Polio bedroht seit Jahrhunderten die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern, doch heute ist sie für die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa weitgehend eine vergessene Krankheit. Die Polio-Impfung ist zweifellos die erfolgreichste Maßnahme im Kampf gegen das "Kinderlähmungsvirus".
Jetzt mahnen Gesundheitsexperten zur Vorsicht. Denn in mehreren europäischen Ländern gäbe es eine "ungewöhnlich hohen Zahl" an Poliovirus-Nachweisen. Davon schreiben der WHO-Europadirektor Hans Kluge und die Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), Pamela Rendi-Wagner, im Fachblatt "Eurosurveillance". So seien in Abwasserproben mehrerer deutscher Städte sowie an Orten in Spanien, Polen, Großbritannien und Finnland kürzlich Polioviren entdeckt worden.
Bei den Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Geimpfte können das abgeschwächte Virus bis zu sechs Wochen lang ausscheiden und sich so weiterverbreiten.
Poliomyelitis ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die Lähmungen auslösen und zum Tod führen kann. Vor allem bei Kleinkindern können dauerhafte Schäden bleiben. Die Verbreitung erfolgt meist über Schmierinfektion oder verunreinigtes Wasser, v.a. in Ländern mit niedrigem Hygienestatus. Eine vollständige Heilung gibt es bisher nicht.
Nur die Polio-Impfung schützt vor einer Erkrankung, nicht aber unbedingt auch vor einer Übertragung; d.h.: geimpfte Personen können das Virus übertragen, ohne aber selbst daran zu erkranken. Ungeimpfte können auch daran erkranken.
Bei den meisten Infizierten treten keine Symptome auf – die Infektion bleibt also unerkannt. Bei etwa 4 % bis 25 % der Infizierten kommt es zu grippeähnlichen Symptomen, etwa 4 % der Infizierten erkranken an Hirnhautentzündung ohne Lähmungserscheinungen oder Folgeschäden. Lediglich bei einem von 200 Infizierten entwickeln sich Lähmungserscheinungen, in Einzelfällen ist auch die Atemmuskulatur betroffen, welches zum Tod des Erkrankten führt. Bei bis zu 50 % dieser an der klassischen Kinderlähmung erkrankten Personen kann nach etwa 30-40 Jahren der Akutinfektion das "Postpolio-Syndrom" auftreten, dabei kann es zu Schmerzen in den Extremitäten, aber auch erneut zu Lähmungserscheinungen kommen.
Obwohl die Erkrankung in Österreich nicht mehr vorkommt, gibt es einige Länder, in denen man sich mit dem Poliovirus anstecken und erkranken kann. Deshalb ist die Polio-Impfung weiterhin wichtig.
Auffrischung im Erwachsenenalter
Nach einer Grundimmunisierung im Kindesalter und zwei Auffrischungen im Jugendalter sind Auffrischungen im Erwachsenenalter nur bei besonderen Indikationen erforderlich, z. B. Reisen in Länder mit erhöhtem Risiko (Afrika, Asien).
Auf "Heute"-Nachfrage erklärt die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), dass Dank eines konsequenten Impfprogramms seit den 1960er Jahren die Verbreitung des Virus in Österreich stark eingedämmt werden konnte. So sei seit 1980 in Österreich kein Fall von Polio (Kinderlähmung) mehr nachgewiesen worden.
In Österreich wird daher von Seiten der AGES an der Nationalen Referenzzentrale für Polioviren in Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, sowie der WHO seit 1998 eine landesweite Überwachung von Fällen schlaffer Lähmung durchgeführt. Dieses Surveillance System wird durch ein zusätzliches epidemiologisches Labornetzwerk zur österreichweiten Enterovirus-Überwachung (Polioviren sind Enteroviren), in welches österreichweit 19 Laboratorien eingebunden sind, unterstützt.
Trotz großer Fortschritte konnte das Poliovirus bisher nicht vollständig ausgerottet werden. Die Wildvirusstämme sind heute nur noch in Gegenden zweier Länder auf: in Afghanistan und in Pakistan. In diesen beiden Ländern wurden 2024 98 Fälle durch diesen Wildvirusstamm bestätigt. Gelegentlich treten zudem Erkrankungen durch rückmutierte Impfviren auf. Dies geschieht vor allem in Ländern, die Polio-Schluckimpfungen verwenden. Dort kann das Impfvirus bei niedrigen Durchimpfungsraten zirkulieren und rückmutieren. Im Jahr 2024 wurden 278 solcher Fälle nachgewiesen. In den meisten europäischen Ländern, darunter Österreich, sind Polio-Schluckimpfungen allerdings nicht mehr üblich.