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Deutschland hat Koalition: Union und SPD einig

Heute Redaktion
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Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD haben in Deutschland ihre Koalitionsvereinbarung am Mittwoch vorläufig unterzeichnet. Endgültig unterschreiben wollen CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel den Vertrag nach dem SPD-Mitgliederentscheid und einem kleinen CDU-Parteitag.

Christdemokraten und Sozialdemokraten hatten sich am frühen Mittwochmorgen nach wochenlangen Verhandlungen auf den Vertrag für eine groß Koalition geeinigt. Wenn die SPD-Mitglieder zustimmen, kann Merkel in der dritten Dezemberwoche vom Bundestag als Kanzlerin wiedergewählt werden.

Schwerpunkte Soziales und Energie

"Der Geist dieses Vertrages heißt, dass wir eine Große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern", sagte Merkel. Im Mittelpunkt stehen solide Finanzen, die Sicherung des Wohlstands und soziale Sicherheit. Die CDU werde zentrale Wahlkampfversprechen umsetzen. Dazu gehöre, dass es keine Steuererhöhungen gebe. Schwerpunkte seien auch mehr Verkehrsinvestitionen und die Energiewende.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte drei große Aufgaben für die neue Regierung: Die Stabilisierung Europas und des Euros, die Energiewende und die Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleiches. Wenn die Energiewende, also die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien, in Deutschland schiefginge, würde sich kein Land der Erde mehr an eine solche Herausforderung herantrauen, sagte Gabriel.

17-stündiger Verhandlungsmarathon

CDU, SPD und CSU trafen sich Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus (Berlin) zur letzten Koalitionsrunde. Bis in die Nacht wurde noch verhandelt. Mittwochfrüh stand fest: Die Spitzen von Union und SPD haben sich nach 17-stündigen Verhandlungen auf den Koalitionsvertrag geeinigt. Zuletzt erzielten die Parteien den Durchbruch bei der doppelten Staatsbürgerschaft. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern müssen sich nicht mehr bis zum 23. Geburtstag für einen der beiden Pässe entscheiden.

Mindestlohn ab 2015

Zudem soll es auf Drängen der SPD ab 2015 einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Die Union konnte unter anderem ihren Wunsch nach höheren Pensionen für Mütter, die vor 1992 Kinder geboren haben, durchsetzen. Die CSU setzte ihre Forderung nach  Einführung einer für Ausländer  durch - sofern das mit EU-Recht vereinbar ist und inländische Autofahrer nicht belastet werden.

Sozialer Wohnbau

Fix ist auch mehr Transparenz bei Managergehältern: Jedes börsennotierte Unternehmen muss festlegen, um wie viel höher der Verdienst im Vorstand gegenüber dem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen sein darf. Thema Wohnbau: CDU, SPD und CSU haben sich auch auf eine Wiederbelebung des sozialen Wohnbaus geeinigt.

Nach der Einigung haben sich Union und SPD zufrieden mit dem Ergebnis gezeigt. Die Vereinbarung trage "eine christsoziale und eine christdemokratische Handschrift", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe Mittwochfrüh in Berlin. "Ich kann festhalten, dass der Koalitionsvertrag ein Spiegel des Wahlergebnisses ist", meinte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.

SPD-Basis am Wort

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: Die SPD habe "hart verhandelt bis zu Schluss" und ihr wichtige Themen wie den flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und die Pension mit 63 nach 45 Versicherungsjahren durchgesetzt. Das Papier steht allerdings unter dem Vorbehalt des SPD-Mitgliederentscheids bis 14. Dezember.

"Es gibt einen Sieger, das ist Frau Merkel, sie kriegt ihre Koalition. Es gibt einen Gewinner mit einem blauen Auge, das ist Herr Seehofer." So lautet daher die Einschätzung des Berliner Parteienforschers Gero Neugebauer. Zur SPD meinte er, sie müsse sich nun Gedanken machen, ob das Ergebnis dem entspreche, was die Mitglieder erwarten, die nun darüber abstimmen sollen.

