Wirtschaft

Die Work-Life-Balance wird künftig wichtiger

Heute Redaktion
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Viele Unternehmen beklagen bereits Facharbeitskräftemangel und Schwierigkeiten Stellen zu besetzen. Wie sehen das Österreichs Top-Unternehmen? Deren Personalverantwortliche geben Antworten im neuesten "Heute"-Gipfelgespräch.

Obwohl laut den aktuellen Oktober-Zahlen des Sozialministeriums die Arbeitslosigkeit sinkt, sind hierzulande weiterhin 365.553 Menschen auf Jobsuche. Dennoch suchen Unternehmen händeringend qualifizierte Fachkräfte. Top-Manager mit Personalverantwortung verraten im "Heute"-Talk mit Wirtschaftsredakteur Gerhard Plott ihre Erfolgsrezepte, um offene Stellen adäquat zu besetzen.

"War for Talents" - der Krieg ist vorbei, die Talente weg!

Heute: Sie vertreten alle relativ große Firmen – woher bekommen Sie Ihre Arbeitskräfte?

Silvia Angelo (ÖBB): Wir sind in einer Situation, wo die Wirtschaft zum Glück sehr anzieht und wo Fachkräfte und Mitarbeiter gefragt sind. Wir bilden selbst österreichweit 1.900 Lehrlinge aus, auch weitere Berufe wie Lokführer,

Fahrdienstleiter. Da suchen wir natürlich, seien es Schulabgänger, aber auch Leute mit fertiger Ausbildung. Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir in den nächsten Jahren 10.000 neue Mitarbeiter brauchen. Eine Lehre bei uns dauert auf jeden Fall dreieinhalb Jahre, mit Zusatzmodul vier Jahre, eine andere weiterführende Berufsausbildung dauert zwischen drei und neun Monaten.

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"Heute"-Gipfelgespräche

"Heute" stellt eine neue Ausgabe der Veranstaltungsreihe "Gipfelgespräche", in der die Top-Experten des Landes zu Wort kommen. Im 57. Stock des Mélia Vienna im DC Tower, dem höchsten Gebäude Österreichs, diskutieren die wichtigsten Branchenvertreter in regelmäßigen Abständen die Topthemen, Zukunftschancen und Trends, um sie mit Ihnen, den "Heute"-Leserinnen und Lesern, zu teilen.

Suchen motivierte Mitarbeiter (v.l.): Günter Senoner (STRABAG), Robert Bilek (Wiener Städtische), Alexander Kraus (Bombardier), Alois Huber (SPAR), Martin Efferdinger (ÖAMTC), Markus Pohanka (Austro Control), Silvia Angelo (ÖBB), Franz Nigl (Post), Nina Schmidt (Microsoft), Florian Kalina (Austro Control), Klaus Niedl (Novomatic). (Foto: Philipp Enders)

Heute: Und bekommen Sie die Leute?

Angelo: Ja. Wir unternehmen dafür aber auch große Anstrengungen. Wir nehmen rund 580 Lehrlinge pro Jahr auf, müssen aber mit 3.500 Bewerbungen rechnen, damit wir wirklich zu der Anzahl an jungen Menschen kommen, die zu uns passt. Wir gehen sehr aktiv in Schulen und auf Messen, aber auch zu den Eltern. Gerade in diesem Alter wird die Berufsentscheidung nicht nur von den jungen Leuten allein getroffen. Wir sind stark im Technikbereich und suchen schon auch Leute, die vor Mathematik nicht zu zittern beginnen.

Eltern reden mit bei Berufsentscheidung

Heute: Geht es Ihnen genauso?

