Coronavirus

Das wissen wir bisher über die kalifornische Mutante

Ansteckender und möglicherweise auch tödlicher – so lautet die derzeitige Einschätzung zu der neu in den USA aufgetauchten Coronavirus-Mutation.

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    In den USA berichten Forschende von einer neuen Variante von Sars-CoV-2. (Im Bild: das erste echte Foto des Coronavirus).
    In den USA berichten Forschende von einer neuen Variante von Sars-CoV-2. (Im Bild: das erste echte Foto des Coronavirus).
    Nanographics/Kaust/Tsinghua University/CC BY 4.0

    Als würde es nicht reichen, dass die Sars-CoV-2-Varianten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien, die sich auch außerhalb dieser Länder rege ausbreiten, als besorgniserregend eingestuft werden. Nun wird auch noch aus den USA eine neue solche "variant of concern" gemeldet. Über die Gefahr, die tatsächlich von ihr ausgeht, herrscht in Wissenschaftskreisen jedoch noch Uneinigkeit.

    Fest steht bisher: Die Variante, die je nach Namensschema als B.1.427/B.1.429 oder 20C/L452R bezeichnet wird, taucht in zwei Studien auf, wie die "New York Times" schreibt. Zwar sei noch keine der beiden Studien in einem Fachjournal veröffentlicht worden, aber beide verhießen nichts Gutes: "Unsere Daten zeigen, dass die Mutante ansteckender ist, eher mit schweren Erkrankungen einhergeht und zumindest teilweise resistent gegen neutralisierende Antikörper ist", sagt Charles Chiu, Sequenzierungsspezialist an der University of California in San Francisco. "Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten."

    Wie kommt man darauf, dass die kalifornische Variante ansteckender ist?

    Dafür liefern beide Studien Anhaltspunkte: Das Team um Joe DeRisi, Co-Präsident des Chan Zuckerberg Biohubs in San Francisco, untersuchte, wie sich die Variante im Mission District, einem überwiegend von Latinos bewohnten Viertel in San Francisco, ausbreitet. Die Auswertung der Proben von Ende November 2020 zeigte, dass 16 Prozent der Coronaviren auf B.1.427/B.1.429 entfielen. Rund zwei Monate später, im Januar 2021, waren es schon 53 Prozent. Zudem wiesen DeRisi und seine Kollegen nach, dass Personen eine 35-prozentige Chance hatten, infiziert zu werden, wenn jemand in ihrem Haus B.1.427/B.1.429 hatte. Wenn die Person mit einer anderen Variante infiziert war, lag die Rate nur bei 26 Prozent. "Ein bescheidener aber bedeutender Unterschied", so DeRisi.

    Das Team um Chiu prüfte im Labor, wie sich die neue Variante innerhalb kurzer Zeit so stark ausbreiten konnte: Ob infolge von Superspreaderevents oder weil sie durch die Mutation einen biologischen Vorteil entwickelt hat? Dabei zeigte sich, dass B.1.427/B.1.429 bei der Infektion menschlicher Zellen mindestens 40 Prozent effektiver ist als frühere Varianten: Die Mutante war besser in der Lage, menschliche Zellen und lungenähnliche Strukturen zu befallen als Kontrollviren. Weiter stellten die Forschenden fest, dass mit der kalifornischen Variante Infizierte eine doppelt so hohe Viruslast produzieren wie andere Varianten. Auch das spreche dafür, dass die neue Mutante ansteckender ist.

    B.1.427/B.1.429 könnte auch tödlicher sein – warum?

    Darauf deutet eine Beobachtung von Chius Team hin: Bei der Überprüfung der Krankenakten von 324 Fällen von Covid-19 in San Francisco zeigte sich, dass ein größerer Prozentsatz der Menschen an der neuen Variante gestorben war als an anderen. Im Vergleich zu Patienten mit anderen Varianten starben mit B.1.427/B.1.429 Infizierte mehr als elfmal häufiger. Allerdings könnte das auch nur ein statistischer Zufall sein, der mit der kleinen Stichprobe zusammenhängt, so die "New York Times". Möglicherweise bestätige sich das in einer größeren Stichprobe nicht.

