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Erdogan: "Wir wollen das Geld der EU nicht mehr"

Heute Redaktion
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Der türkische Präsident beschuldigte die EU, ihren Teil des Flüchtlingsabkommens nicht zu erfüllen. Ein Krisentreffen mit Unionsvertretern lässt Erdogan nun ins Wasser fallen.

"Wir wollen die angebotene eine Milliarde Euro nicht mehr, denn niemand hat das Recht, die Türkei zu erniedrigen", mit dieser Kampfansage sorgte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für Aufregung. Er wirft der EU vor, ihren Teil des 2016 geschlossenen Flüchtlingsabkommens nicht einzuhalten.

Die Grenzen blieben offen, sagte Erdogan am Montag in seiner Fernsehansprache. Jetzt sei es an der EU, ihren "Teil der Last" zu tragen. "Hunderttausende" Flüchtlinge hätten sich seit der Grenzöffnung auf den Weg Richtung Europa gemacht, "bald werden es Millionen sein", sagte Erdogan.

Nach Beobachtungen vor Ort scheinen diese Zahlen jedoch stark übertrieben zu sein. Rund 13.000 Menschen harren nach UNO-Angaben an der türkisch-griechischen Grenze aus.

Erdogan will Nato auf seine Seite zwingen

Ein Treffen mit dem Premierminister, der von einer Grenzöffnung unmittelbar betroffenen Griechen, Konstantinos Mitsotakis, und weiteren EU-Vertretern erteilte Erdogan eine Abfuhr. Kurz zuvor hatte sich am Montag der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow in Vermittlerrolle nach Ankara begeben und seine Hauptstadt Sofia als Verhandlungsort angeboten.

Die aktuellen Kämpfe rund um die Rebellenregion Idlib haben rund eine Million Menschen in die Flucht getrieben, die sich nun in Richtung Türkei bewegen. Rund 3,7 Millionen Syrier hatten die Türken bisher an einer Weiterreise in die EU gehindert.

Erdogan wolle nun mit seiner Strategie der offenen Grenzen "Druck auf die EU ausüben – und auf die NATO, damit die sich in Idlib an ihre Seite stellt", meint Türkei-Experte Kristian Brakel im Interview mit der "Tagesschau". Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wirft Erdogan vor, den Ansturm auf die Grenzen bewusst organisiert zu haben (siehe Video unten). Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ortete eine "böse Provokation".

Die syrische Armee wird auf ihrem Vormarsch unterdessen von Russland unterstützt. Eine direkte Konfrontation mit Putins Truppen, will Erdogan wegen der wichtigen diplomatischen Beziehungen aber vermeiden.

"Brauchen ein funktionierendes Asylsystem"

Mit seiner Haltung würde Erdogan nun das Vertrauen der EU verspielen, sagt Brakel. "Aber wo er vielleicht richtig kalkuliert, ist die Verzweiflung der Europäer. Sie haben den Wunsch, dass es nicht wieder zu einer Flüchtlingswelle wie 2015 kommt und sind deshalb vielleicht bereit, große Opfer zu bringen. Er hofft, dass sie ihm deshalb doch die Unterstützung gewähren, die er möchte – auch wenn man ihn eigentlich politisch nicht unterstützen will."

Griechenland hat unterdessen das Asylrecht für einen Monat außer Kraft gesetzt. Zudem setzen griechische Sicherheitskräfte Tränengas und Blendgranaten gegen Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze ein. "Das entspricht in keinem Fall dem, wofür die EU eigentlich stehen sollte", sagt Brakel kategorisch. "Der Weg, den die Griechen eingeschlagen haben, ist schon sehr, sehr zweifelhaft. Wir brauchen ein funktionierendes Asylsystem: schnelle Entscheide sowie Aufnahme und Schutz für diejenigen, die wirklich aus Kriegsgebieten kommen und diesen Schutz verdienen."