Robert Bilek (Wr. Städtische): Wir haben im Jahr zwischen 3.500 und 4.000 Bewerbungen, Probleme haben wir beim Vertriebspersonal. Rein in der Verwaltung ist der Bedarf nicht so groß, außer jetzt durch diverse Regulatorien, die die Versicherungsbranche treffen. Da braucht man jetzt schon sehr viele Mathematiker, da die Modelle sehr komplex sind. Da ist es sehr schwer, Spezialisten zu bekommen. Die Mathematiker wissen das und das treibt natürlich die Gagen in die Höhe. Es kann Ihnen passieren, dass jemand, der frisch von der Uni kommt, sagt, unter 50.000 Euro Anfangsbezug greife ich nichts an.

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Beim "Heute"-Gipfelgespräch diskutierten die Personalchefs über die Chancen am Arbeitsmarkt und mögliche Rekrutierungsstrategien. (Foto: Philipp Enders)

Heute: Was sagen Sie dem?

Bilek: Er soll es woanders probieren. Das würde mir sonst das Gefüge zerstören. Im Vertrieb ist es so, dass der Verkauf in der Versicherungswirtschaft nicht der klassische Verkauf ist, den man sich vorstellt. Sie müssen bei Menschen am Nachmittag ein Bedürfnis wecken, das sie in der Früh beim Aufstehen noch nicht gehabt haben. Was uns interessiert, sind Leute, die Begeisterung haben und gerne mit Menschen zu tun haben.

Heute: Auch die Novomatic ist weltweit tätig: Welche Anforderung werden an Sie als Arbeitgeber gestellt?

Klaus Niedl (Novomatic): Wir sind in den letzten zwei Jahren um 10.000 Mitarbeiter gewachsen. Wir haben sicherlich spezielle Anforderungen, da wir Glücksspieltechnologie produzieren. Das heißt, unser Produkt ist ein digitales Produkt mit Hardware-Komponenten drumherum. Da matchen wir uns natürlich überall am Arbeitsmarkt, wenn es um IT geht. Software- Entwickler sind heutzutage die große Mangelware. In Wien gibt es ungefähr 550 Absolventen pro Jahr, wenn man alle zusammenzählt. Allein die Banken brauchen 600! Da kann man sich ausrechnen, wie viel davon überbleibt. Wir sind einen anderen Weg gegangen und haben gesagt, wir bilden selber aus. Wir haben hier etwa eine eigene Corporate Coding Academy gegründet, wo wir selbst unsere Software-Entwickler ausbilden. Das ist ein Zugang, weil man vom "War for Talents" spricht. Der Krieg ist vorbei, die Talente sind weg! Man kann diese nur noch woanders abwerben.

Heute: Wie binden Sie denn die Leute ans Haus, die Sie ausbilden?

Niedl: Geld ist natürlich ein Faktor, aber wenn ich mich wohlfühle und mit den Kollegen gut kann, ist das ein anderer Aspekt. Oder dass ich nicht zu viel pendeln muss. Junge lehnen für 20 Minuten mehr Fahrzeit den Job ab. Wir schauen dann natürlich, dass wir Leute aus einer Region bekommen. Das Gesamtpaket muss passen.

Softwareentwickler sind sehr begehrt

Heute: Herr Huber, Sie leiten eines der personalintensivsten Unternehmen des Landes. Sie brauchen wohl in allen Bereichen Arbeitskräfte?

Alois Huber (SPAR): Ja, das sehen Sie richtig. Wir suchen auch intensivst – das Wichtigste in der heutigen Zeit ist jedoch, die bestehenden Mitarbeiter zu halten. Und bei den Austrittsbefragungen, die wir mit allen führen, die unser Unternehmen verlassen, stellen wir da fest, dass die Führungskräfte schon auch eine wesentliche Rolle spielen, ob sich der Mitarbeiter wohlfühlt oder nicht. Daher arbeiten wir daran, unsere Führungskräfte entsprechend auszubilden.

Andererseits stellen wir durch den demografischen Wandel fest, dass uns der mit den Schulen einen wirklichen Wettstreit bringt. Die Lehrer werden zum Gegner und nicht zum Partner der Wirtschaft. Weil jeder, der ein Lehrling wird, ist ja dann aus dem Schulsystem weg. Jeder Lehrer wird verständlicherweise die Lehre nicht als Oberstes anpreisen, weil sein eigener Brotberuf dadurch eingeschränkt wird.