"Nur Vegetarier zufrieden"

"Erst hieß es seitens der SPD: 'Ihr kriegt ein Drei-Gänge-Menü.' Dann war der Parteitag in Berlin, wo es hieß, man könne nicht so viel fordern bei nur 25 Prozent Wahlergebnis", sagte Neugebauer. "Jetzt können gerade noch die Vegetarier in der Partei zufrieden sein." Der optische Eindruck sei allerdings richtig, dass die Sozialdemokraten am Meisten in den Verhandlungen herausgeholt hätten, denn sie hätten auch am Meisten gefordert. Laut Neugebauer laute nun der Tenor in der SPD: "Wir müssen die Mitglieder erwärmen für eine Große Koalition zu stimmen, damit nichts Schlimmes passiert."

Seite 2: So liefen die deutschen Koalitionsverhandlungen!

Fünf Wochen lang haben Union und SPD über die Bildung einer Großen Koalition verhandelt. Die Etappen auf dem Weg zu einer schwarz-roten Regierung:

22. September: Die Union gewinnt die Bundestagswahl deutlich, braucht aber einen neuen Partner, weil die FDP es nicht ins Parlament schafft. Es folgen Sondierungen mit SPD und Grünen.

23. Oktober: CDU/CSU und SPD nehmen Koalitionsverhandlungen auf. Eine große Runde legt in der Berliner CDU-Zentrale Struktur und Zeitplan für die Gespräche fest.

25. Oktober: Mit der Sitzung der Unterhändler für Außenpolitik, Verteidigung und Entwicklungshilfe beginnt das inhaltliche Ringen. Auch die Arbeitsgruppe Frauen, Familie und Gleichstellung berät. Die anderen zehn Gruppen und vier Untergruppen beginnen später.

30. Oktober: Bei der nächsten großen Verhandlungsrunde - diesmal in der SPD-Zentrale - geht es vor allem um die Europapolitik.

4. November: Es zeichnet sich ab, dass auf eine Senkung der Rentenbeiträge verzichtet und stattdessen Altersarmut bekämpft werden soll. In der Außenpolitik setzen beide Seiten trotz der Spähaffäre auf das Bündnis mit den USA.

5. November: Union und SPD wollen die Finanzierung ihrer Vorhaben erst am Schluss klären. In der großen Runde ermahnen die Parteispitzen die Arbeitsgruppen, bezahlbare Konzepte vorzulegen. Grünes Licht gibt es für eine Mietpreisbremse.

14. November: Die SPD beginnt in Leipzig ihren Bundesparteitag. Die Parteispitze muss bei ihrer Wiederwahl teilweise deutliche Denkzettel verkraften. Die Delegierten öffnen die Partei ab 2017 für die Option eines ersten rot-rot-grünen Bündnisses auf Bundesebene.

18. November: Union und SPD einigen sich auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Offen bleiben Höhe und Zeitpunkt. Die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales vereinbart die Mütterrente.

19. November: Bei der sechsten großen Runde billigen Union und SPD eine Frauenquote in den Aufsichtsräten börsennotierte Unternehmen.

21. November: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ruft nach der siebenten großen Runde beide Seiten zu Kompromissbereitschaft auf.

22. November: Union und SPD einigen sich auf die Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Die CSU warnt auf ihrem Münchner Parteitag die SPD vor überzogenen Ansprüchen.

23./24. November: Bei SPD-Regionalkonferenzen werben Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles für Schwarz-Rot.

25. November: Ein erster 177-Seiten-Entwurf des Koalitionsvertrags liegt vor. Fragen wie die Höhe eines Mindestlohns, Verbesserungen bei der Rente und die Ausgestaltung einer Pkw-Maut sind noch strittig.

26. November: Auch ein neuer 173-Seiten-Entwurf lässt die entscheidenden Fragen offen. Beide Seiten gehen in die finalen Verhandlungen, am frühen Morgen des 27. einigen sie sich. Nun hat die SPD-Basis das Wort.