Österreich

Soll es eine Wien-Quote in überfüllten Cafés geben?

Heute Redaktion
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Touristenschlangen vor Wiens Cafés. Kampf um freie Sitzplätze. Keine Reservierungen bis 6.1. Astro-Kaffeepreise von bis zu sechs Euro. Braucht es eine eigene Quote für einheimische Gäste?

Ein Tag in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr: Vor der K.u.K.-Hofzuckerbäckerei Demel am Kohlmarkt Nummer 14 wird japanisch gesprochen. Wohl auch noch mandarin, koreanisch und so weiter. Eine Menschenschlange von gut 50 Touristen teilt die Nobelmeile in der City in zwei Hälften.

Wer will, kommt auch ohne Warten hinein. Vorbeigedrängt an den kreuzgeduldig Wartenden, herein in den Verkaufsraum. Da stehen sie weiter, brav in Zweierreihen formiert, bis hin zur Stiege, die in die Bel Etage führt. Selber, als geborener Wiener, steht man zu ebener Erde im Nahkampf mit irrlichternden Demelinerinnen und selfieverliebten Touristen.

Nur sieben Plätze für Wiener an der Bar des Demel

Einzige Chance: Einen der sieben Sitzplätze an der Bar zu ergattern, die auch heiß umstritten und wild umfehdet sind. Hier kann man mit viel Glück eine Lücke finden und sich auf eine Melange für wohlfeile 5,90 Euro niederlassen. Ständig im Rücken angerempelt von Verwerfungen der Warteschlange hinter einem. Echte, jahrzehntelang liebgewonnene Kaffeehauskultur schaut anders aus …

Die Wiener Melange (kurz: Melange) ist eine österreichische Kaffeespezialität. Sie besteht aus einem Teil Kaffee (z. B. Espresso) sowie einem Teil Milch und einer Haube aus geschäumter Milch.Sie wurde erstmals um 1830 in Wien angeboten.

In der Schweiz ist ein Café mélange oder Kafi Melange ein Kaffee mit einer Schlagsahnehaube. Die Schlagsahne wird dann noch mit einer Kaffeebohne garniert. Häufig wird die Schlagsahne auch separat in einem Schälchen serviert.

Quelle: Wikipedia

Aber ist das gerecht gegenüber Wienern in dritter Generation? Seit 1824 werden breitflächig Kaffeehauskonzessionen vergeben, die ersten Brühhäuser wurden Ende des 17. Jahrhunderts eröffnet. Die größten Dichter, Denker und Revolutionäre des Landes haben sich bei einer Melange, einem Cognac und einer Zigarre einen Kopf über den Lauf der Welt gemacht. Die legendäre Anna Sacher hat in ihrem Hotelcafé tout Vienne empfangen. Und jetzt? Jetzt tanzen uns Hundertschaften von Touristen – von denen die Wirtschaft, so ehrlich muss man sein, gut lebt – auf der Nase herum.

Reservieren? Es gilt das freie Spiel der Geduldskräfte

Nachfrage bei der Geschäftsführung des Demel: Man hätte gerne einen Tisch für vier an einem der nächsten Feiertage reserviert. Freundliche, aber bestimmte Auskunft: "Wir nehmen bis inklusive 6. Jänner keine Reservierungen an." Aha – es gilt also das freie Spiel der Geduldskräfte, bis zum Sitzen wartet man schon mal eine geschlagene Stunde. Und dann heißt's schnell konsumieren, man will ja schließlich kein Platzhalter sein.

Also was tun? Chancen suchen. Lücken finden. Den Lebensmut nicht verlieren. Dreimal um die Ecke zum Café Mozart pilgern. Und voll einfahren. Das gleiche Bild, gepflegte Zweierreihen bis weit in den Albertinaplatz hinein. Geschätzte Wartezeit auf eine Melange für nicht minder wohlfeile 5,90 Euro: Wohl auch eine fette Stunde.

"Entschuldigen Sie, jetzt bitte nicht"

Auch hier Anruf bei der Geschäftsführung. Ob man fragen könne, wie das mit Reservierungen so sei. "Entschuldigen Sie. Jetzt bitte nicht, wir sind gesteckt voll. Rufen's bitte später an!"