Jobgarantie mit einer Lehrausbildung

Heute: Wie kann die Lehre wieder attraktiver gemacht werden?

Huber: Indem wir alle der Lehre wieder den Stellenwert geben, den sie einmal hatte. Ich bin überzeugt davon, dass Jugendliche zu uns kommen und eine Lehre machen, nach drei Jahren eine Jobgarantie haben und in weiterer Folge Abteilungsleiter werden können. Als Abteilungsleiter führt man in einem großen Markt bald einmal 20 Mitarbeiter, ist für Umsatz und Warenbestand verantwortlich. Das sind Unternehmenswerte, die ein mittelständisches Unternehmen hat. Andere Länder kommen wegen der dualen Ausbildung zu uns und wir leben es nicht einmal wirklich!

Schwierig, passende Mitarbeiter zu finden

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Der Lehre ihren Stellenwert zurückgeben und Nachholbedarf im Ausbildungsbereich sind die wichtigsten Anliegen der heimischen Personalmanager. (Foto: Philipp Enders)

Heute: Sehen Sie das auch so?

Franz Nigl (Post): Ja, das ist erwiesenermaßen so. Die durchschnittliche Fluktuationsrate im Handel liegt bei 30 Prozent. Wir sehen derzeit eine höhere, weil wir auch unterschiedliche Rahmenbedingungen vorfinden. Zum Beispiel im Bereich der Nahlogistik gibt es ja für diese letzte Meile, die Zustellung, gar keinen Lehrberuf. Wenn Sie jetzt nur den Paketzusteller hernehmen, dann ist das eine vergleichsweise einfache Tätigkeit. Wenn Sie einen Briefzusteller hernehmen, den Sie jeden Tag sehen, der hat 40 Produkte mit, bis zur Geldannahme am Land. Es ist sehr viel, was vom einzelnen Mitarbeiter erwartet wird.

Heute: Provokant gefragt: Zahlen Sie genug?

Nigl: Wir zahlen alle dasselbe nach Kollektivvertrag, 20 Minuten weniger pendeln ist das Entscheidende. Bei einem Wurstverkäufer oder Friseur kann ich mir noch vorstellen, was der macht, aber was bei hochtechnisierten Berufen alles dahintersteckt, können sich viele gar nicht vorstellen. Das gilt auch in der Logistikbranche. Die Brücke zu schlagen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft ist ein ganz wesentliches Element – dass der Chef auch einmal die Wurst oder was auch immer an

greift; der Führungskraft vor Augen zu führen, mit welchen Problemen der Mitarbeiter arbeiten muss. Mitarbeiter zu halten ist noch viel wichtiger als das Thema, Mitarbeiter zu verlieren. Denn das Schwierigste ist derzeit, Mitarbeiter zu finden, weil eben der Markt so groß ist.

Heute: Es gibt laut Untersuchung der Wirtschaftskammer rund 160.000 arbeitslose Fachkräfte. Können Sie Arbeitslose einschulen?

Alexander Kraus (Bombardier): Um ganz ehrlich zu sein, sehr schwer. Wir haben in unserem Unternehmen ein sehr breites Spektrum an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben die Lehre als ganz wichtigen Baustein, um jemanden ins Unternehmen zu integrieren. Jemanden, der längere Zeit arbeitslos war, in die Lehre zu bringen, halte ich kulturell für sehr schwierig. Wir versuchen eher am Anfang, die passenden Kandidaten zu finden. Die, die wirklich in die Kultur passen und den richtigen Mindset mitbringen. Wir brauchen engagierte Technikerinnen und Techniker, die bereit sind, unsere Produkte zu designen, zu entwickeln und die Innovation voranzutreiben. Wir sind das globale Kompetenzzentrum für alle Straßenbahnen von Bombardier weltweit. Das heißt, jede Straßenbahn, die Sie weltweit sehen, kommt zumindest mit einem Teil aus Wien.

