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Far Cry New Dawn im Test: Apokalyptisch aufgeräumt

Das neue Far Cry Spin-Off New Dawn ist nicht nur ein solider Action-Shooter. Es scheut sich auch nicht davor, spielerisch neue Wege zu gehen.

Heute Redaktion
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Dass Far Cry New Dawn ein bekanntes Szenario an den Anfang stellt, ist eine der wenigen Übereinstimmungen mit den letzten Spielen der Reihe. So stellt sich der Auftakt wiederum so dar, dass eine Gruppe feindlicher Kämpfer unter der Führung charismatischer Figuren die restliche Bevölkerung unterdrückt – und der Spieler den Widerstand anführt, um diese Herrschaft zu brechen.

Nachdem der Vorgänger Far Cry 5 die Sektenfamilie Seed unter dem als "Vater" verehrten Joseph vorstellte, um den sich fanatische Anfänger scharen und den Rest der Welt mit Gewalt bekehren wollen, sind es im daran anknüpfenden Far Cry New Dawn die Highwaymen unter der Führung weiblicher Zwillinge, die es auf die Zivilisation abgesehen haben. Und der Spieler ist einmal mehr der wortkarge Fremde, der den Kampf für die Schwachen aufnimmt.

So weit, so bekannt. Doch New Dawn ist kein billiger Nachfolger des fünften Teils, sondern ein mutiges Experiment. Viele Mechaniken der Vorgänger wurden endgültig entsorgt, dafür neue Elemente eingeführt. Und auch bei der Erzählung der Handlung erlebt man als Spieler positive Überraschungen. Vieles funktioniert aber auch nur, wenn man Far Cry 5 bereits kennt.

Von Anfang an

Der Anfang von Far Cry New Dawn ist auch gleichzeitig das Ende der Welt. Nach dem atomaren Finale von Far Cry 5 sind 17 Jahre vergangen – und es ist noch nicht lange her, dass sich die Überlebenden aus ihren Schutzbunkern wieder an die Erdoberfläche gewagt haben. Mittlerweile hat die Natur die Kontrolle übernommen, Rohstoffe und Nahrungsmittel sind knapp geworden und Siedlungen entstehen nur mit mäßigem Erfolg.

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Aushelfen soll da Thomas Rush, der als Held gilt, weil er bereits anderen Gruppen geholfen hat, standhafte Siedlungen zu errichten. Bis zu diesem Punkt werden Far-Cry-5-Kenner und -Nichtkenner gleichermaßen gut versorgt. Ab hier wird es aber für Neulinge schwer, Zusammenhänge herzustellen und die Figuren sowie ihre Motive zu verstehen.

Ärger im Doppelpack

Um Spoiler zu vermeiden, lassen wir einfach mal die Geschehnisse aus Teil 5 und die Details der Figuren aus New Dawn beiseite. Nur so viel: In Hope County, in dem der fünfte Teil spielt, arbeiten die Überlebenden ebenfalls an einer Siedlung und hoffen auf die Hilfe des angeforderten Rush. Doch dessen Zug mit Hilfsgütern und Personal wird von den Highwaymen überfallen – und der Spieler als Rushs Captain der Wachmannschaft überlebt als einer der wenigen den Angriff.

Charismatisch in bester Vaas-Montenegro-Manier zeigen sich die beiden Anführerinnen der Highwaymen, die Zwillinge Lou und Mickey. Was ihnen an Wahnsinn im Vergleich zu dem Schurken aus Far Cry 3 fehlt, machen sie mit auch gezeigter Brutalität wieder wett. Gefangene werden mit Motorradhelmen totgeprügelt, müssen sich in Faustkämpfen umbringen oder werden als Fahrer in nicht zu überlebenden Autorennen zur Belustigung der Highwaymen missbraucht. Oder ein Schuss aus einer Schrotflinte fetzt ihnen das Gesicht weg – bei der Darstellung der Gewaltszenen gibt es wenig Zurückhaltung.

