"Was macht die EU für mich?"

Das denkt der Osten über kommende die Europawahl

Die Europawahl steht an. Zahlen aus den vergangenen Jahren zeigen: In osteuropäischen Ländern geht kaum jemand wählen.

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Das denkt der Osten über kommende die Europawahl
Die polnischen Rechten fordern im Wahlkampf vor der Europawahl den «Polexit».
Shutterstock/Longfin Media

Anfang Juni wählt die Europäische Union ein neues Parlament. Staatsbürgerinnen und -bürger aus 27 Ländern werden zur Urne gebeten. Wenn man die Zahlen nach der letzten Wahl 2019 betrachtet, folgen dieser Aufforderung vor allem Menschen in Westeuropa.

Bei der Wahlbeteiligung liegt Belgien klar vorne. Fast 90 Prozent der Befragten gaben an, abgestimmt zu haben. In Luxemburg sind es gut 84 Prozent. In Dänemark und Deutschland sind es über, in Österreich knapp unter 60 Prozent. Dagegen haben in Ungarn knapp 40 Prozent, in Kroatien und Slowenien knapp 30 Prozent und in der Slowakei sogar nur gut 20 Prozent an der Europawahl teilgenommen.

"Was macht denn die EU für mich?"

In der Erhebung wollte die EU auch wissen, ob die Befragten dem folgenden Statement zustimmten: "Meine Stimme zählt in der EU." Je höher die Wahlbeteiligung, desto höher fiel auch hier der Ja-Wert aus. Laut dem tschechischen Politikwissenschaftler Petr Just ist dies aber nur einer von mehreren Gründen für die tiefe Wahlbeteiligung im Osten Europas.

"Die Europawahl gilt als Nebenwahl, weil nicht direkt eine Regierung gebildet wird. Die Wahlbeteiligung ist da generell niedriger", sagt der Experte. In Tschechien, Ungarn und der Slowakei herrsche ein Mangel an Informationen und der daraus abgeleitete Gedanke: "Warum sollte ich wählen gehen, wenn mir niemand sagt, was die EU für mich macht?" Das sei traurig, da die Beschlüsse in der EU einen enormen Einfluss auf die Politik der einzelnen Länder und damit das Leben der Bewohnenden haben.

Tschechien fühlt sich von Europa im Stich gelassen

Dazu kämen historische Traumata. "Brüssel wird als Fremdeinfluss wahrgenommen. Es ist bei vielen noch nicht ganz angekommen, dass wir Teil davon sind", sagt Just. Und mit ausländischen Mächten hätten die Länder in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht.

Für Tschechien stelle das Münchner Abkommen von 1938 ein solches Trauma dar. "Italien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland entschieden, einen Teil der damaligen Tschechoslowakei an Deutschland abzutreten." So wollte man Hitler zufriedenstellen, damit dieser erst einmal die Füße stillhält. "Die Tschechen fühlen sich deswegen bis heute von ihren Partnern, insbesondere Frankreich, im Stich gelassen."

Trotzdem hätten sich die Mitglieder des Warschauer Pakts – Polen, Rumänien, Ungarn, Tschechien, ehemalige Staaten der Sowjetunion – seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 klar zum Westen bekannt. "Wir wollten in die NATO, in die EU, alles." Und das, obwohl sich die Bewohnenden dieser Staaten nicht als Ost-, sondern Zentraleuropäerinnen und -europäer und damit als Bindeglied sähen.

Trotz aller Kritik: Die meisten wollen in der EU bleiben

Dieses Gefühl halte bis heute an. "Sogar die meisten Kritikerinnen und Kritiker wollen die EU nicht verlassen, sondern ändern." Dabei ginge es den meisten um eine gleichmäßige Verteilung der Macht, damit sie nicht so einfach von westlichen Staaten überstimmt werden könnten. Die extremen Stimmen seien aber oft die lautesten und am meisten in den Medien vertreten. "Angriff ist immer einfacher als Verteidigung."

Es läge an der nationalen Politik, die Vorteile der EU sichtbarer zu machen. "Zum Beispiel anhand der Roaming-Vereinbarung vor ein paar Jahren, durch welche jegliche Gebühren für die Internetnutzung im EU-Ausland weggefallen sind."

Für Just persönlich stellt die EU die bestmögliche Art dar, in Europa zu leben. "Keine Regierung ist perfekt und einen Konsens zwischen 27 Staaten herzustellen, ist unglaublich schwierig." Deshalb bereiteten ihm die Prognosen für die diesjährige Europawahl Sorgen. "Es ist gut möglich, dass nationalistische Stimmen mit dieser Wahl gestärkt und dadurch drastische Veränderungen eingeleitet werden. Das würde die gesamte Gemeinschaft destabilisieren – in europäischer wie auch individueller Hinsicht."

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    Auf den Punkt gebracht

    • Die Europawahl steht bevor und die Wahlbeteiligung in osteuropäischen Ländern ist traditionell niedrig
    • Viele Bürger fühlen sich von der EU im Stich gelassen und haben das Gefühl, dass ihre Stimme in der EU nicht zählt
    • Historische Traumata und das Gefühl des Fremdeinflusses spielen ebenfalls eine Rolle
    • Trotzdem wollen die meisten in der EU bleiben und Veränderungen herbeiführen, um eine gleichmäßige Verteilung der Macht zu erreichen
    • Es liegt an der nationalen Politik, die Vorteile der EU sichtbarer zu machen, um nationalistischen Stimmen entgegenzuwirken und die Gemeinschaft zu stabilisieren
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