Wirtschaft
Digitalisierung verleiht der Bildung nun Flügel
Die heimischen Bildungsexperten verraten im Gipfelgespräch, wie sie die Zeit der Coronakrise genutzt haben, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Covid 19 und der im Frühjahr stattgefundene Lock Down haben unser Bildungssystem ein wenig durcheinandergerüttelt. Doch die heimischen Bildungsexperten ware nicht untätig und haben diese Zeit genutzt, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Viele bereiten sich mit Bildung auf schwerere Zeiten vor
Elf Fachleute aus dem Bildungsbereich diskutierten im Meliá Vienna brennende Bildungsthemen. „Heute“-Redakteur Mathias Klein moderierte.
Heute: In Zeiten wie diesen, warum sollte man genau jetzt eine Ausbildung anstreben? Was zeichnet Ihr Institut aus?
Christa Schnabl (Vizerektorin der Universität Wien): Die Universität Wien ist eine der größten im europäischen Raum, international aufgestellt und forschungsorientiert. Für 80.000-90.000 Studierende ist sie attraktiv. Es werden 50 Bachelor- und 100 Master-Studien angeboten, mit Vertiefung zu aktuellen Themenstellungen. Gerade wurde mit drei neuen Studien im Bereich Digitalisierung begonnen, 70 neue Professuren wurden ausgeschrieben und teilweise schon besetzt. Da gibt es einen richtigen Schub.
Alfred Pritz (Rektor der Sigmund Freud Privatuniversität): An der Sigmund Freud Privatuniversität sind 5.000 Studenten inskribiert. Sie ist die größte unter den Privatuniversitäten. Wir bilden zu Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzten, Zahnärzten und Juristen aus. Auch für uns ist die Einbindung in Forschung wichtig. Daneben bemühen wir uns um Unterricht, der die Zeichen der Zeit versteht, um eine Verbindung von Praxis und Theorie zu erreichen.
Johan F. Hartle (Rektor der Akademie der bildenden Künste): Wir sind eine altehrwürdige Kunst-Institution, dennoch sind wir zukunftsorientiert. Ausgehend von klassischen Feldern der künstlerischen Praxis bis hin zu Architektur und trainiert darauf, uns auf Ungewissheiten vorzubereiten, die gesellschaftliche Situationen erträglich machen, Lebensentwürfe, die sich jenseits der beruflichen Stabilität bewegen.
Herbert Schweiger (Geschäftsführer VHS): Bei uns gibt es einen breiten Bildungsbegriff. Deswegen kommen viele gerne freiwillig. Es gibt einen Anstieg von Bildungsabschlüssen, Berufsreifeprüfungen. Leute bereiten sich mit besserer Bildung auf schwerere Zeiten vor. Wir wissen nicht, was noch passieren wird. Nichtsdestotrotz glaube ich, die Beweglichkeit hat speziell im Sommer abgenommen, die Leute haben sich anderer Dinge besonnen.
Angela Schmidt (Marketing Lernquadrat): Wir sind eines der zwei größten Nachhilfe-Institute in Österreich. Wir kümmern uns um Schüler, die eventuell ohne Nachhilfe die Schule nicht abschließen könnten. Vielleicht ist das System schlecht, nicht die Schüler. Wir schaffen es, alle Schüler zum Abschluss zu bringen. Wie wir bemerkt haben, hat während der Corona-Zeit der Notendruck abgenommen. Viele Schüler waren alleine vor Laptops, viele waren überfordert.
Fritz Schmöllebeck (Rektor der FH Technikum Wien): Wir sind mit 4.500 Studierenden der größte Technikbereich im Datenschutzsektor. 50 Prozent unserer Studienplätze bieten wir berufsbegleitend an. Wenn es am Arbeitsmarkt schwierig wird, gibt es da eine höhere Nachfrage. Schön, wenn sich Menschen zu Weiterbildung entschließen.
Ulrike Sych (Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst): Wir gehören zu den größten Musik-Universitäten weltweit und sind immer in den oberen Rängen zu finden. Wir diskutieren den Qualitätsbegriff, positionieren uns als heterogen und diversifiziert, sind extrem international. Die Musik-Therapie Wissenschaft ist auch groß aufgestellt, wir bieten ein Doktorat in 18 Fächern an und nehmen den bildungspolitischen Auftrag sehr genau, möchten auf die gesellschaftliche Relevanz der Kunstausbildung aufmerksam machen. Während der Corona-Zeit bewahrheitet sich, wie wichtig Kunst und Kultur für die Gesellschaft sind.