Handlung an drei Fronten

Neu ist in Far Cry New Dawn, dass die Handlung sich nicht alleine auf den Spieler und dessen direkte Umgebung fokussiert. Die Story wird auf drei Ebenen und in drei Teilen fortgeführt: Anfangs dreht sie sich primär um die in Hope County entstehende Siedlung, bezieht später die aus Far Cry 5 bekannte Sekte New Eden (dem Überbleibsel des "Project Eden's Gate") ein und breitet sich dann bis hin zu dem Endkampf mit den Highwaymen aus. Eine interessante Rolle nimmt dabei New Eden ein. Der große Feind aus Teil 5 steht wie der Rest der Überlebenden vor dem Nichts, was ungewöhnliche Kooperationen notwendig macht.

Die Wahrnehmung von Freund und Feind verschiebt sich dabei in geschickt gestrickten Missionen ebenso wie unsere Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe und der religiösen Sekte. Gerade die kolossale Bedeutung, die die Annäherung des Spielers an die Sekte bedeutet, bleibt jenen, die Far Cry 5 nicht gespielt haben, dabei leider verborgen. Und ebenso wird das Schicksal von "Vater" Joseph Seed und dem Deputy, in dessen Rolle der Spieler in Far Cry 5 schlüpfte, bei Nichtkennern für einen "Aha"-Effekt sorgen, während Kenner von der Enthüllung durchgeschüttelt werden. Was beide eint: Die etwas ruhigere und dafür ausführlichere, in drei Akte unterteilte Erzählung gefällt mit mehr Tiefgang, Rückblicken und der Beleuchtung, warum aus gewissen Figuren Freunde oder Feinde wurden. Emotional kann New Dawn dabei mehr bewegen, als es jeder andere Far-Cry-Teil bisher konnte.

Aufgeräumter Kampf

Auch beim Gameplay, speziell im Kampf, hat Ubisoft sichtbar aufgeräumt. In drei Schwierigkeitsgraden, wobei nur der höchste eine wirkliche Herausforderung bedeutet, wird über das bekannte Waffenrad ein Schießprügel gewählt und losgefeuert. Gut gefallen dabei die Waffen, die passend aus Blechdosen, Klebeband und Blech notdürftig zusammengeschraubt sind und irrwitzige Ausführungen wie einen Sägeblattwerfer bieten. Hitpoints bei Treffern an Körper und Kopf geben nun zudem besseres Feedback, wie gut ein Schuss sitzt. Verbessert wurde auch der Realismus, Kugeln und Pfeile haben eine deutlich stärkere der Gravitation geschuldete Flugkurve. Passend zur postnuklearen Apokalypse liegt ein starker Fokus auf Nahkampf-Waffen. Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen sind zwar auch zu finden, werden aber an der Zahl von Baseballschlägern, Metallrohren, Bögen und Schleudern übertroffen.

Eine passende Entscheidung, die allerdings stärker ausgefallen wäre, wenn die Munition für die Fernkampfwaffen stärker begrenzt worden wäre. Dafür hat die KI der Gegner deutlich zugenommen und besonders im Nahkampf versuchen sie, den Spieler mit Stößen aus dem Gleichgewicht zu bringen, statt blind draufloszuprügeln. Und: Getroffene Tiere wie Menschen humpeln nun deutlich wegen ihren Verletzungen und verbluten auch nach einer Weile. Eine neue Deckungsmöglichkeiten bieten tragbare Schilde, hinter denen man mit einer Pistole hervorzielen oder sie gegen Feinde schwingen kann und die zwei, drei Gewehrsalven aushalten. Später im Spiel kommen dann auch noch freischaltbare "spirituelle" Fähigkeiten hinzu, etwa eine Art Rage-Modus, in dem man wenig Schaden nimmt und dafür ganze Gruppen an Gegnern mit bloßen Händen ausschalten kann. Ob der Spieler generell als wilder Berserker oder als leiser Schleicher Missionen absolviert, bleibt meist ihm überlassen, in Far Cry 5 wurde man da noch eher in die Schleichrolle gedrängt.