Ein Blick in die Karte lehrt uns: Man sei "das weltoffene Wiener Kaffeehaus hinter der Staatsoper." Wie wahr, aber wohl nur für die Welt und nicht für Wien…

Betreiber Berndt Querfeld, der auch das legendäre Café Landtmann an der Ringstraße besitzt, wo eine Melange für reduzierte 5,70 Euro zu haben ist, stellt klar: "Was sollen wir denn machen? Wien ist voll mit Tausenden Touristen aus aller Welt und das Mozart steht halt in jedem Reiseführer! Soll ich zwei Warteschlangen einrichten? Eine für Einheimische und eine für Touristen. Soll ich die Melange für Wiener oder Österreicher billiger geben?"

Natürlich nicht, man weiß ja, dass dies den Gleichheitsgrundsatz verletzen würde und umgehend am Tisch eines EU-Richters in Brüssel landen würde.

Cafétier Berndt Querfeld: "Kommen's doch am 7. Jänner zu uns. Da finden Sie ganz schnell einen Platz …"

Aber könnte man nicht ein Kontingent an Sitzplätzen für Einheimische freihalten? Eh nur ein paar? An manchen betriebsschwachen Tagen? Querfeld treffsicher: "Kommen's doch am 7. Jänner zu uns. Da finden Sie ganz schnell einen Platz …"

Und wie sieht noch schnell das Café Central von innen aus?

"Falter"-Chefredakteur Florian Klenk twitterte unlängst: „Sieht eigentlich irgendein Wiener das Café Central von innen? Warum wurde das zu einem Tourismus-Hotspot? Gibt es hier vielleicht am Ende guten Kaffee?" Ja, sei angemerkt, wenn man je hineinkommt und 5,30 Euro zu zahlen gewillt ist.

Medienmacherin und Kunstsammlerin Eva Dichand ("Heute") retweetete das Foto Klenks mit langer Warteschlange vor dem Central. Dichand, die ganz gerne im Café Mozart auf eine Melange vorbeischaut, gelangte zu bitterer Einsicht: "Das ist jetzt leider bei fast allen Kaffeehäusern so. Demel, Landtmann, Mozart, Oberlaa … nur mehr für geduldige Touristen. Bin für eine Wien Quote…"

Verlegerin Eva Dichand: "Ich bin für eine Wien-Quote!"

Im Netz gehen zum Thema Kaffeepreise sowieso längst die Milchschaumwellen hoch. Schreibt einer, frisch zurück von der iberischen Halbinsel: "Hier in Spanien kostet ein kleiner Schwarzer – je nach Lage des Kaffeehauses und Qualität – ein bis zwei Euro. Auch, wenn der Rest der Preise auf ähnlichem Niveau wie bei uns ist."

Melange kostet im Schnitt 2,95 Euro

Einem anderen liegt die pekuniäre Schmerzgrenze viel niedriger: „Drei Euro für ein warmes Wasser mit einem Löffel geriebenem Kaffee und 20 Tropfen Milch. Seid ihr alle deppert?!"

Verlässlichen Berechnungen zu Folge liegt der Preis für eine Melange (gleich viel wert wie ein Cappuccino – siehe Infokasten) mit 2,95 Euro hierzulande im Schnitt an fünfthöchster Position in Europa.

Teurer ist die verflüssigte Bohne nur in den bekannt hochpreisigen skandinavischen Ländern, im Mutterland Italien zahlt man gar nur noch 1,35 Euro für die Tasse. Der Österreicher selbst wünscht sich laut einer Exco-Umfrage zu mehrheitlichen 62 Prozent einen Preis für eine Melange von 2,50 bis maximal 3,00 Euro.

Aber wo gibt's das noch? Im Café Bauchstich an der Favoritenstraße, wo auch nur mit Wasser gebrüht wird …?

Querfeld: "Einheimischen-Quote wäre gleichheitswidrig!"

Einer laut angedachten Wien-Quote für die teuren City-Lokale kann Landtmann-Chef Berndt Querfeld nichts abgewinnen: "Was würden etwa Österreicher auf Frankreich-Urlaub sagen, wenn man in Paris, im weltbekannten Café de Flore, die Pariser gegenüber den Touristen bevorzugen würde? Etwa mit günstigeren Preisen und freigehaltenen Sitzplätzen? Das wäre doch gleichheitswidrig! Außerdem: Ist ein Wiener rein optisch von einem Londoner oder Berliner irgendwie zu unterscheiden? Eher kaum."