Digitales Lernen wird wichtiger, aber Präsenzunterricht bleibt
Franz-Josef Lackinger (Geschäftsführer BFI): Wir sind die erste Anlaufstelle für jene Menschen, die es mit dem ersten Bildungsweg nicht schaffen, zu einem beruflichen oder schulischen Abschluss zu kommen. In jungen Jahren oder im fortgeschrittenen Alter. Man kann nicht nur mit 40 noch Medizin studieren, sondern auch ein Gewerbe erlernen. Wir versuchen, die bunte Vielfalt der Berufe durch ein entsprechendes Angebot abzuwickeln.
Karl Wöber (Rektor Modul University Vienna): Die Universität wurde vor 13 Jahren gegründet mit Spezialisierung auf Wirtschaftswissenschaften, Internationales Management, Digitale Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung. Alle Studien werden in englischer Sprache angeboten. Es gibt ein ausgezeichnetes Betreuungsverhältnis und einen hohen Internationalisierungsgrad. 70 Prozent unserer Studierenden kommen aus dem Ausland. 80 Nationen werden repräsentiert.
Markus Müller (Rektor der Med Uni Wien): Wir bieten ein großes Medizinstudium mit einem Aufnahme-Test an. Wir haben 60.000 Studienplätze. 45 Prozent sind für Menschen mit österreichischem Maturazeugnis vorgesehen. Der Motor ist der biomedizinische, biotechnische Bereich. Eine unserer großen Aufgaben ist es neben der Forschung einen Beitrag zur Patientenversorgung zu leisten. Gerade erleben wir eine spannende Phase der Medizin-Entwicklung, von molekular zu digital. Den Sprung in eine neue Zukunft möchten wir mit einer neuen Infrastruktur begehen. Deswegen entsteht bis 2025 in der Spitalgasse ein großes Bauprojekt.
Heute: Herr Minister, wie geht es in Corona-Zeiten weiter?
Heinz Faßmann (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung): Das Wesen der Corona-Ampel geht in eine andere Richtung, als ich es angenommen hatte. Zunächst glaubte ich, es handle sich um die fixe Synchronisierung zwischen Ampelfarbe und Maßnahme. Das löst sich aber auf. Die Bildungseinrichtungen insgesamt sind gut eingestellt. Es gibt eine Mischung aus Präsenzlehre und digitalem Lernen. Mehr Distance Learning ist ein guter Ansatz, man muss flexibel auf eine Situation reagieren.
Heute: Ist der klassische Präsenzunterricht überholt?
Christa Schnabl (Uni Wien): Er ist nicht überholt. Wir leben in einer Situation, die es erfordert, breit und flächendeckend digitale Lehre in unser Tun einzubauen. Für die Zukunft wird man sehen, was sich bewährt, was man mitnehmen kann. Auch wenn wir etwas für pädagogisch als sehr sinnvoll einstufen, könnte es nicht verantwortungsbewusst in der aktuellen Lage sein. Daher haben wir an den Universitäten stark technische Unterstützungsmaßnahmen aufgebaut.
Herbert Schweiger (VHS): Die Volkshochschulen haben auch einen Sprung gemacht, wenn man sich den Fortschritt anschaut. Wer kann sich das leisten? Man darf nicht auf Erwachsenenbildung vergessen. Volkshochschulen stehen für alle. Da muss man auch politisch schauen, dass solche Menschen auch Zugang zu den Angeboten finden.
Johan F. Hartle (Akademie der bildenden Künste): In manchen Disziplinen ist die Unmöglichkeit, vor Ort zu arbeiten, fatal. Wir haben versucht konzeptionelles Arbeiten in den Vordergrund zu stellen. Doch die Vereinzelung vor individuellen Bildschirmen verunmöglicht es, mitzugestalten. Das wird als gestaltende Universität eine der wesentlichen Herausforderungen sein.
Österreichs Universitäten sind in Rankings ganz weit vorne dabei
Ulrike Sych (Musikuni): Kunst kann man nur ergänzend digitalisieren. Es ist eine große Herausforderung, digitales Rüstzeug auszubauen, um beste Klangqualität zu erzeugen.
Alfred Pritz (Sigmund Freud Privatuni): Ich wollte hinzufügen, es ist sehr mühselig. Ein Teil der Lehrenden wollte nicht, ein Teil weigert sich noch immer. Vier Psychologie-Ambulanzen wurden auch auf online umgestellt. Eine gewisse Anzahl an Patienten war froh, ein digitales Angebot zu haben.