Hilflose Helfer und neue Kumpanen

Wie in Far Cry 5 kommen wieder menschliche und tierische Helfer zum Einsatz, die den Spieler begleiten und entscheidend in den Kampf eingreifen können. Acht sind es diesmal an der Zahl, sie werden über kurzweilige Nebenmissionen freigeschaltet. Die "Guns" und "Fangs for Hire" decken die Palette vom starken Frontalangriff bis zum schleichenden Überfall wieder komplett ab und bestehen aus teils bekannten, teils neuen Gesichtern. Leider gibt es auch hier wieder ein, zwei Kandidaten, die eher hilflos als hilfreich sind. So hilfreich etwa Hunde-Begleiter "Timber" oder Scharfschützin "Nana" sind, so ärgerlich kann es mit dem Bazooka-bewehrten "Hurk" oder dem Brandpfeil-verschießenden "Judge" werden, wenn Explosionen und Brände das Leben des Spielers statt jenes der Gegner gefährdet.

Positiv ist, dass allesamt nicht so übermächtig sind, wie es teils in Far Cry 5 der Fall war. Dieses Mal lässt sich nur ein statt zwei Helfer ausrüsten und die Kumpanen suchen sich realistischer Schieß- und Deckungspositionen, statt in nur fünf Sekunden ein ganzes Feindlager ausgelöscht zu haben. Die Feindlager sind wieder quer über die offene Spielwelt verteilt, bieten aber ebenfalls eine Neuerung. Entweder man nimmt sie ein und nutzt sie als Schnellreisepunkte, oder man plündert sie. Im letzten Fall streift man wertvolle Rohstoffe ein, die man für die eigene Basis braucht, der Außenposten wird aber von den Highwaymen zurückerobert und der nächste Einnahmeversuch wird durch stärkere Feinde schwieriger. Ein interessantes Element, den statt sich auf Dutzende generische Punkte auf der Map zu stürzen, ist das Überfallen der wenigen und immer anspruchsvoller einzunehmenden Lager sowohl notwendig, als auch spielerisch frisch.

Basisbau geschickt umgesetzt

Aufatmen können jene, die mit dem Crafting-System in Far Cry bisher nicht viel anfangen konnten – und das auch spielerisch ein unlogisches Element war. Tiere erlegen und aus deren Fell Taschen und Beutel für mehr Munition machen? Schön und gut, aber wie soll das unterwegs ohne Werkzeuge funktionieren. Dementsprechend sind in New Dawn Waffen nur über Werkbänke in Außenposten und der eigenen Basis herstellbar oder bei Gegnern auffindbar, Tragemöglichkeiten werden wiederum über ein "Vorteil"-Menü aufgelevelt. Bei den Verbesserungen des eigenen Charakters, seiner Ausrüstung und den Begleitern geht New Dawn teils neue Wege.

Wie auch Gegner sind die eigenen Begleiter und die Waffen in vier Stärke-Klassen unterteilt. Wer sie hochleveln will, muss erst die eigene Basis "Prosperity", jene Siedlung die der Spieler zu errichten hilft, ausbauen. Wird das in Außenposten beschaffte Ethanol etwa in den Basis-Teil Trainingslager investiert, steigen die Begleiter eine Kampfklasse auf. Gleiches gilt für Werkstatt, Kräutergarten und Co.: Mit jedem Ausbau erhält man Zugriff auf neue und stärkere Fahrzeuge, Items und Waffen. Letztere sind im Kampf notwendig, da eine Klasse-I-Waffe einen Körperpanzer eines Klasse-III-Gegners nur schwer durchdringt. Schön beim Basisausbau: Man kann beobachten, wie sich die Siedlung verstärkt und die Ressorucenbeschaffung erfordert kaum grinden, sondern geschieht natürlich mit den aufgetischten Missionen.

