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Darum wählt Schweden eine ehemalige Nazi-Partei

Heute Redaktion
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Der 9. September könnte ein Land verändern: In Schweden droht den regierenden Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte, den Schwedendemokraten (SD) das beste.

Schweden steht bei der Parlamentswahl am Sonntag ein deutlicher Rechtsruck bevor: Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), die im Wahlkampf auf Abstiegsängste und die Unzufriedenheit vieler Schweden mit der Einwanderungspolitik gesetzt haben, könnten an die Macht kommen. Die wichtigsten Antworten.

• Welche Parteien geben den Ton an?

Die Sozialdemokraten führen die aktuelle rot-grüne Minderheitsregierung an und stellen Ministerpräsident Stefan Löfven. Die Partei erhält seit Jahrzehnten die meisten Stimmen bei Reichstagswahlen.

Die Grünen bilden mit den Sozialdemokraten zurzeit die Minderheitsregierung. Die Umweltschützer haben nach den Waldbränden in Schweden mehr Unterstützung erfahren, Klimawandel ist Thema im Wahlkampf.

Die Schwedendemokraten (SD) sind auf bestem Weg dazu, ihren Stimmenanteil wie bei den letzten Wahlen zu verdoppeln. Angeführt wird die fremdenfeindliche Partei von Jimmie Akesson. Er hat die Partei aus dem Neo-Nazi-Ecken geholt, in dem sie in den 1980er Jahren stand. "Radikale Schwarz-Weiß-Denker sind die Schwedendemokraten geblieben", schreibt "Die Zeit".

Die Moderate Partei liegt laut aktuellen Umfragen knapp hinter Sozialdemokraten und Schwedendemokraten. Innerhalb der Mitte-rechts-Bewegung mehrten sich zuletzt die Stimmen, auf die SD zuzugehen.

• Wer hat welche Chancen?

Zwar dürften die Sozialdemokraten von Premier Löfven bei der Parlamentswahl stärkste Kraft bleiben. Sie werden den Umfragen zufolge aber von 31 Prozent vor vier Jahren auf rund 26 Prozent abstürzen – und damit ihr schlechtestes Ergebnis seit der Einführung des Verhältniswahlrechts 1911 einfahren.

Davon profitiert wohl die 1988 gegründete SD um Parteichef Akesson. Die rechtsextreme Partei war 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament eingezogen. Bei den Wahlen 2014 konnte sie ihr Ergebnis verdoppeln und stellte 42 der 349 Abgeordneten. Sie könnten den Umfragen zufolge rund 20 Prozent der Stimmen holen und damit die zweitstärkste Kraft hinter den regierenden Sozialdemokraten werden, zeitweise wurden ihr bis zu 28 Prozent prophezeit.

• Warum haben die Rechten derart Aufwind?

Die SD setzt vor allem auf Wähler, die von den Sozialdemokraten enttäuscht sind oder in strukturschwachen Landstrichen leben, in denen es immer weniger Arbeitsplätze gibt, Schulen und Geburtskliniken geschlossen werden. Dabei steht Schweden wirtschaftlich gut da: Für dieses Jahr wird ein Wachstum von drei Prozent erwartet, die Arbeitslosenrate ist so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Den Wählern scheint diese positive Bilanz reichlich egal zu sein. Auf ihrer Prioritätenliste stehen das Gesundheitswesen, das Bildungssystem, Migration und Integration sowie die Kriminalitätsbekämpfung. Denn die Kriminalität ist im Bullerbü-Land gestiegen. So standen etwa die Gewalttaten mit Todesfolge 2017 auf dem höchste Stand seit 2002.

Zu reden geben die Problemviertel der Großstädte Stockholm, Göteborg und Malmö, aber auch die 61 "verletzlichen Gebiete" Schwedens – Gegenden, in denen 500'000 Migranten weitgehend abgeschottet von der Mehrheitsbevölkerung leben. Als letzten Monat in Westschweden in einer Nacht 80 Autos brannten, war das für SD-Chef Åkesson ein deutliches Zeichen dafür, dass "die Gesellschaft auseinandergerissen wird als Folge von missglückter Integration und verstärkter Segregation".

• Warum dominiert das Thema Einwanderung den Wahlkampf?

Patrik Öhberg von der Universität Göteborg spitzt den Erfolg von nationalistischen Parteien wie den SD so zu: "Die Menschen wählen die Schwedendemokraten aus genau einem Grund: der Einwanderung." Seit 2015 kamen mehr als 300'000 Asylbewerber nach Schweden. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von zehn Millionen hat das skandinavische Land damit so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land in Europa. Die Behörden wirkten überfordert: Tausende Flüchtlinge wurden in überfüllten Turnhallen untergebracht, wütende Anwohner zündeten Aufnahmezentren an.

Für lange Zeit habe die Minderheitsregierung die Behandlung des Themas abgelehnt, so Experte Öhberg. Dann vollzog sie eine Kehrtwende, verschärfte das Asylrecht, setzte etwa den Familiennachzug aus. Premier Löfven hat für den Fall seiner Wiederwahl eine Einwanderungspolitik versprochen, die den Zuzug "langfristig" eindämmt "und die den Rückhalt der schwedischen Bevölkerung hat". Doch, so Öhberg, das habe die Glaubwürdigkeit der Koalition nicht retten können.

• Wie könnte die künftige Regierung aussehen?

Das ist noch völlig unklar. Bisher haben alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der SD ausgeschlossen. Bei den konservativen Moderaten, die in den Umfragen derzeit etwa gleichauf mit den Rechtsextremen liegen, mehrten sich zuletzt aber die Stimmen, auf die SD zuzugehen.

Parteichef Ulf Kristersson schließt eine Zusammenarbeit mit der SD allerdings aus. Er wirbt für eine Regierung mit Liberalen, Zentrumspartei und Christdemokraten, den drei anderen Mitte-rechts-Parteien. Wahrscheinlicher ist laut Experten aber weiterhin eine Mitte-links-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und der Linkspartei. (kko/20 Minuten)