Politik

Das packt der Kanzler in seinen Urlaubskoffer

Heute Redaktion
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Bild: Helmut Graf

Wenige Stunden vor Antritt seines Familienurlaubs treffen wir Werner Faymann (52) zum bereits fünften Öffi-Talk.Es ist Freitag, 18.12 Uhr. Ein gut gelaunter Regierungschef quert die Marxergasse zum Terminal des City Airport Trains (CAT) in Wien Mitte. Der SPÖ-Chef zieht einen großen roten Koffer. Nur Rollen und Griffe sind schwarz. Ein Sinnbild für seine Koalition mit der ÖVP?

"Nein, der gehört meiner älteren Tochter Martina (21, Anm.)", sagt Faymann. "Den hat sie sich ohne mein Zutun ausgesucht." Seine eigene, auch rote, Reisetasche, das Gepäck von Ehefrau Martina (45) und der zweiten Tochter Flora (9) tragen Mitarbeiter in den Terminal. "Entschuldigen Sie die Verspätung", sagt Faymann. 18 Uhr war als Treffpunkt vereinbart. "Aber ich habe noch eine halbe Stunde mit Angela Merkel telefoniert."

Er wirkt gelassen, erleichtert. Schließlich hat er die ESM-Debatten beim EU-Gipfel und im Nationalrat (vorerst) überstanden und kann bald beim zweiwöchigen Urlaub in Sardinien entspannen.

Der Bundeskanzler reiht sich in die Warteschlange vor dem Check-In-Schalter von Air Berlin ein. Vor ihm: Vilma Stutz. Die Kolumbianerin erkennt den Regierungschef sofort. Händeschütteln, Smalltalk. Zum Abschluss ein Erinnerungsfoto.

Jetzt checkt Faymann ein, reicht Clarisse Bedi am Schalter Pässe und Tickets. Jeden Koffer hebt er selbst auf die Waage. Alles nur Show? Sprecher Neddy Bilalic dementiert: "Sonderbehandlungen sind ihm unangenehm."

Wir fragen den Kanzler, wer daheim einpackt: "Das kann ich nicht delegieren. Vergesse ich etwas, bin ich selbst schuld." Was ist im Koffer? "Sommergewand und Badesachen." Was ist mit Büchern? "Drei Bücher nehme ich ins Handgepäck: 'That used to be us', da geht es um Versäumnisse der US-Politik. Das hat mir ein Historiker beim Bilderberger-Treffen in Washington empfohlen. Und den Liebesroman "Fische füttern" sowie ein Buch von Michael Köhlmeier."

"Wir sind fertig", sagt Clarisse Bedi. Faymann bedankt sich. Am Weg zum Bahnsteig trifft er Maher Beshara. Sichtlich gerührt fragt dieser: "Herr Kanzler, wie geht es Ihnen? So schön, Sie zu sehen." Alexander Bohr von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit lädt den Kanzler nach Georgien ein. Bilalic nimmt Bohrs Daten auf.

Aus einem Zug winken Fahrgäste. Faymann winkt zurück. Dass ihn Kritiker als "Kampf­lächler" bezeichnen, stört ihn nicht. Auch wenn Debatten  über ESM und Euro sehr hart geführt werden – persönlich bekomme er aus der Bevölkerung durchwegs positiven Zuspruch. "Manche fordern sogar, dass ich öfter auf den Tisch hauen soll."

Wieder draußen. "Wie läuft das Geschäft?", fragt Faymann die verblüfften Taxler Mas Lingangi und Megali Saad. "Schlecht. Keine Kundschaft. Wollen Sie mitfahren?" Faymann: "Nein, danke. Heut‘ geh ich zu Fuß."

Erich Nuler, Isabella Martens