Coronavirus

Darum blühen bei Epidemien die Verschwörungstheorien

Heute Redaktion
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Sowohl in Wien als auch in mehreren deutschen Städten fanden kürzlich Demos gegen Corona-Bestimmungen statt. Dort wimmelte es von Verschwörungstheorien.

Zuletzt fanden in Wien mehrere Mini-Demos gegen die Corona-Maßnahmen statt. Auch in Deutschland versammelten sich rund 1.000 Teilnehmer bei einer illegalen Kundgebung in Berlin sowie mehrere Hunderte in Stuttgart. Auf allen wimmelte es von Verschwörungstheorien aber auch esoterischen und religiösen Wahnideen, etwa in Bezug aufs Impfen.

Die Geschichte zeigt, dass in Zeiten großer Epidemien immer auch Verschwörungstheorien und Paranoia grassierten. Während der großen Pest-Epidemien des Mittelalters kam es in Europa etwa zu Pogromen gegen Juden, die man bezichtigte, die Krankheit bewusst über Brunnenvergiftungen verbreitet zu haben. Nach dem selben Schema werden noch heutzutage antisemitische Verschwörungstheorien konstruiert.

Verschwörungstheorien und Hysterie, die "viral" werden

Während der weltweiten Grippe-Epidemie von 1918 (die "Spanische Grippe"), die in den USA ihren Ausgang nahm, kursierte gerade dort die Theorie, deutsche U-Boote hätten die Seuche freigesetzt.

In den heutigen Zeiten von Fake News, sozialen Medien und viralen Facebook-Posts verbreiten sich solche Gerüchte in Windeseile tausendfach. Auch auf den aktuellen Demos gegen die Corona-Beschränkungen tauchten Verschwörungstheorien aus dem Netz auf: Bill Gates, George Soros und ominöse "Globalisten" werden für das Coronavirus verantwortlich gemacht.

Die "kulturelle Apokalypse"

Der italienische Anthropologe Ernesto de Martino (1908-1965) prägte dazu den Begriff der "kulturelle Apokalypse". Epidemien sind ein unsichtbarer Feind, die Menschen fühlen sich schutzlos einer nicht greif- und wahrnehmbaren Macht ausgeliefert. Das ist absolut nachvollziehbar.

Gleichzeitig erweckt der Ausnahmezustand das Gefühl der Ungewissheit. Die gewohnte öffentliche Ordnung scheint außer Kraft gesetzt. Bisherige Gewissheiten des öffentlichen Lebens gelten nicht mehr. Trotz allen Krisen-Managements können auch Politiker und Wissenschaftler keine exakten Vorhersagen treffen, sondern nur Prognosen anhand von aktuellen Zahlen, die sich aber immer ändern können.

Ungekannte Einschränkungen, leere Straßen und hinter Masken versteckte Gesichter beschwören zudem Bilder aus Hollywood-Weltuntergangsfilmen herauf. Die Dramaturgie der Ereignisse kommt uns bekannt vor, wir glauben zu wissen, was passiert. Was früher die Apokalypse in der Bibel war, ist heute "Dawn of the Dead" oder "28 Days Later".

Ein fataler Cocktail

Diese Kombination aus Machtlosigkeit, Ungewissheit und scheinbar vertrauten Weltuntergangsbildern führt zu Paranoia. Die bisher gepflegte kulturelle Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft der Gesellschaft bröckelt, besonders da auch wirtschaftliche Ungewissheit dazukommt. Das verunsichert sehr viele Menschen, die Halt und eine Möglichkeit suchen, eine Welt zu verstehen, die ihnen fremd geworden ist.

Das machen sich Verschwörungstheoretiker und politische Stimmungsmacher zunutze. Sie präsentieren eine Verschwörung dunkler Kräfte im Verborgenen als Verursacher für alle Phänomene. Psychologisch ist diese Vorstellung – so absurd es zunächst klingen mag – beruhigend.

Warum Verschwörungstheorien beruhigend wirken

Die Verschwörungstheorie gibt zum einen einen scheinbar greifbaren Übeltäter, die Bedrohung bekommt ein Gesicht und eine Gestalt, die man bekämpfen kann. Zum anderen ist es psychologisch eine Beruhigung, dass zumindest die Möglichkeit der Kontrolle doch noch zu existieren scheint. Man muss nur den vermeintlichen Verschwörern die Kontrolle entreißen und schon hat man die Kontrolle über die eigene Welt zurückerlangt.

Diese Vorstellung ist sehr viel angenehmer als die, dass sich das Virus vielleicht jeder direkten Kontrolle entzieht. Eine von "den Bösen" kontrollierte Welt ist für viele Menschen beruhigender als eine chaotische Welt, die sich der Kontrolle des Menschen entzieht. Es ist eine irrationale Antwort auf eine emotionale und als solche eben auch oft irrationale Empfindung.

Die Welt war nie einfach! Bleibt wachsam

Aber man muss sich der einfachen Welterklärung widersetzen. Die Welt ist komplex und war es immer. Ja, es gibt Unsicherheiten und auch viel Kritikwürdiges. Aber es gibt nicht wie im Film ein böses Zentrum in dem alle Fäden zusammenlaufen. Wer euch eine solche Erklärung präsentiert, will euch hereinlegen.

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