Mitarbeiter sollen Mindset mitbringen

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Robert Bilek (li.) und Silvia Angelo im Gespräch mit Gerhard Plott. (Foto: Philipp Enders)

Heute: Woher kriegen Sie die?

Kraus: Wir haben entsprechende Think-Tanks. Das sind Unternehmen, die im Raum Wien tätig sind, dann sind da internationale Bewerber, da ist natürlich die Technische Uni, wir haben die Fachhochschule Technikum Wien. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, die Aus- und Weiterbildung mitzugestalten. Derzeit haben wir über 50 Positionen ausgeschrieben.

Heute: Wie gelingt es Ihnen, mehr Frauen zu Microsoft zu bringen?

Nina Schmidt (Microsoft): Ja, das ist definitiv eine Priorität. Als ich vor zehn Jahren zu Microsoft kam, waren wir bei einem Frauenanteil von 18 Prozent und der Vertriebsleiter aus dem Commercial-Bereich hat zu mir gesagt: "Du Nina, es gibt keine Frauen in der IT." Mittlerweile haben wir bewiesen: Wenn man lange genug dran bleibt, dann schafft man das. Wir sind derzeit bei einem Frauenanteil von 35 Prozent.

Heute: Wie halten Sie Ihr Personal?

Schmidt: Ich kann jetzt schon sagen, dass wir 2020 ein Thema haben werden, die richtigen Personen zu finden, weil auch die Jobdefinition per se 2020 eine ganz andere sein wird. Wenn man sich die Job-Titel anschaut, da steckt oft ganz etwas anderes dahinter als in der Beschreibung selbst. Thema Retention: Der IT-Markt ist sehr dynamisch, unsere Mitarbeiter bewegen sich nicht nur zu unserem Mitbewerb, sondern auch zu Kunden und Partnern, weil diese Kompetenzen überall sehr, sehr stark nachgefragt werden. Flexible Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pendelzeiten reduzieren und mobiles Arbeiten sind die richtigen Maßnahmen, um die Mitarbeiter auch zu halten.

Heute: Die Kfz-Lehre ist immer gefragt, oder?

Martin Efferdinger (ÖAMTC): Wir sind zwar in der beneidenswerten Lage, dass wir pro Jahr 3.500 bis 4.000 Blindbewerbungen bekommen. Es kann aber sein, dass wir einen Techniker ausschreiben, aber drei Bewerbungen von arbeitslosen Tischlern bekommen. Auch die Schulung bei uns ist eine umfassende, denn wenn Sie uns rufen, dann sind Sie meistens in einer Krisensituation. Und da geht es auch darum, dass Sie vom Kollegen auch menschlich betreut werden. Gerade in einer Helferorganisation ist das eine große Herausforderung, wie die Person fachlich und menschlich damit umgeht. Wir haben ganz geringe Fluktuation, wir unterstützen Mitarbeiter auch in Krisensituationen, bei Krankheiten, bei familiären Problemen, wir leben dieses Helfen auch nach innen. Das ist auch der Grund, warum Techniker, die woanders mehr verdienen könnten, trotzdem bei uns sind.

Polier oder Bauleiter sind Mangelware

Heute: Wo glauben Sie, wird es denn in Zukunft besonders eng werden?

Günter Senoner (STRABAG): Wir haben aktuell 2.500 Stellen im Konzern nicht besetzt, überwiegend technische Positionen. Solche Berufe wie Polier oder Bauleiter sind wirklich Mangelware geworden. Wir haben traditionell in der Bauwirtschaft im gewerblichen Bereich einen guten Mix an vielen Nationen in den Ländern. Herkunft, Diversität, Mann-Frau Thematik ist natürlich auch bei uns ein Thema.

