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Deutschland: Armenien-Massaker war Völkermord

Heute Redaktion
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Der deutsche Bundestag beschließt eine Resolution, in der die systematische Vertreibung und Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armenien im Jahr 1915 durch das Osmanische Reich. Türkeis Präsident Erdogan reagiert verärgert.

Die derzeit heikle politische Situation zwischen der Türkei und der EU in der Flüchtlingsfrage ist am Donnerstag um eine Facette reicher geworden: Der deutsche Bundestag hat eine Resolution verabschiedet, in der die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich - heute die Türkei - im Jahr 1915 offiziell als Völkermord bezeichnet wird. Die Türkei wehrt sich heftig dagegen, des Genozids beschuldigt zu werden.
Die Diskussionen dauern auf internationaler Ebene schon seit Jahren an – hat das Osmanische Reich Armenier und andere christliche Volksgruppen auf seinem Staatsgebiet systematisch vernichtet? Deutschland sagt: Ja! Bei einer Abstimmung nahmen alle Parteien außer der Linkspartei die Resolution an, nur zwei Stimmen sprachen sich dagegen aus.

Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU erklärte aber ausdrücklich, dass die heutige Regierung der Türkei nicht für das damalige Ereignis verantwortlich sei. Allerdings sei sie "verantwortlich, was in Zukunft wird."

Merkel fehlte

Bei der Abstimmung fehlten aber hochrangige Regierungsmitglieder: Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank Steinmeier waren aufgrund von Terminkollisionen verhindern. Sie hatten allerdings im Vorfeld betont, dass sie die Resolution unterstützen.

Türkei zieht Botschafter ab

Möglicherweise war ihr Fehlen aber auch taktischer Natur: Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte persönlich bei Merkel angerufen, um an den "gesunden Menschenverstand" Deutschlands zu appellieren. Eine Resolution könnte die derzeit ohnehin belastete Beziehung zwischen Berlin und Ankara weiter verschlechtern, drohte er.

Auch der türkische Regierungschef Binali Yildirim bezeichnete den Vorwurf des Völkermords als "lächerlich" und aus der Luft gegriffen. Das Parlament nannte die Resolution gar rechtswidrig: Kein "zuständiges Gericht" habe die Ereignisse nach den Regeln des Völkerrechts als Genozid bezeichnet.

Aus Protest rief die Türkei sogar ihren Botschafter in Berlin, Hüsein Avni Karslioglu, zurück. Der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Ankara musste am Donnerstagnachmittag im türkischen Außenamt antanzen.

Versöhnliche Töne

Der CDU-Fraktionschef Volker Kauder bemühte sich, die Wogen zu glätten: Man wolle die Türkei "nicht auf die Anklagebank" setzen. Mit der Resolution solle weder das türkische Volk, noch die jetzige Regierung in Ankara beleidigt werden.

Allerdings habe er sich eingehend mit dem Thema befasst und sei zu der Erkenntnis gekommen, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe nicht nur vertrieben, sondern auch umgebracht worden sei, erklärte Kauder im ARD Morgenmagazin. Deswegen habe man sich dazu entschieden, das Kind beim Namen zu nennen. Eine Aussöhnung zwischen Armenien und der Türkei sei nur möglich, wenn "Fakten tatsächlich benannt werden."

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Am 14. November 1914 trat das Osmanische Reich, die heutige Türkei, an Seite von Deutschland und Österreich-Ungarn in den ersten Weltkrieg ein und versuchte in erster Linie, in früheren Kriegen an Russland verlorene Gebiete zurückerobern.

Damals lebten etwa 1,7 Millionen Armenier als größte Minderheit in der türkischen Region Anatolien. Die meisten kämpften an der Seite der Osmanen, ein Teil unterstützte jedoch Russland in der Hoffnung auf Unabhängigkeit.

Armee greift hart durch

Dies dürfte das bereits existierende Misstrauen gegen die christlichen Armenier weiter verstärkt haben; im März 1915 wurden zunächst armenische Armeeangehöhrige entwaffnet und teilweise getötet. Ihre Familien folgten.

Im Mai beschloss das Parlament ein Deportationsgesetz, dass die Umsiedlung der armenischen Bevölkerung besiegelte. Da bereits im April Armenier in der Provinz erfolgreich revoltiert hatten, rechtfertigte die osmanische Regierung ihr immer härteres Vorgehen. Die Armee wurde ermächtigt, mit aller militärischer Gewalt gegen etwaigen Widerstand vorzugehen.

Bis zu 1,5 Millionen Tote

Die genau Zahl der Todesopfer ist schwer zu beziffern, da es bereits vor und auch nach dem ersten Weltkrieg zur Vertreibung und Ermordung von Armeniern gekommen ist. Türkische Historiker sprechen von 300.000 Toten, internationale Schätzungen sprechen aber von insgesamt bis zu 1,5 Millionen Menschen, die über die Jahre hinweg systematisch vernichtet worden sind.