Politik

Lunch mit der Kanzlerin: "Es ist, wie es ist"

Heute Redaktion
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17 Tage im Amt, jetzt lud Brigitte Bierlein Journalisten zu sich ins Kanzleramt. Was es zum Lunch gab, was sie von sich gab und ein paar weitere Begebenheiten.

So kurz, so lange her. Der Kontrast könnte größer nicht sein. Wer sich vor nicht einmal drei Wochen in den ersten Stock des Kanzleramtes verfügte, konnte ebendort auf einen Regierungschef treffen, selbstbewusst bis ins Haargel und in so erwartungsfroher Heiterkeit, als rechnete er jede Sekunde damit, den Schlüssel zum Bernsteinzimmer ausgehändigt zu bekommen.

Nun steht eine Kanzlerin vor der Tür ihres Büros und begrüßt alle mit dem freundlichen Lächeln einer Queen, die zum Tee in den Salon bittet. Ihr Händedruck ist sanft, sie wirkt kleiner und zierlicher als erwartet, unsicherer auch und etwas verloren in diesen Stuben, ein bisschen so wie jemand, der auf Airbnb ein helles Zimmer in der City gebucht hat und im Park Hyatt gelandet ist.

Prosciutto und Zuckermelone

Als Sebastian Kurz im Dezember 2017 ins Kanzleramt einzog, entschied er sich fürs Kreisky-Zimmer als Büro, wohl auch damit ein paar Strahlen Ruhm vom Sonnenkönig auf ihn abfallen mögen. Der Raum aber war seiner Nachfolgerin nun „zu düster und zu dunkel".

Brigitte Bierlein hat ihre Zelte im Metternich-Zimmer aufgeschlagen, schon Wolfgang Schüssel residierte hier. So kurz, so lange her. Vor kaum mehr als zwei Jahren saß ich mit Christian Kern eines Morgens hier an demselben, langen Tisch. Bei Prosciutto und Zuckermelone erläuterte mir der damalige Kanzler seine 14 Bedingungen, die er der FPÖ für eine etwaige Regierungsbeteiligung stellen wollte. Ich sag einmal so: Der Schinken war gut.

Bis auf eine Installation von Brigitte Kowanz namens "beyond words" (unbeschreiblich) sind die Wände jetzt im Metternichzimmer noch kahl. Aber ein Prachensky und ein Mikl, beides aus der Sammlung Essl, sollen bald hier hängen – aus Bierleins altem Büro im Verfassungsgerichtshof, sie konnte es noch nicht einmal ausräumen.

Eine Nacht lang Bedenkzeit

Der Aufstieg kam über Nacht. "Kanzlerin zu werden, lag nicht in meiner Lebensplanung", sagt sie. "Vor drei Wochen war meine Welt noch in Ordnung", fügt sie lächelnd an. Nun wirkt die Kanzlerin, als würde sie keinen Tag länger im Amt bleiben wollen, als sie muss. „Es ist, wie es ist," sagt sie. Den Satz verwendet sie öfter an diesem Tag.

„Der Bundespräsident hat mich am Mittwoch vor dem Feiertag angerufen", erinnert sie sich an den 29. Mai. „Wir hatten ein langes Gespräch, er wollte sofort eine Antwort von mir, die konnte ich ihm nicht geben, weil ich erst meine Nachfolge im Verfassungsgerichtshof regeln musste. Ich habe mir eine Nacht Bedenkzeit erbeten."

Nun legt sie jedes Wort auf die Waagschale, ohne dass man weiß, was in der zweiten Schale dagegen aufgewogen wird. Sie wolle mit allen reden, alle einbinden, viele Gespräche führen. Dieses hier besteht aus meist kurzen Sätzen. Es ist, als hätte Bierlein eine Schere im Kopf, die automatisch alles wegschneidet, woraus ihr ein Strick gedreht werden könnte.

Wen sie als EU-Kommissionspräsident unterstützt? „Ich werde mich am Mittwoch mit den Parteien im Hauptausschuss darüber beraten. Ich gehe mit keinem Vorschlag in die Gespräche, sondern ergebnisoffen", sagt sie. Und: „Ich hatte in dieser Frage keinen Kontakt zum früheren Kanzler Sebastian Kurz."

