Terrorismus-Forscher Peter R. Neumann ist aktuell ein gefragter Mann. Ließ er noch Anfang der Woche mit seiner Warnung vor einem neuen "Drehbuch" für rechtsextremistisch gesteuerte Proteste im Lichte der Briten-Krawalle aufhorchen, steht er nun mit Einschätzungen zum verhinderten Anschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien vor den internationalen TV-Kameras.
Seine Prognosen sind düster: Die islamistische Terrorgefahr sei in Europa nie ganz weg gewesen, habe sich nun aber wieder verstärkt. "Der IS wurde 2019 in seinem Stammland in Syrien und im Irak besiegt, aber virtuell hat er niemals aufgehört", sagt der Politwissenschaftler Donnerstagabend gegenüber dem ZDF und später dann auch in der ORF-ZIB2 mit Margit Laufer.
In den letzten Monaten habe sich die Zahl der beobachteten Anschläge und Anschlagspläne weltweit gegenüber 2022 vervierfacht. Es gab sechs Anschläge, 21 konnten verhindert werden. "Das muss man ernst nehmen".
Neumann zeichnet ein erschütterndes Bild: "Da wird eine ganz neue Generation radikalisiert." Zwei Drittel der in den letzten zehn Monaten aufgedeckten Gefährder seien Teenager – so auch in Wien. Die drei Verdächtigen sind 19, 17 und 15 Jahre alt. "Viele von denen radikalisieren sich fast ausschließlich im Internet." Der 7. Oktober – an diesem Tag überfielen Hamas-Terroristen Israel – habe ihnen "einen richtigen Schub" gegeben.
Es seien "verschiedene Faktoren geopolitischer, demografischer Natur", die zusammenkämen und eine Radikalisierung junger Menschen vorantrieben, warnt der Terrorismusexperte. Soziale Medien würden dabei mit ihren Algorithmen Treiber und Katalysator zu blutiger Gewalt.
Als besonderes Negativbeispiel dafür nennt Neumann das vor allem bei jungen Menschen beliebte TikTok: "Wenn Sie da einmal auf etwas klicken, das in diese Richtung geht, bekommen Sie nur noch Content, der in diese Richtung geht. Das Netzwerk wird Ihnen noch dazu geliefert."
Dort würden sie sich die Jugendlichen an den brutalen Propaganda-Videos der Islamisten "aufgeilen" und irgendwann bliebe bei ihnen hängen, dass sie selbst nur etwas zählen würden, wenn sie auch solche Gewalttaten verübten. "TikTok-Dschihadisten", nannte Neumann dieses Phänomen bereits in der Vergangenheit.
Dazu käme noch die Nutzung von Telegram, wo sich Radikalisierte verschlüsselt und in Sicherheit vor Abhörversuchen austauschen könnten. Auch die Wien-Attentäter hätten Telegram genutzt, um ihre geplante Bluttat vorzubereiten. "Da ist noch ganz viel zu tun, auch für die Sicherheitsbehörden."
Österreich sei dabei aber nicht besonders im Visier von radikalen Islamisten. "Wir sehen diese versuchten Anschläge gehäuft überall in Europa." Die Ziele seien oft eben solche "Ausdrucksformen des freien Westens" wie sie Popkonzerte, die Regenbogenparade oder Sportereignisse darstellen.
Ein junger IS-Fanatiker wollte vor dem Ernst-Happel-Stadion offenbar "möglichst viele Ungläubige töten", hatte dazu Macheten und Bomben vorbereitet. Er wurde davor aber von der Polizei am 7. August in Ternitz (NÖ) verhaftet. Der chronologische Überblick über die Ereignisse:
"Die Dschihadisten sehen solche Konzerte nicht nur als Ansammlungen von Ungläubigen, sondern auch als Orte, wo dieses ungläubig sein praktiziert wird. Da mischen sich Geschlechter, da gibt es laute Musik, da passieren Dinge, wogegen die total ideologisch stehen". Sicherheitsdienste von Großveranstaltungen müssten deshalb in Zukunft "ganz besonders aufpassen".