren hat, hat vier Jahre Lagerhaft ausgefasst.

Gefährliche Schlangengrube

Schon kurz nach der Tat fand sich das größte Staatstheater Russlands mit seiner weltberühmten Balletttruppe international als gefährliche Schlangengrube in den Schlagzeilen. Tänzer berichteten von einer Welt voller Intrigen, einem bisweilen brutalen Kampf um Rollen, Gastspiele im Ausland und hohe Gagen.

Der Tänzer Dmitritschenko selbst glänzte zuletzt in der Titelpartie des Balletts "Iwan der Schreckliche" um den berüchtigten blutrünstigen russischen Zaren. Als "emotionalen Künstler" beschrieb sich der Solist vor Gericht. Auch wenn er moralisch verantwortlich sei für den Anschlag, habe er Filin nicht schaden wollen, sagte Dmitritschenko aus. Vielmehr hätten seine Bekannten unaufgefordert Filin mit der Säure eine Lektion erteilen wollen. Der Haupttatverdächtige bestätigte diese Version.

Hauen und Stechen

Über Monate zerfleischten sich in diesem Drama öffentlich Theaterfunktionäre sowie frühere und amtierende Mitglieder der mit 220 Tänzern größten Ballettcompagnie der Welt gegenseitig. Einzelne Solisten verließen das Haus. Und am Ende musste auch Intendant Antoli Iksanow seinen Hut an dem skandalumwitterten Theater nehmen. Sein Nachfolger Wladimir Urin soll den Musentempel zur Ruhe bringen.

Zuguterletzt hat der neue Generaldirektor zwei Wochen vor einer Premiere der Verdi-Oper "Don Carlos" Chefdirigenten Wassili Sinajsski entlassen. Der 66-Jährige habe selbst um Auflösung seines Vertrags gebeten. Gründe für die Personalie nannte das größte Staatstheater Russlands nicht. Sinajsski stand bei Premieren - anders als vorher angekündigt - zur Verwunderung vieler Theaterbesucher oft nicht selbst am Pult.

Als Zeuge vor Gericht attestierte der geschasste Startänzer Nikolai Ziskaridse seinem durch den Anschlag fast erblindeten Rivalen Filin ein Regime der Willkür. Immer wieder habe der Ballettchef Dmitritschenko von geplanten Auftritten abgezogen und ihn damit erniedrigt. "Pawel hat viel Talent", sagte der Pädagoge Ziskaridse. Er habe eine große Karriere vor sich gehabt. Viele Mitarbeiter des Theaters hatten sich mit Dmitritschenko solidarisch gezeigt.

Erpressungsvorwürfe

Die frühere Bolschoi-Ballerina Angelina Woronzowa warf Filin als Zeugin sogar vor, sie erpresst zu haben. "Er sagte, dass Dmitritschenko ein unbequemer Mensch sei und aus mir nichts werden würde, wenn ich mit ihm zusammen bin", sagte Woronzowa. Sie war schon vor ihrer Aufnahme am Bolschoi von Filin persönlich gefördert worden.

Filin, der über Monate ausgefallen war, will ungeachtet seiner eingeschränkten Sehkraft und der brodelnden Konflikte seine Arbeit am Bolschoi fortsetzen. Der mit einer Ballerina Verheiratete hatte die künstlerische Leitung des Balletts in den vergangenen Monaten seiner früheren Tanzpartnerin Galina Stepanenko überlassen. Seit Mitte September ist er wieder am Bolschoi präsent - neuerdings stets in Begleitung eines Leibwächters.