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"Reden von Menschen, nicht von Teppichen!"

Heute Redaktion
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Keine nennenswerten Einigungen beim EU-Gipfel in Salzburg zu Migration und Brexit. Wegen Quoten und Zahlungen für Flüchtlinge platzte Luxemburgs Regierungschef der Kragen. Ein Termin für einen Sondergipfel wurde fixiert.

An Tag 2 des informellen EU-Gipfels in Salzburg zu brennenden Themen wie Brexit und Migration kam es zu keinen nennenswerten Ergebnissen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk erteilte dem Plan der britischen Regierung zur Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit eine Absage. Der Plan von Premierministerin Theresa May „wird nicht funktionieren", sagte Tusk. May hatte für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen vorgeschlagen, dass beide Seiten ein Freihandelsabkommen schließen. Es soll demnach keine Zölle auf Waren geben – aus ihrer Sicht würde dies auch das Problem mit der künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland regeln. Ausgenommen wären aber Dienstleistungen. Dies lehnt die EU jedoch kategorisch ab, weil sie Wettbewerbsverzerrungen durch britische Anbieter fürchtet.

Der geplante EU-Sondergipfel zum „Brexit" im November (17. oder 18.) wird nur stattfinden, wenn es bis zum regulären EU-Gipfel in vier Wochen genug Fortschritte in den Gesprächen geben wird. Das Treffen des Europäischen Rates im Oktober sei der „Moment der Wahrheit" für die Briten, warnte Tusk weiter. Dort erwarte man „maximalen Fortschritt und Ergebnisse."

Die EU und Großbritannien wollen eine "harte" Grenze mit Kontrollen vermeiden, um das Karfreitagsabkommen von 1998 zur Beilegung des blutigen Nordirland-Konflikts nicht in Gefahr zu bringen. An den Details spießt es sich aber bisher.

Die britische Regierungschefin Theresa May sagte: "Wir sind darauf vorbereitet, dass es keinen Deal gibt." Das von ihr unterbreitete Angebot sei „der einzig ernsthafte und glaubwürdige Vorschlag".

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), als EU-Vorsitzender Gastgeber der Runde, will einen "harten Brexit" um jeden Preis vermeiden. "Wir bemühen uns um einen Kompromiss." Gleichzeitig sei aber auch Kompromissbereitschaft Mays gefordert.

Laut slowakischem Regierungschef Peter Pellegrini gebe es vor allem in der zentralen Frage zwischen dem britischen Nordirland und der in der EU verbleibenden Republik Irland (siehe Info-Kasten) keine Bewegung.

Luxemburgs Premier platzt der Kragen

Luxemburgs liberaler Premier Xavier Bettel (45) zeigte sich in Anbetracht des Geschachers um Flüchtlinge genervt. Er lehnte es ab, für Geflüchtete Geld zu bezahlen. „Wenn wir anfangen darüber zu sprechen, was der Preis eines Menschen ist, ist das eine Schande für uns alle", sagte er. „Wir sprechen von Menschen, nicht von Teppichen, von Waren."





EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rückte von der Haltung ab, dass alle Mitgliedsstaaten zumindest einige Menschen aufnehmen müssten. Stattdessen forderte er von Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, andere Beiträge zur Migrationspolitik, wie es östliche EU-Staaten fordern: „Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die, die das nicht wollen, nicht können – obwohl sie es müssen –, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen." Juncker will auch, dass sich die EU noch in diesem Jahr auf einen besseren Außengrenzschutz verständigt. Dafür sprach sich am Donnerstag auch die deutsche Kanzlerin Merkel aus.

Gegenwind gab es zum Kommissionsvorschlag, die Grenzschutzagentur Frontex bis 2020 auf 10.000 Einsatzkräfte aufzustocken und ihr Mandat zu erweitern. Kritisch zeigte sich dazu etwa Ungarns Premier Viktor Orban, der um die Souveränität und Hoheitsrechte seines Landes fürchtet.

Ägypten winkt ab

Man wolle die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten wie Ägypten im Bereich Migration ausbauen. Mit Ägypten habe sich erstmals ein Land in Nordafrika bereiterklärt, mit der EU vertieft über Migrationsfragen zu sprechen, sagte Kurz Donnerstagfrüh. Die Regierung dort verhindere seit 2016, dass Schiffe mit Flüchtlingen nach Europa ablegen. Bisher hatte sich kein afrikanisches Land bereiterklärt, ein „Anlandezentrum" einzurichten, wie sie auf dem EU-Gipfel Ende Juni vorgeschlagen wurden. Ein Treffen der EU mit der Arabischen Liga im Februar stand vorerst im Raum. Doch Ägypten winkte überraschend ab: ein Flüchtlingszentrum für im Mittelmeer Gerettete kommt nicht in Frage, wie eine ranghohe Mitarbeiterin des Außenministeriums in Kairo laut der Zeitung „Egypt Today" (Onlineausgabe) bekanntgab.

Es geht weiters um die Frage, ob EU-Mitgliedsstaaten, die keine Migranten aufnehmen wollen, einen finanziellen Beitrag leisten sollen. "Einige Länder, die keine Migranten aufnehmen, haben sich bereits zur Zahlung des finanziellen Beitrags bereit erklärt", berichtete Italiens Regierungschef laut ANSA.

Tusk fordert ein "Ende der Schuldzuweisungen". Für ihn "funktioniert" der Grenzschutz und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Er kritisiert jene Länder, die das Migrationsthema für "politische Spiele " missbrauchen. Die Neuankünfte von Flüchtlingen seien von 2 Millionen 2015 "auf weniger als 100.000 heuer" gesunken. "Das ist weniger als in den Jahren der Krise. Trotz der aggressiven Rhetorik bewegen sich die Dinge in die richtige Richtung", betonte er.

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