Politik

"Ich hoffe, es kommt nicht zu Gewaltbereitschaft"

Heute Redaktion
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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Gespräch mit "Heute" über die Digitalsteuer, Migration und wie Österreich vom Brexit profitieren könnte.

"Heute.at": Die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer werden ja unter Ihrer Ratspräsidentschaft nicht wie geplant umgesetzt. Sind Sie statt der Finanztransaktionssteuer für eine Wiedereinführung der Aktiensteuer? Kommt jetzt vielleicht eine österreichische Digitalsteuer?

Sebastian Kurz: Wir sind weiter für eine Finanztransaktionssteuer. Auch wenn die Gruppe der Mitgliedstaaten in der EU, die diese will, leider nicht sehr groß ist. Was die Besteuerung von digitalen Großkonzernen betrifft, sind wir Gott sei Dank in unserer Ratspräsidentschaft ein gutes Stück weitergekommen. Es gibt mittlerweile einen Konsens für eine Werbeabgabe für diese Unternehmen. Das ist einmal ein erster wichtiger Schritt und ich hoffe, dass die Länder, die die volle Digitalsteuer nach wie vor blockieren, ihre Blockade aufgeben. Wenn es keine europäische Lösung gibt, dann werden wir eine österreichische versuchen.

Ihre Pläne zur geplanten Aufstockung der EU-Grenzschutzagentur Frontex bis 2020 auf 10.000 Mann bzw. zu den Asyl-Anlandeplattformen gehen bis Jahresende nicht auf. Was haben Sie bei den Zielen: "Hilfe vor Ort", "Bekämpfung der Fluchtursachen", "Rückführungsabkommen" erreicht?

Wir haben mittlerweile einen Rückgang der Ankünfte um 95% im Vergleich zum Jahr 2015, und haben die zentrale Mittelmeerroute ist mittlerweile geschlossen. Nach Jahren, in denen meine Position verteufelt und kritisiert worden ist, haben wir uns in der EU durchgesetzt.

Zu Frontex: Es gab zwei Ziele. Einerseits die personelle Aufstockung, andererseits aber auch das neue Mandat, welches mir noch viel wichtiger erscheint. Es ist ja nicht nur entscheidend, wie viele Menschen etwas tun, sondern auch, was, und mit welchem Ziel. Das neue Mandat bedeutet eine Stärkung von Frontex bei Abschiebungen und Rückführungen, sowie die Möglichkeit, mit Drittstaaten zu kooperieren. Also etwa die libysche Küstenwache zu schulen.

Das wiederum ist entscheidend für die Bekämpfung der illegalen Migration. Denn solange die Rettung im Mittelmeer mit einem Ticket nach Europa verbunden ist, kommen extrem viele Menschen zu uns, Schlepper verdienen einen Haufen Geld und unfassbar viele Menschen sterben, weil sie im Mittelmeer ertrinken. Dadurch, dass es jetzt einen Systemwechsel dazu gibt, dass jetzt mehr und mehr Rettung von Transitländern durchgeführt werden, werden die Menschen nicht mehr nach Europa gebracht, sondern eben zurück in diese Transitländer.

Wären diese Ziele nicht bei dem (unverbindlichen) UN-Migrationspakts enthalten gewesen? Warum haben Sie sich geweigert, diesen zu unterzeichnen?

Der Migrationspakt ist eine Selbstverpflichtung. Es gibt sehr viele Länder, die diese unterschreiben. Bei der Umsetzung hapert es dann oft. Es gibt positive Aspekte in diesem Migrationspakt, es sind aber auch Aspekte dabei, die ich persönlich ablehne, wie etwa die Vermischung zwischen der Suche nach Schutz (Asyl) und der Arbeitsmigration (Zuwanderung). Seit meiner Zeit als Staatssekretär für Integration predige ich, dass man zwischen Asyl, Integration und Zuwanderung unterscheiden muss. In diesem Pakt wird aber alles vermischt. Übrigens, wie fälschlicherweise oft berichtet wird, stehen wir mit dieser Einschätzung ja nicht alleine da. Slowakei, Tschechien, aber auch Bulgarien, Israel oder Australien haben diesen Pakt auch nicht unterzeichnet.

Wie beurteilen Sie die Bewegung der Gelbwesten?

Trennen wir zunächst zwei Bereiche. Das eine ist die Politik von Präsident Macron – diese ist in vielen Bereichen gegensätzlich zu der Politik, die wir hier in Österreich betreiben. Macron hat jetzt die Steuern erhöht, vor allem auch für kleine Einkommen, wir hingegen senken die Steuerlast von kleinen und auch mittleren Einkommen, vor allem auch im Familienbereich. Macrons Politik steht in vielen Bereichen gegenteilig zu der Politik, die diese Bundesregierung unter meiner Führung vorantreibt. Insofern habe ich auch Verständnis für einen anderen politischen Zugang, weil ich hier in Österreich ja auch einen anderen Zugang zur Politik lebe.