Das hätte Kurz anders gemacht

Mit den vielen Beschlüsse im Parlament, die Geld kosten, habe sie „keine Freude, aber der Vorgang ist zulässig". Sie habe jedenfalls ihre "Überraschung diesbezüglich zum Ausdruck gebracht". Die meisten ihrer Vorgänger hätten in solchen Situationen kräftig auf die Pauke geschlagen, Bierlein greift in Zithersaiten.

Die neue Kanzlerin ist keine Politikerin. Man merkt es an Kleinigkeiten. In der Mitte des Tisches ist ein kleines Buffet aufgebaut, Gebäck mit Wurst oder Käse, Zimtschnecken dazu. Keiner rührt etwas an. Bierlein vergisst den Lunch vor sich, zu dem sie geladen hat. Sie gönnt sich einen Espresso, den Zucker lässt sie weg.

Kurz hätte in dieser Stunde fünf Fragen nicht beantwortet, aber drei Insta-Bilder rausgehaut, allesamt hätten sie wohl gezeigt, wie er hierhin oder dorthin deutet. Vorab hätte er einen Videoclip für Social Media aufgenommen, wie immer hätte er wohl zu Beginn die Augenbrauen hochgezogen, die Arme nach oben gerissen und eine leichte Bewegung nach vorne gemacht, so als würde er den Bob "Österreich 1" in den Innsbrucker Eiskanal schieben wollen.

Mode ist "part of the job"

Brigitte Bierlein schiebt nichts an. Sie trägt an diesem Tag einen eleganten, schwarzen Hosenanzug, pinkes Top, Modeschmuck, eine Kette wie aus Klangschalen um den Hals, die Frisur ist hochgesteckt. Dass ihr Style in Medien kommentiert wird, störe sie nicht. „Das ist part of the job," sagt sie.

Es muss trotzdem seltsam sein. Du mühst dich 40 Jahre im Job nach oben, bist die erste Frau in fast allem, was du anpackst. Männer finden das cool, solange du ihnen nicht in die Quere kommst. Und dann bist du mit 70 die erste Kanzlerin im Land und am nächsten Tag steht in der Zeitung, welche Tasche du getragen hast und wie toll dein Kleid war. Es ist wohl wirklich wie es ist.

Beim Lunch nun sitzt Bierlein wieder 10 Männern und nur zwei Frauen gegenüber, sie kennt das. Sie hat keine Angst vor uns , eher vor sich. Dass sie etwas Falsches sagt. Als Richterin kannst du wochenlang an Formulierungen feilen, als Politikerin musst du in der Sekunde antworten und was du sagst, wird dir Monate vorgehalten, zuweilen auch ein ganzes Leben lang.

Das "Geheimnis" ihrer Tasche

„Ich bin froh, wenn ich diese Periode gut für die Bürgerinnen und Bürger zu Ende bringen kann", sagt Bierlein und es klingt erneut als würde sie ein rasches Ende herbeisehnen. Sommerurlaub sei keiner vorgesehen, nie einer geplant gewesen, auch als das Amt noch gar nicht zur Debatte stand. Weitere Pläne hat sie nicht, Politikerin will und wollte sie ohnehin nie sein. „Das Amt der Bundespräsidentin strebe ich nicht an."

Es ist wohl so: In einer paar Monaten wird diese Episode im Kanzleramt für sie nicht mehr präsenter sein als ein Fotoalbum am iPhone.

Als wir gehen wollen, deutet sie auf ihre angeblich 1.700 Euro teure Louis-Vuitton-Bag, die sich hinter ihrem Schreibtisch am Boden versteckt hat. Zehn Jahre sei die alt, sagt sie. Einige Freunde hätten Geld zusammengelegt und sie ihr geschenkt. Sie trage überhaupt keine teure Mode. "Nein, nein", wirft ein Reporter ein, sie brauche sich für ihr Styling nicht zu rechtfertigen.

Seltsame Zeiten. Aber es ist eben, wie es ist.

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