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Französisches Original oder chinesische Kopie?

In einer faszinierenden Bilderserie vergleicht Fotograf François Prost seine Heimatstadt Paris mit dem chinesischen Nachbau Tianducheng.

Heute Redaktion
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Breite Avenues, Jugendstil-Straßenlampen, Zinkdächer und natürlich: der Eiffelturm. Ganz klar: Wir befinden uns in Paris, oder? Nein, am Stadtrand von Hangzhou, China. Genauer gesagt in Tianducheng. Im Gegensatz zur jahrhundertealten Seine-Metropole hat die asiatische Retortenstadt gerade einmal zehn Jahre auf dem Buckel. Dennoch sieht sie dem europäischen Original zum Verwechseln ähnlich.

Eiffelturm-Kopien gibt es viele auf der Welt, aber dass ganz Paris im Kleinformat nachgebaut wird, ist doch außergewöhnlich. Das fand auch Fotograf François Prost: "Wir alle kennen die Replica in Dubai oder Las Vegas, aber das schien viel extremer. Meine Neugier war geweckt", sagte der Franzose.

Wenn das Touristen-Hirn verrückt spielt

Nach einer ersten Recherche setzte er sich ins Flugzeug und beschloss, sich die Nachbildung seiner Heimatstadt etwas genauer anzusehen. Entstanden ist die Fotoserie "Paris Syndrome" – benannt nach der psychischen Störung , die – meist japanische – Touristen befällt, wenn sie die Stadt der Liebe das erste Mal besuchen und schockiert feststellen, dass sie nicht ihren Vorstellungen entspricht. Übliche Symptome sind Halluzinationen, akute Wahnzustände oder Paranoia.

Ein Phänomen, das Prost fasziniert: "Ich werde nie meinen ersten Besuch in Venedig vergessen. Dieses komische Gefühl, nicht zu wissen, ob das, was ich sehe, echt ist oder nicht", sagt er. Ähnlich sei es ihm in New York oder Rom gegangen. "Diese Orte sind so voller Geschichte und Referenzen. Wenn man dann die eigene Vorstellung mit der Realität konfrontiert, stellt das etwas mit dem Gehirn an", ist er überzeugt.

"Wie an einem anderen Ort in China"

Wie war sein erster Eindruck von Tianducheng? "Als Pariser war es natürlich sehr schräg, diesen Ort zu sehen, aber ich habe versucht, ihn vorurteilsfrei zu betrachten." Schnell stellte sich heraus: "Abgesehen von der Architektur kann man keine Pariser Atmosphäre wahrnehmen". Die Leute lebten nicht anders als sonst irgendwo in China und wirkten nicht glücklicher oder trauriger als an einem anderen Ort. "Ich dachte, sie würden vielleicht auch ein französisches Restaurant nachstellen, aber ich aß hauptsächlich Suppe, gebratene Nudeln und Reis."

Tianducheng zeige auf beeindruckende Weise, wie in China innerhalb kürzester Zeit massive Bauprojekte umgesetzt würden, findet Prost. Das Einzige, was ihn an dieser Art von Kopie störe, sei die übertriebene Bewunderung für das europäische Kulturgut, die auf Klischees beruhe und nicht viel mit dem eigentlichen Europa zu tun habe. "Es ist offensichtlich sehr oberflächlich, eine existierende Architektur nachzubauen", sagt er, räumt gleichzeitig aber ein: "Tianducheng hat seine eigene Identität, die in erster Linie von den Leuten stammt, die dort leben."

(sei)