Allerdings: Jede Form von Gewalt ist auf das Schärfste zu verurteilen. Bei den Gelbwesten-Protesten haben sich jetzt gewaltbereite Links- und Rechtsextreme zusammengetan um Autos anzuzünden und zu versuchen, die Champs-Elysee zu verwüsten und haben dabei auch Menschen verletzt. Das darf nicht toleriert werden.

Befürchten Sie, dass diese Proteste auch nach Österreich überschwappen?

Also, wir haben regelmäßig die Donnerstags-Demos gegen die Bundesregierung. Ich glaube, dass Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wichtige Grundrechte sind, allerdings hoffe ich sehr, dass es hier nicht zu Gewaltbereitschaft kommt.

Nach dem Abschiebefall in Vorarlberg (eine sich illegal in Österreich befindliche, iranisch-armenische Familie wurde auseinandergerissen, Anm.) fordert Landeschef Wallner ein Mitspracherecht der Länder beim humanitärem Bleiberecht, raschere Asylverfahren und, jugendlichen Asylwerbern den Abschluss einer begonnenen Lehre zu ermöglichen. Gibt es da Chancen zur Umsetzung einer oder mehrerer dieser Forderungen?

Die Punkte widersprechen sich teilweise. Das Mitspracherecht der Länder wurde im Jahr 2014 unter sozialdemokratischer Führung und mit Zustimmung der Länder abgeschafft, weil man der Meinung war, dass die Asylverfahren rascher ablaufen sollten. Den konkreten Abschiebefall in Vorarlberg habe ich heftig kritisiert. Hier ist eine Mutter von ihrem Kind getrennt worden. Das war ein Fehler der Vorarlberger Beamten, der so nicht stattfinden darf.

Ich bin für Ordnung in der Migrationsfrage. Ich bin dafür, dass wir als Staat entscheiden wer zuwandern darf, und wer nicht. Aber ich bin für eine menschliche Behandlung. Und das bedeutet, dass, auch wenn Abschiebungen stattfinden, sollen diese dem rechtlichen Standard entsprechend erfolgen – und die Rechtslage ist hier ganz eindeutig: Kinder sind nicht von ihren Müttern zu trennen!

Warum soll man jugendlichen Asylwerbern nicht den Abschluss einer begonnenen Lehre ermöglichen?

Es braucht rasch Klarheit, ob jemand dableiben darf oder nicht. Sobald er bleiben darf, hat er sofort vollen Arbeitsmarkt-Zugang. Ich halte es nicht für sinnvoll, dass zuerst der Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolgt und dann erst entschieden wird, ob jemand dableiben darf oder nicht. Insofern bin ich auch bei der Lehre der Meinung, dass es wichtig wäre, die 10.000 arbeitslosen Asylberechtigen unter 25-Jahren, die wir in Österreich haben, in den Arbeitsmarkt zu bringen. Und ich kann nur jeden Betrieb ersuchen, der sagt, er findet keinen Lehrling, einen der 10.000 Asylberechtigten unter 25-Jahren einzustellen.

Der aktuelle Sicherheitsbericht zeigt, dass die Kriminalitätsrate in Österreich zwar sinkt. Aber: Es gibt mehr rechtsextreme Delikte. Was konkret macht die Regierung dagegen?

Wir haben bewusst als Bundesregierung in zwei Bereiche besonders investiert: in Bildung und Sicherheit. Insbesondere rechts- und linksextreme Gewalt sind ein Problem. Man sieht das ja im Moment in Frankreich bei den Protesten der Gelbwesten. Insofern braucht es eine starke Polizei, eine ordentliche Aufklärungs- und Bildungsarbeit, sowie sehr strenge Gesetze und harte Strafen – da sind wir etwa mit dem Verbotsgesetz in Österreich sehr gut aufgestellt.

Antisemitismus ist laut neuem Bericht auch bei uns gestiegen. Österreich hat den Kampf gegen Antisemitismus zu einer Priorität seines Ratsvorsitzes gemacht. Was genau wurde da getan?

Das war ein großer Erfolg des österreichischen Ratsvorsitzes. Uns war es wichtig, dass man in einer Zeit, in der sich immer mehr Jüdinnen und Juden in Europa nicht mehr sicher fühlen und tausende Jüdinnen und Juden Frankreich und einige andere Länder verlassen, um sich in Israel ein neues Leben aufzubauen, aktiv wird – aktiv wird. Wir haben die erste europäische Antisemitismus Konferenz abgehalten mit allen jüdischen Gemeinden. Unser Engagement und die unter unserem Ratsvorsitz erreichte Erklärung gegen Antisemitismus wurde von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu positiv bewertet.

Wie beurteilen Sie den anhaltenden Boykott Israels gegen Ihren Regierungspartner FPÖ?

Das Verhältnis Israel-Österreich ist so gut, wie noch nie. Wir haben das Sicherheits-Bedürfnis Israels in diesem Jahr zur Staatsräson erklärt. Wir haben einen engen Austausch mit Israel im wirtschaftlichen, politischen und menschlichen Bereich. Es ist mir auch ein Anliegen, dass wir mit unserer historischen Verantwortung ein enger Partner für Israel sind und umgekehrt.