Fritz Schmöllebeck (Technikum Wien): Bei uns studieren Menschen, weil sie gerade vor Ort und gemeinsam an Projekten arbeiten möchten. Das müssen wir als ein Goldkörnchen bewahren. Studierende und Lehrende haben an einem Strang gezogen. Jetzt müssen wir schauen, wie wir ein stabiles System daraus machen können. Die Kultur bei uns ist doch eine Kultur der Präsenz-Hochschulen.
Franz-Josef Lackinger (BFI): Wir haben rührende Fotos von unseren Kursteilnehmern bekommen, wo die arbeitsuchende Mutter den Kurs besucht und mit ihrer Tochter am Küchentisch gemeinsam lernt. Natürlich gibt es Leute, die nicht diese Wohnsituation oder das technische Angebot haben. Viele kommen um 7:30 Uhr in die Lehrwerkstätte, aber schaffen es nicht, um diese Zeit vor Zoom zu sitzen.
Karl Wöber (Modul University): Es gibt viele Studierende, die begeistert waren, aber jetzt wieder persönlichen Unterricht einfordern, da sie dafür auch hohe Studienbeiträge zahlen.
Markus Müller (Med Uni): Wäre die Pandemie nicht im Jahr 2020, sondern 1990 gewesen, gäbe es kein Social Media, Internet, iPhone. Es wäre viel dramatischer, wenn wir nicht diese Instrumente gehabt hätten. Die Digitalisierung rettet uns Bildungsinstitutionen gerade. Man kann den menschlichen Kontakt nicht grundsätzlich ersetzen, aber die Frage von analog zu digital sollte nicht reaktiv gestellt, sondern proaktiv beschlossen werden. Das elektronische Rezept hat lange nicht funktioniert. Skype-Visiten waren verpönt, jetzt erhalten sie Zuspruch. OP-Roboter mit 3D-Brillen-Visualisierung erlauben ein didaktisches Erleben. Mit der traditionellen Lehre hinken wir hinterher.
Heinz Faßmann: In manchen Fächern ist Distance Learning schon früh verankert worden, etwa bei den Juristen. Es gibt unterschiedliche Fächer-Traditionen und Notwendigkeiten bei der Mischung, dem hybriden Lernen. Es ist ein Innovationsbeschleuniger.
Heute: Wo sind die großen Baustellen, welche Wünsche haben Sie an die Politik?
Johan F. Hartle (Akademie der bildenden Künste): In der Gestaltbarkeit der digitalen Transformation stoßen wir auf Neuland. Dafür müssen Dinge zur Verfügung stehen.
Angela Schmidt (Lernquadrat): Wir haben zu wenig über Kinder gesprochen. 20 bis 25 Prozent der Schüler kommen nicht ohne Hilfe durch die Schule. Wie können wir diese Kinder im Bildungssystem halten. Da fließen Tränen, es gibt Streit, Kinder haben Bauchweh, wollen nicht in die Schule. Von 1.000 Lehrern haben sich 600 dazu bereit erklärt, einen OnlineKurs anzubieten. Wir haben es bei 70 Prozent der Schüler geschafft, sie durchs Corona-Semester zu kriegen.
Fritz Schmöllebeck (Technikum Wien): Projekte, die sich mit Digitalisierung in einem hohen Ausmaß beschäftigen, sollten gefördert werden.
Herbert Schweiger (VHS): Die Personen sollten über die nötigen Mittel verfügen, um online mitzumachen. Immerhin ist es ein gratis Bildungsweg.
Heinz Faßmann: In Österreich sehen wir uns kleiner als wir sind. Eine Kunst-Uni ist ganz weit vorne, eine Med-Uni ist ganz weit vorne und wir haben einen ganz hervorragend aufgestellten Teil an Privatunis. Für die meisten ist Bildung kostenfrei. Es ist uns ein Anliegen, junge Menschen nicht aufgrund ihrer sozioökonomischen Strukturen zu verlieren, am Bildungserfolg nicht teilhaben zu lassen. Die Ambition bildungspolitischer Maßnahmen muss dahin gehen, mehr zu erreichen. Dass wir die Reflexion unserer Leistungen im Budget des Finanzministeriums finden, verbindet uns alle.
Heute: Danke für das Gespräch.