Welt
Bursch spricht Arabisch, wird als Terrorist beschimpft
Ein 16-jähriger Teenager wird als Terrorist bezeichnet, weil er Arabisch spricht. Und einem jüdischen Mann wird auf die Füße gespuckt.
Der Schock beim 16-jährigen A.Z.* sitzt tief. "Ich war letzten Freitag in der Nähe des Bahnhofs in Chur auf dem Nachhauseweg und telefonierte mit meinem Vater", erzählt der Lernende gegenüber 20 Minuten. Da sein Vater libanesische Wurzeln habe, habe er Arabisch mit ihm gesprochen. "Ein älterer Mann kam mir entgegen und starrte mich an. Plötzlich blieb er stehen und sagte: 'Ihr Araber seid doch alle Terroristen.'"
Während der Mann danach weglief, sei er verblüfft stehen geblieben: "Ich wusste nicht, was ich sagen oder machen soll. So etwas ist mir noch nie passiert." Erst später habe er realisiert, was passiert sei: "Der Vorfall beschäftigt mich seither sehr. Ich bin total verunsichert und frage mich, ob auch andere Menschen so denken, wenn sie mich Arabisch sprechen hören."
Dieser Gedanke mache ihn sehr traurig: "Ich kann nichts dafür, was in Israel passiert, und habe nichts mit diesem Konflikt zu tun. Nur weil ich dieselbe Sprache spreche wie die Palästinenserinnen und Palästinenser, bin ich nicht für das Tun der Hamas verantwortlich."
Islamische Verbände befürchten Zunahme
"Dieser Fall ist sehr besorgniserregend", sagt Önder Günes, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (Fids). "Wenn Leute ihren verständlichen Frust über die Angriffe der Hamas an Personen rauslassen, die damit gar nichts zu tun haben, dann begehen sie das gleiche Unrecht, das sie beklagen."
Die Befürchtung, dass solche Vorfälle zunehmen könnten, sei groß. "Personen, die Muslimen gegenüber negativ eingestellt sind, haben nach Ereignissen wie Terroranschlägen eher den Mut, das auch öffentlich zu zeigen." Aktuell sei eine Zunahme noch nicht mit Zahlen zu belegen. "In der Regel dauert es länger, bis Betroffene solche Vorfälle melden."
Laut Günes berichten aber muslimische Frauen mit Kopftuch, dass böse Blicke, Tuscheleien und blöde Sprüche zugenommen hätten. Zudem habe er Kenntnis, dass eine Moschee in Winterthur erst kürzlich eine Drohung über die sozialen Medien bekam. "Auf Schweizerdeutsch stand im Post: Zu euch kommen wir auch noch."
Den Betroffenen rät Günes, offen darüber zu sprechen und den Vorfall den Diskriminations- und Rassismusstellen zu melden, damit Aufklärungsarbeit geleistet werden kann. Zudem könne man die Person vorsichtig und ohne Eskalation konfrontieren. "Bei einer Drohung oder einem körperlichen Angriff sollte aber direkt eine Anzeige bei der Polizei erstattet werden", so Günes.
Das sagt die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
"Es ist schlimm, dass ein 16-Jähriger aufgrund seiner Herkunft oder Sprache beleidigt wurde", sagt Stephanie Graetz von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Während Kriegs- und Konfliktzeiten komme es häufiger vor, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Sprache, ihrer Religion oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit beleidigt oder für den Konflikt mitverantwortlich gemacht würden, auch außerhalb der betroffenen Länder.
Der GRA Stiftung wurde bis anhin kein Angriff auf Muslimas und Muslime gemeldet. Sie wisse aber von antiisraelischen Schmierereien, wie zum Beispiel am Rathaus in Basel, wo Unbekannte "Free Palestine. Keine Solidarität mit Kriegsverbrechern!" an die Wand sprühten, oder auch in Schaffhausen, wo an einer Wand ein Davidstern mit dem Wort Terrorist gleichgesetzt wurde.
In der Westschweiz seien der Cicad (Coordination Intercommunautaire contre l’Antisémitisme et la Diffamation) zudem Vorfälle an Schulen gemeldet worden. "Schüler wurden mit 'Vive la Palestine', 'Free Palestine' angesprochen, oder 'ihr dreckigen Juden, es lebe die Hamas, sie hätten mehr töten sollen'", sagt Cicad-Sekretär Johanne Gurfinkiel. Mit solchen Äußerungen hätten sich Teenager an israelische Mitschüler gewandt.
"Auf die Füße gespuckt"
Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG, beobachtet die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. Bei den ihm bekannten antisemitischen Vorfällen handle es sich größtenteils um Schmierereien, aber auch um beleidigende Zuschriften und E-Mails an den Gemeindebund.
Kürzlich habe er von einem physischen und verbalen Übergriff im öffentlichen Raum erfahren: "Im Kanton Zürich wurde ein jüdischer Mann, der eine Kette mit Davidstern trug, von zwei Jugendlichen angegangen. Sie haben ihm auf die Füße gespuckt und ‹Free Palestine› geschrien." Antisemitische Vorfälle könne man direkt bei der Meldestelle des SIG melden. Bei einer Bedrohung rät Kreutner, die Polizei zu alarmieren.
*Name der Redaktion bekannt