Heute: Wie groß ist Ihre Frauenquote?

Senoner: Wir haben eine Frauenquote von gesamt 30 Prozent, wobei das natürlich sehr stark durch die kaufmännischen Berufe dominiert ist. Im technischen Bereich und im Management sind wir leider Gottes absolut unterbesetzt, was die Frauenanzahl betrifft. Eine Änderung geht nur sehr langsam.

Beruf Fluglotse noch nicht so bekannt

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Das "Heute"-Gespräch zum Thema "Personalwirtschaft". (Foto: Philipp Enders)

Heute: Ist das bei der Austro Control auch so? Da geht es ja um Leben und Tod, wenn Sie versagen?

Florian Kalina (Austro Control): Das ist richtig, unser Produkt ist Sicherheit. In puncto Frauenquote liegen wir bei den Fluglotsen ungefähr bei 20 Prozent. Da sind Frauen auch sehr unterrepräsentiert. Gerade weil es Länder gibt, wo das ein reiner Frauenberuf ist. Spannenderweise gerade in den arabischen Ländern, wo man das vielleicht nicht vermutet hätte. Dabei ist dieser Beruf insofern spannend, als es einer ist, der körperlich nicht anstrengend ist. Damit gibt es keinen Nachteil für Frauen, wie es vielleicht in der Bauwirtschaft gegeben ist.

Heute: Wie rekrutieren Sie?

Kalina: Eine sexy Branche, nur sind Fluglotsen nach wie vor noch nicht so bekannt. Für uns ist es essenziell, dass wir hinausgehen auf den Markt, dass wir bekannt werden. Das sehen wir dann auch an den Bewerberzahlen.

Heute: Wie viele Bewerber brauchen Sie denn?

Kalina: Wir brauchen für einen Kurs mit 20 Leuten pro Jahr ungefähr 1.000 Bewerber. Gerade in den nächsten Jahren werden große Abgangswellen sein, da läuft unsere Ausbildungswelle auf Hochtouren. Das ideale Alter liegt zwischen 20 und 25 Jahren, die Ausbildung dauert auch drei Jahre und das Einstiegsgehalt mit 70.000 Euro pro Jahr ist sehr attraktiv. Wir merken aber, dass Geld nicht mehr der Hauptgrund ist, das Thema Work-Life-Balance ist ein sehr starkes. Was uns hilft, ist natürlich die Tatsache, dass es – anders als in anderen Branchen – nicht so leicht ist, zu wechseln. Wir haben daher eine geringe Fluktuation.

Heute: Was müsste man denn an den Rahmenbedingungen ändern, damit es Ihnen besser geht?

Niedl: Meine Tochter erzählt mir von der Schule, wenn sie EDV-Unterricht hat, dass sie im ganzen Semester kein einziges Mal den EDV-Raum gesehen hat. Der Lehrer sagt: "Wenn wir Geografie haben, müssen wir auch nicht ins Ausland fahren." Gerade im Ausbildungsbereich haben wir einen enormen Nach

holbedarf. Da ist ein Bruch passiert zwischen dem, was Unternehmer brauchen, und dem, was ausgebildet wird. Wir müssen wieder Rahmenbedingungen schaffen in Lehrplänen, dass man dort andockt, wo wir in Zukunft strategisch die Leute brauchen. Auch dass die Lehrer keine Scheu haben vor der Transformation. Die Kinder sind da sehr offen dafür. Das Neue an der Digitalisierung ist, dass sich die Technologien sehr schnell ändern.

Angelo: Der Stellenwert der Lehre ist wichtig. Es ist eine qualitativ hochwertige fundierte Fachkräfteausbildung, mit der man international durchaus reüssieren kann. Das Verstärken dieser Wertigkeit wäre mir ein großes Anliegen. Schule muss Lust machen, weiter zu lernen. Man muss aber auch den Lehrern die Möglichkeit geben, Kompetenzen in den neuen Medien zu erwerben. Wir brauchen die Schulen als Partner und nicht als Konkurrent.