Der zweite Bereich ist der parteipolitische Kontakt, da hat sich Israel schon vor langer Zeit dazu entschieden, keinen Kontakt zur FPÖ zu haben. Das ist eine Entscheidung Israels.

Sie waren ja letzte Woche in Afrika zu Gast, haben dabei auch ein Flüchtlingslager besucht. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ein Flüchtlingslager betreten?

Zum einen natürlich ein Mitgefühl und Mitleid mit diesen Menschen, die dort unter so furchtbarer Armut leben müssen. Und natürlich beschäftigt einen die Frage, wie man diesen Menschen am besten helfen kann. Das funktioniert sicherlich durch Hilfe vor Ort, durch die wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Staaten, wodurch Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen werden, und sicherlich nicht durch die unbegrenzte Aufnahme in Mitteleuropa.

Was viele afrikanische Politiker oft zurecht kritisieren. Mit jenem Geld, das man in Österreich für die Versorgung von Flüchtlingen braucht, könnte man in Afrika selbst der vielfachen Anzahl von Menschen helfen.

Ihre Erwartungen für den Afrika-Gipfel?

Die afrikanischen Staaten leiden darunter, dass es wenig Unterstützung von der EU bei der wirtschaftlichen Entwicklung in ihren Staaten gibt. Hier sind die Chinesen viel aktiver. Wir wollen diese Staaten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung fördern, neben der klassischen Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben daher ein großes Wirtschaftsforum mit fast 1.000 Teilnehmern abgehalten, darunter die größten europäischen Unternehmen, wie Vodafone, BMW, Nokia ab. Ziel: mehr Investitionen europäischer Firmen in Afrika. Dadurch sollen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze geschaffen werden und so die Menschen nachhaltig aus der Armut kommen.

Sie sagten nach dem EU-Gipfel, die EU werde das Brexit-Abkommen mit Großbritannien nicht wieder aufmachen und neu verhandeln. Kann Österreich vom Brexit profitieren, wie sich das der Finanzminister erhofft?

Der Finanzminister hat Recht, wenn er davon spricht, dass sich durch den Brexit manche Unternehmen und Institutionen von Großbritannien abwenden und sich eine neue Heimat in anderen Mitgliedsstaaten suchen werden. Da sind wir natürlich schon gerne bereit, diese Heimat zu bieten.

Was den Brexit betrifft und die Frage, ob nachverhandelt wird - das ist etwas komplizierter. Es gibt 2 Abkommen. Zum einen das über 500 Seite lange Austrittsabkommen, dass jetzt über eineinhalb Jahre lang ausverhandelt wurde. Das wird sicher nicht erneut geöffnet!

Es gibt aber auch eine politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen. Diese ist wesentlich kürzer und nicht sehr detailliert und da gibt es noch einen gewissen Bewegungsspielraum, um aufeinander zuzugehen. Aber irgendwann kommt der Tag der Wahrheit und dann muss es in Großbritannien zu einer Abstimmung über den ausverhandelten Deal kommen. Gibt es da keine Mehrheit, so wird ein sogenannter "Hard-Brexit" wahrscheinlicher – also ein sogenannter ungeordneter No-Deal. Dann wäre all das Regelwerk, das momentan die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU regelt, auf einen Schlag bedeutungslos. Gleichzeitig wäre aber auch noch kein neues Regelwerk vorhanden. Das kann natürlich zu massiven Einschnitten für die Wirtschaft, den Flugverkehr, die Personenfreiheit und in vielen weiteren Bereichen führen.

Ist es denkbar, dass doch kein Brexit kommt?

Ich bin kein Hellseher und arbeite mich in dieser Frage des Brexits lieber sachlich Schritt für Schritt voran.

In internationalen Medien werden Sie abwechselnd als "Wunderwuzzi"/"The Wunderkind" bzw. "Türöffner für den Rechtsextremismus", oder"Baby-Hitler" erklärt. Wie ernst nehmen Sie solche Kritik, was freut Sie, was ärgert Sie?

Ich habe mich bewusst dazu entschieden mich davon nicht abhängig zu machen. Ich glaube, dass es viel zu viele Politiker gibt, die Meinungsumfragen nachlaufen und die stets versuchen das zu tun, von dem sie glauben, dass es gerade populär sein könnte. Meinungsumfragen und Medienberichterstattung drehen sich aber sehr schnell, vielen von dem was heute populär ist, ist es morgen schon nicht mehr. Insofern habe ich schon früh damit begonnen, mir Kritik sehr zu Herzen zu nehmen, wenn sie von Personen kommt, die mir nahestehen. Wie jeder andere Mensch auch, freue ich mich aber natürlich über Lob.

Können Sie eigentlich noch ganz normal am Freitagabend auf ein Bier gehen ohne dauernd erkannt und angesprochen zu werden?

Die meisten Menschen, die mich ansprechen, sind sehr freundlich. Und ich bin sowieso jemand, der Menschen mag, insofern habe ich auch kein Problem damit mit Menschen in Kontakt zu kommen. Das Gegenteil trifft zu: Ich schätze dieses spontane Aufeinandertreffen eigentlich sehr!