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Darum wollen Köche ihre Sterne zurückgeben

Über Auszeichnungen freut man sich eigentlich. Einigen Spitzenköchen werden hohe Bewertungen nun aber zu viel. Ein Erklärungsversuch.

Heute Redaktion
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19 Jahre lang war das Restaurant des Spitzenkochs Henrique Leis (60) im portugiesischen Almancil mit einem "Michelin"-Stern ausgezeichnet. Nun hat der gebürtige Brasilianer genug und kündigt auf Instagram an, dass er künftig ohne Auszeichnung weiterkochen will. Der Grund? "Ich will mehr Ruhe und Freiheit in meinem Leben", so der Koch zur portugiesischen Zeitung "Observador".

Mit seinem Wunsch stößt der Koch bei den Verantwortlichen vom "Guide Michelin" auf taube Ohren. "Die Idee mag vielleicht romantisch sein, aber eine Rückgabe des Sterns ist nicht möglich." Die Antwort begründet Ángel Pardo Castro, Kommunikationschef des Guide für Spanien und Portugal, gegenüber dem "Observador" so: "Wir machen den Guide weder für Köche noch für Kritiker, wir machen ihn für unsere Leser."

"Das Restaurant kann sich dem Besuch des Inspektors nicht entziehen."

In der Schweiz wollte noch kein Spitzenkoch seine Sterne abgeben. "Bisher ist kein vergleichbarer VorStoß bei der Schweizer Redaktion des ‹Guide Michelin› eingegangen", sagt "Guide Michelin"-Sprecher Bernhard Kobel zu "20 Minuten". Er betont, dass die Auszeichnung sowieso nicht nur dem Koch gehöre: "Der Stern wird nicht direkt dem Koch, sondern jährlich neu an die ganzen Teams der Restaurants für ihre Küchenleistungen verliehen."

Hätte ein Schweizer Koch dennoch eines Tages keine Lust mehr auf den Stern oder die Sterne, würde ihm das wenig bringen. "Da es sich beim 'Guide Michelin' um einen unabhängigen Gastronomieführer handelt, können sich die Restaurants den Besuchen durch unsere Inspektoren nicht entziehen, da der Guide sonst seine Unabhängigkeit zu Gunsten der Leser verlieren würde", betont Bernhard Kobel vom Schweizer "Guide Michelin".

"Kritik ist immer und ständig zu erwarten!"

Wenig Verständnis für den Sterne-Verdruss von Henrique Leis haben seine Schweizer Kollegen. Koch des Jahres Heiko Nieder (2 "Michelin"-Sterne, 18 "Gault & Millau"-Punkte) sagt zu 20 Minuten: "Das macht man nicht einfach so. Da steckt sicher mehr dahinter als nur der Druck – den haben alle Köche. Es muss den Gästen schließlich gefallen. Das bedeutet: Kritik ist immer und ständig zu erwarten!"

Und selbst Nenad Mlinarevic (Koch des Jahres 2016 und einst mit 2 "Michelin"-Sternen, sowie 18 "Gault & Millau"-Punkten im Restaurant Focus im Parkhotel Vitznau ausgezeichnet), der mit seiner Selbstständigkeit alle Auszeichnungen aufgab, hinterfragt die Aktion des portugiesischen Kochs kritisch. "Ich vermute, seine Überlegung greift zu kurz. Man sollte so kochen, dass man dazu stehen kann. Und man muss dafür ein Publikum finden. Darauf kommt es an."

Allein in Frankreich wurden letztes Jahr drei Sterne gestrichen

Henrique Leis steht mit seinem Entscheid, ohne Sterne kochen zu wollen, nicht allein da – andere Kollegen griffen gar zu noch drastischeren Mitteln. Der französischen 3-Sterne-Koch Olivier Roellinger (63) gab sein Restaurant auf, um ohne den Bewertungsdruck zu leben. Auch Ferran Adrià vom legendären Restaurant El Bulli bei Barcelona soll unter anderem wegen Gastro-Kritikern aufgehört haben.

Es geht aber auch weniger drastisch. Der französische Spitzenkoch Sébastien Bras bat "Michelin" 2017 um die Streichung seiner drei Sterne aus dem Guide und wurde erhört. Das sei zwar eine Premiere in der Geschichte des "Guide Michelin", ließ der Verlag verlauten, doch man respektiere, dass Sébastien Bras ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen wolle.

Doch bereits 2019 war Bras mit seinem Restaurant Le Suquet wieder in der Gastro-Bibel aufgeführt, was der Spitzenkoch "mit Erstaunen" zur Kenntnis nahm.

(red/20 Minuten)

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