Schulen als Partner und nicht als Konkurrent

Bilek: Was mich stört: Es wird an den Lehrplänen viel an der Wirklichkeit vorbeiproduziert. Die Digitalisierung kommt, da muss man halt Mittel umschichten. Die Politik sollte auch in Rahmenbedingungen eingreifen, wie in die unselige Arbeitszeitdiskussion. In fünf Jahren sitzen die Leute mit einem

Smartphone irgendwo, den klassischen Arbeitsort gibt es nicht mehr und der Arbeitsinspektor wird auch nichts mehr zu tun haben. Die Leute arbeiten dank Smartphone vielleicht zwölf Stunden, das ist unüberprüfbar.

Senoner: Wir haben ein duales System in Österreich, wir sind stolz darauf, wir entwickeln es nicht weiter und wir nutzen es nicht. Im Vergleich zu Deutschland, wo es selbstverständlich ist, eine Lehre zu machen oder den osteuropäischen Ländern, die um ein derartiges System ringen. Die österreichische Politik ist wirklich gefordert, dieses duale System zu beleben. Das würde uns helfen, viele Probleme zu lösen.

Der Schlüssel, ob jemand bleibt, ist die Führungskraft!

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Alois Huber (li. mit Franz Nigl) plädiert für die Vermittlung von Soft-Skills. (Foto: Philipp Enders)

Huber: Auch die Bildungspolitik ist gefordert, dass der Übergang von der Schule zum Beruf viel vernetzter geht. Wo sind in den Lehrplänen die Soft Skills verankert? Die sollten vermittelt werden, die uns dann wieder junge Arbeitnehmer bringen, mit denen man arbeiten kann.

Das duale System muss belebt werden

Efferdinger: Wir haben Erfahrung mit Personen im Callcenter, denen zeigen wir einen leeren Österreich-Plan und sagen, zeichnen Sie bitte die Landeshauptstädte und die West- und Südautobahn ein. Sie glauben nicht, was da abgebildet wird. Mir fehlt es an der Vermittlung von Begeisterung. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Jugendliche von der leidvollen Schulzeit in die leidvolle Arbeit hinübergleiten. Denn es wird vermittelt: Von 9 bis 16 Uhr geht's dir schlecht, weil da musst du arbeiten, und das Leben beginnt nach 16 Uhr. Und das ist nicht nur Aufgabe der Schule.

Entstauben der alten Lehrpläne notwendig

Nigl: Die duale Ausbildung liegt in erster Linie beim Wirtschaftsministerium. Da bemüht man sich etwas zu tun mit den neuen Lehrberufen. Wenn ich ins Bildungsministerium blicke, die kümmern sich um Noten, aber nicht um die verstaubten Lehrpläne seit 20 Jahren, obwohl die mittlerweile einem viel schnelleren Zyklus unterliegen. Es wird sehr viel Geld für Arbeitslose ausgegeben, aber für jene, die in die Arbeit drängen von der Schule, wird am wenigsten ausgegeben.

Angelo: Auch die Unternehmen haben eine Verpflichtung. Zum AMS kommen Menschen in Krisensituationen, da ist es nicht immer ganz leicht mit Umschulungen in späten Lebensphasen. Kraus: Wir haben eine Top-Infrastruktur im Land, die wir nutzen müssen. Das bedeutet aber auch, dass wir bereit sein müssen, einen Teil des Bildungsauftrags zu übernehmen – etwa mit Fachhochschulen, die an uns herantreten, einen gemeinsamen Studiengang entwickeln. Das bedeutet aber auch, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Energie zu investieren.

Bewerbern ehrliches Bild künftiger Aufgaben geben

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Für Günter Senoner (l.) sind Führungskräfte entscheidend. (Foto: Philipp Enders)

Heute: Welche Maßnahme ist denn die erfolgreichste bei der Anwerbung von Leuten?

