Blankes Entsetzen herrscht weltweit nach den Funden Hunderter Leichen von Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha am Sonntag. Auch in weiteren Dörfern und Städten rund um Kiew wurden Zivilisten durch die russische Armee massakriert. Präsident Wolodimir Selenski spricht von einem "Völkermord".
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Noch drastischer fallen die Schilderungen von Butschas Bürgermeister Anatoly Fedoruk aus. "Meine Leute wurden aus Spaß oder aus Wut erschossen", sagte Fedoruk der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". "Die Russen haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat: Passanten, Leute auf Fahrrädern, Autos mit der Aufschrift 'Kinder'. Butscha ist die Rache der Russen für den ukrainischen Widerstand." Weil Russland militärisch nicht weitergekommen sei, "wurde eine Safari auf Zivilisten organisiert", meinte er. Teile der Stadt seien "in ein Konzentrationslager umgewandelt worden" ohne Essen und Wasser. "Wer sich da raus wagte, um Nahrung zu suchen, der wurde erschossen."
Jetzt enthüll ein Fotoreporter der "Associated Press (AP)" ein besonders tragisches Schicksal aus dem Ort, der seit Sonntag für die Gräueltaten des Ukraine-Krieges steht. Fotograf Rodrigo Abd besuchte am Montag den kleinen Vlad Tanyuk (6). Der Kriegs riss Vlads Mutter Ira aus dem Leben. Sie sei in Butscha verhungert, berichtet die AP.
Abds herzzerreißende Fotos, die einen Tag nach dem Bekanntwerden des Massakers geschossen wurden, enthüllen nun das brutale Gesicht des Krieges: Darauf zu sehen: der kleine Bub während er gezeichnet vom Krieg und mit gesenktem Blick neben dem Grab seiner Mutter steht. Die Frau wurde laut AP im Vorgarten des Hauses beerdigt. Weitere Details zu ihrem Tod sind nicht bekannt.
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verzeichnete nach eigenen Angaben mehr als 7.000 Meldungen über russische Kriegsverbrechen in der Region um die Hauptstadt Kiew. Die meisten Opfer habe es in Borodjanka gegeben, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa der Agentur Unian zufolge. "Ich denke, wir werden gesondert über Borodjanka sprechen."
Die grauenhaften Bilder aus Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen auf den Straßen gefunden wurden, hatten am Wochenende Entsetzen ausgelöst. Die Ukraine macht für das Massaker russische Truppen verantwortlich, die die Stadt besetzt hatten. Der Kreml verbreitete daraufhin Falschinformationen, stritt ab und sprach von einer "Inszenierung".
Videos und Satellitenbilder aus dem Kiewer Vorort Butscha widerlegen nach einer Analyse der "New York Times" Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten dort erst nach dem Abzug des russischen Militärs platziert worden seien. Satellitenaufnahmen zeigten, dass sich die Überreste mehrerer Menschen bereits Mitte März auf der Straße befanden, schrieb die Zeitung.
US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Gräueltaten in Butscha als eine "vorsätzliche Aktion". Es handle sich nicht um eine "willkürliche Tat einer außer Kontrolle geratenen Einheit", sagte er am Dienstag vor dem Abflug nach Brüssel zum NATO-Außenministertreffen. "Es ist eine bewusste Aktion, um zu töten, zu foltern, zu vergewaltigen und Gräueltaten zu begehen", so Blinken weiter. Die Berichte seien "mehr als glaubwürdig". "Die Beweise sind für die Weltöffentlichkeit sichtbar", sagte Blinken.
Die USA kündigten außerdem an, noch in dieser Woche ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen zu wollen. US-Außenminister Blinken betonte, die USA hätten für den Fall eines russischen Angriffs bereits Gräueltaten vorhergesagt. Nun sei es wichtig, die Beweise zusammenzutragen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Vereinten Nationen wollen die Tötung von mehreren Hundert Zivilisten in Butscha von eigenen Menschenrechtsexperten untersuchen lassen. Das kündigte eine Sprecherin des UNO-Menschenrechtsbüros am Dienstag in Genf an. Derzeit ist ein Team des UNO-Büros mit etwa 50 Mitarbeitern in Uschgorod im Westen der Ukraine stationiert, etwa 800 Kilometer von der Hauptstadt Kiew und dem Vorort Butscha entfernt. Ein Termin wurde nicht genannt.