Zudem zweifelt Querfeld an der Umsetzbarkeit einer solchen Quote: "Soll ich amtliche Lichtbildausweise verlangen, um zu sehen, ob jemand Österreicher oder Wiener ist? Ist ein Wiener rein optisch von einem Londoner oder Berliner irgendwie zu unterscheiden? Eher kaum."

Hohe Mieten und Personalkosten als Preistreiber

Ortswechsel ins tatsächlich etwas weniger überfrachtete Café Frauenhuber in der Himmelpfortgasse. Dort kommt man vergleichsweise schnell zu einer Melange um 4,90 Euro und der Chef des Hauses, Wolfgang Binder, ist seines Zeichens auch Spartenobmann der Kaffeesieder bei der Wirtschaftskammer.

Folglich sieht er die Preisgestaltung seiner Produkte auch als selbsterklärendes, banales Rechenbeispiel: "Ich habe 20 hochkompetente Mitarbeiter 365 Tage im Jahr von 8 bis 23 Uhr im Einsatz. Ich zahle hier Miete von rund 50 Euro. Pro Quadratmeter. Meine Betriebskosten für eine Melange bewegen sich zwischen 70-80 Prozent des Kaufpreises. Da ist noch keine einzige Bohne mit eingerechnet."

Kaffeehaus-Betreiber Wolfgang Binder: "Wenn ich beim Preis für eine Melange um nur 50 Cent runtergehe, wäre das höchst fahrlässig."

So entstehe seine Preisgestaltung in dem Café, das nebstbei seit 1824 geöffnet hat und das älteste der Stadt ist. Binder, ungemach: "Wenn ich beim Preis für ein Melange um nur 50 Cent runtergehe, kann ich nicht mehr kostendeckend arbeiten. Und das wäre höchst fahrlässig."

Christina Hummel: "Als Kaffeehausbetreiber zahlt man einfach viel mehr als nur den Wareneinsatz von dem, was in die Tasse kommt."

Assistiert wird Winkler von Christina Hummel, Betreiberin des gleichfalls legendären Kaffeehauses in der Josefstadt. Sie verkauft 20.000 Tassen Kaffee pro Jahr und will sich bei der Preisgestaltung genau nix dreinreden lassen: "Als Kaffeehausbetreiber zahlt man einfach viel mehr als nur den Wareneinsatz von dem, was in die Tasse kommt." Nachsatz: "Auch, wenn der Weltmarktpreis für Kaffee einmal nicht steigt."

Einheitspreis für Melange bei der Aida

Leichter hat es da schon die Traditionskette Aida: Egal, ob in einer Filiale in Favoriten oder jener am Stephansplatz – die Melange kostet stringente 4,10 Euro. Das, was betagtere Kunden wegen der Obershaube noch immer "Schale Gold" nennen, muss aber auch finanziert werden. Sprecher Stefan Ratzenberger: "Wir schaffen den Spagat zwischen leistbaren Preisen und hochqualitativen Produkten. Wir kaufen nachhaltig ein, wir produzieren nachhaltig und wir investieren ständig in unsere Filialen. Das alles ist nicht gratis."

Aida-Sprecher Stefan Ratzenberger: "Wir investieren ständig in unsere Filialen. Das alles ist nicht gratis."

Dafür gibt es neuerdings einen Espresso-Shot im biologisch abbaubaren Papierbecher um nur einen Euro. Für schnelle Kunden, im Businessbereich, nicht gedacht für Touristen aus Shanghai, Seoul oder Tokio.

3,90 Euro für Melange im Jugendstil-Juwel

Solche stehen weiterhin geduldig Schlange vor den Türen der Traditionshäuser in der City. Wenn die nur wüssten, dass es das Café Ritter an der Ottakringer Straße 117, draußen in der Vorstadt, eines der schönsten Häuser aus der Zeit des formvollendeten Jugendstils, gibt, wo eine Melange schon für 3,90 Euro zu haben ist. Ganz ohne touristische Blockade und mit freier Tischwahl…