    Was heißt das für die Impfstoffe?

    In Laborstudien beeinträchtigte B.1.427/B.1.429 die Wirksamkeit von Antikörpern: Wie das Magazin "Science" schreibt, war die Mutante viermal weniger anfällig gegen Antikörper aus dem Blut von Genesenen und zweimal weniger anfällig für jene aus dem Blut von Personen, die einen Impfstoff von Pfizer/Biontech oder Moderna erhalten hatten. Die verringerte Wirksamkeit bezeichnen die Forschenden als "moderat, aber signifikant". Was das für die Impfstoffe bedeute, könne man noch nicht abschätzen, so Mediziner Chiu. Laut ihm scheint die Auswirkung der Variante auf die Immunität aber viel geringer zu sein als die einer Variante aus Südafrika.

    Wo wurde B.1.427/B.1.429 bisher überall nachgewiesen?

    Die Variante ist bisher in 45 US-Bundesstaaten und in mehreren anderen Ländern, darunter Australien, Dänemark, Mexiko und Taiwan, aufgetaucht. Ausgebreitet habe sie sich aber bisher nur in Kalifornien, so die "New York Times".

    Wie schätzen unbeteiligte Fachleute die kalifornische Mutante ein?

    Hier gehen die Meinungen auseinander: Angela Rasmussen, Virologin am Center for Global Health Science and Security der Georgetown University in Washington, ruft dazu auf, sie ernst zu nehmen: "Die Daten rechtfertigen einen viel genaueren Blick auf die Variante" und zeigten "wie wichtig es ist, alle Register zu ziehen – sowohl in Bezug auf die Reduzierung der Exposition als auch auf die verstärkte Verteilung und den Zugang zu Impfstoffen".

    Auch Robert Schooley, Experte für Infektionskrankheiten und Virologe an der University of California in San Diego, hält die Daten für nachvollziehbar, wie er dem "Science"-Magazin sagte: "Der Nachweis der höheren Viruslast würde sicherlich zu der These passen, dass es den Menschen in Südkalifornien nicht so gut geht." In der Region "sehen wir mehr Menschen über einen längeren Zeitraum auf unseren Intensivstationen".

    Andere wie David O'Connor, Experte für virale Sequenzierung an der University of Wisconsin-Madisin, halten die Schlussfolgerungen für verfrüht: "Wenn ich ein Gutachter wäre, würde ich mehr Daten von mehr infizierten Menschen sehen wollen, um diese sehr provokante Behauptung zu untermauern." Moderater drückt sich da laut der "New York Times" Epidemiologe William Hanage von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston aus: "Die Arbeit ist definitiv berichtenswert, aber ich glaube nicht, dass dies allein ausreicht, um diese Varianten als besorgniserregend zu kategorisieren." Verglichen mit den Varianten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien hält er B.1.427/B.1.429 für eine "nicht so große Sache".

    Drei Mutationen relevant

    B.1.427/B.1.429 wurde zeitgleich von zwei Forschergruppen entdeckt: Neben Charles Chiu von der University of California in San Francisco stieß auch ein Team des Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles auf die typischen Mutationen. Von denen hat es mehrere, aber drei scheinen besonders relevant zu sein. Sie wirken sich auf das Spike-Protein aus, mit dem das Virus an menschliche Zellen andockt. Vor allem Mutation L452R scheint die Ansteckungsfähigkeit zu erhöhen. Sie stabilisiert offenbar die Interaktion zwischen dem Spike-Protein und dem Rezeptor, den das Virus verwendet. Keine der drei Spike-Mutationen findet sich in den Virusvarianten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien.

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      Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (G) im Rahmen von Beratungen der Bundesregierung mit Experten und den Oppositionsparteien zur aktuellen Corona-Lage.
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      ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com