Bilek: Die Vereinbarkeit Familie/Beruf wird immer wichtiger. Betriebskindergarten, gleitende Arbeitszeit, Home-Offices kommen bei uns besonders gut an. Es hat sich viel verändert, junge Leute wollen heute genug verdienen, um sich Freizeit auch leisten zu können.

Die Arbeitszeiten flexibilisieren

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Nina Schmidt im Small Talk mit Alexander Kraus. (Foto: Philipp Enders)

Angelo: Wir haben bei uns auch viele Schichtarbeiter. Das ist für viele wirklich eine Herausforderung. Innovative Arbeitszeitmodelle, die mit unseren Sicherheitsbedürfnissen zusammenpassen, werden wichtiger. Kalina: Es ist wichtig, den potenziellen Kandidaten einen sehr offenen und ehrlichen Einblick ins Unternehmen zu gewährleisten. Dann kann jeder entscheiden: Ist das etwas für mich oder nicht? Efferdinger: Das Wichtigste für uns ist, sich die Loyalität der Bewerber und Dienst

nehmer zu verdienen. Es geht darum, ein ehrliches Bild der künftigen Aufgabenstellung zu skizzieren und die Versprechungen, die ich mache, einzuhalten.

Schmidt: Innovation findet dann statt, wenn Personen zusammenkommen. Wir arbeiten flexibel über die österreichischen Grenzen hinaus zu verschiedenen Tageszeiten. Da ist natürlich der Wunsch, Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Es geht auch in die Richtung, wie das Unternehmen für die Mitarbeiter gesamtheitlich da ist. Etwa bei der Unterstützung im Bereich Pflege von Angehörigen. Wenn etwa Angehörige krank werden, dann kann bei uns jemand einen Monat bezahlt in Pflegekarenz gehen. Bei uns ist aber nicht der Ponyhof: Wir messen alles, was möglich ist, die Leistung muss erbracht werden.

Kraus: Das Kulturelement ist das entscheidende – wir haben austauschbare Produkte, aber wir stehen für eine ganz bestimmte Kultur. In Bewerbungsgesprächen legen wir Wert da

rauf, sehr authentisch, offen und kritikfähig zu sein und zuzuhören.

Nigl: Dieses eine Element ist das Schwierige. Ich habe Bereiche, wo ich in der Unternehmenszentrale flexibles Arbeiten zulassen kann. Ich glaube, es würde niemand Freude daran haben, wenn der Zusteller sagt, jetzt mache ich einmal Pause und dann komme ich nicht mehr zum Dienst, oder ein Zug fährt nicht mehr weiter. Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Was ist das Wichtigste? Das Wollen, das Interesse, die Eigeneinstellung. Der Schlüssel, ob jemand bleibt, ist die Führungskraft. Deshalb suchen bei uns auch die Führungskräfte aus und werden vom Recruiting nur unterstützt.

Ressourcen zur Verfügung stellen

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Silvia Angelo und Markus Pohanka beim Netzwerken. (Foto: Philipp Enders)

Senoner: Reinhard Sprenger hat so einen netten Satz geschrieben: Bewerber kommen zu Unternehmen und verlassen Führungskräfte. Das bringt es genau auf den Punkt.

Huber: Das ist alles Employer-Branding. Die Top-Maßnahme für eine Arbeitgeber-Marke ist es, wenn wir es als Unternehmen schaffen, mit unseren Führungskräften, dass die Mitarbeiter ihre Kinder wieder zu uns schicken.

Niedl: Es ist ganz wesentlich, nicht nur zu schauen, ob Menschen führen können, sondern auch auf die veränderten Rahmenbedingungen. Wir sind in einer Welt, die sich verändert in Richtung agile Organisationsformen. Daran muss ich die neue Führungsgeneration heranführen.

Heute: Danke für das interessante Gespräch!

(ib)