Alcatraz und die ISS entdecken

Ebenfalls eine Neuerung, die sehr gut gefällt, sind die Expeditionen. New Dawn spielt nicht ausschließlich in Hope County, sondern lädt den Spieler zu Ausflügen in andere Teile der Welt ein. Expeditionen sind spezielle Plünderungsmissionen, zu denen uns Hubschrauberpilot Roger Cadoret aus der eigentlichen Map ausfliegt. In spektakulären Umgebungen wie der Gefängnisinsel Alcatraz oder dem Absturzort der Raumstation ISS geht es darum, sich in riesige Lager der Highwaymen zu schleichen und ihre Vorräte zu stehlen. Wie auch bei Außenposten steigt die Schwierigkeit an, je öfter man eine Expedition wiederholt. Spaziert man anfangs noch dauerfeuernd in die Lager, ist später mehr Schleich-Geschick gefragt. Die Aufgabe in Expeditionen ist es, einen Ausrüstungsrucksack der Highwaymen zu finden, zum Helikopter zu flüchten und damit zu verschwinden.

Spätestens bei der Flucht mit dem Rucksack wird man allerdings entdeckt, da in der Beute nach wenigen Sekunden ein GPS-Sender aktiviert wird – und alle Feinde in der Umgebung zu unserer Position führt. Je nach Mission gilt es dann, einen bestimmten Zeitraum zu überleben, bis uns der Heli schließlich ausfliegen kann. Auch diese Expeditionen spielen sich kurzweilig und sorgen mit steigenden Schwierigkeitsgrad mit Zufallsgeschehnissen wie neuen Gegnern oder anderen Verstecken für Abwechslung. Mehr Tiefgang haben schlussendlich die Schatzsuchen bekommen. Ging es in Far Cry 5 hauptsächlich darum, anhand von Hinweisen wertvolle Items an gut versteckten Orten zu finden, sind in New Dawn in den Verstecken zahlreiche Infos auffindbar, die die Geschehnisse zwischen Teil 5 und New Dawn aufarbeiten, auch wenn das "nur" in Text- und Audioform passiert.

Apokalyptisch aufgeräumt

Far Cry New Dawn ist zwar kein Far Cry 6, krempelt die Serie aber umfassender um, als man es bei manchen bisherigen Hauptteilen erlebt hat. Die Basisbau-Mechaniken sind eine sinnvolle Ergänzung zum bekannten "Vorteils-System", in dem man weiter Effekte wie schnelleres Schleichen, "Takedown"-Ausschaltmethoden oder Munitionstrage-Möglichkeiten freischaltet – und teils auch stapelbar ausbauen kann. Auch die neuen spirituellen Fähigkeiten wie die "Jähzorn"-Attacke, die nur temporär anhält, sind kurzweiliger als die komplizierten Spitzen-Effekte aus Far Cry 5. Und mit den Expeditionen schafft Far Cry Abwechslung an eindrucksvollen Schauplätzen. Auch grafisch weiß der rund 20 Spielstunden dauernde und auch im Online-Koop absolvierbare Spin-Off-Titel zu begeistern. Die wild bewachsene Welt ist so bunt wie gefährlich, Fahrzeuge und Gebäude haben einen tollen postapokalyptischen Look und Effekte wie die Nordlichter am fiktiven US-Himmel sorgen für Staunen.

Die Musikuntermalung passt einmal mehr punktgenau zum Titel. Da macht es auch nichts, dass sich die Antagonisten nicht so sehr in den Vordergrund drängen, wie es in bisherigen Far Crys der Fall war. Der Spieler freut sich dagegen, mehr über deren Hintergrund zu erfahren und auch stärker in andere Geschehnisse und den Überlebenskampf von Nebenfiguren einbezogen zu werden. Es ist schwer, ein Spin-Off mit einem Titel der Hauptreihe zu vergleichen, denn die Spieldauer und Möglichkeiten von New Dawn sind nicht so ausführlich wie etwa jene von Far Cry 5 samt Arcade-Modus. Die Verbesserungen samt Beibehaltung der Elemente, die die Serie ausmacht, sind aber so gewaltig, dass New Dawn den Spin-Off-Primus Far Cry 3: Blood Dragon locker vom Thron stößt. Und würde man New Dawn mit der Hauptreihe vergleichen, sähe es so aus: Far Cry New Dawn ist den besten Serien-Titeln Far Cry 3 und Far Cry 5 mindestens ebenbürtig – und mutiger als alle anderen.