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Gerichtsurteil stellt EU-Asylpolitik in Frage

Heute Redaktion
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Dienstag sein Veto gegen die bedingungslose Abschiebung einer afghanischen Familie nach Italien durch die Schweizer Polizei eingelegt. Es sei Pflicht des Landes, Garantien für deren Unterbringung und Betreuung einzuholen, andernfalls wäre das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verletzt. Das EGMR-Urteil kann auch Auswirkungen auf die Asylpolitik der EU haben.

Der Mann sollte mit seiner Frau und seinen sechs minderjährigen Kindern nach Italien überstellt werden, wo er seinen ersten Asylantrag gestellt hatte. Das sieht das Dublin-Abkommen vor und wird seit Jahren so praktiziert. Die Verordnung kommt auch in dem Nicht-EU-Staat Schweiz zur Anwendung. Der Afghane wehrte sich aber gegen die Überführung mit der Begründung, wegen der prekären Zustände im italienischen Asylwesen sei die menschenwürdige Behandlung und Unterbringung nicht gewährleistet.

Garantie der Italiener nötig

Die Große Kammer des EGMR gab dem Mann recht, dass ohne individuelle Garantien der italienischen Behörden für eine dem Alter der Kinder angemessene Betreuung und eine gemeinsame Unterbringung der Familie Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt sei.

Keine Folgen für Österreich

Das Innenministerium prüft derzeit, inwieweit sich der Spruch auf die österreichische Praxis auswirkt. Allerdings hat man schon den grundsätzlichen Schluss gezogen, dass sich aus dem Erkenntnis kein genereller Abschiebestopp ergibt.

"Besonders schutzbedürftige Personen"

Das Innenministerium schließt daraus, dass bei "besonders schutzbedürftigen Personen" - wozu etwa Minderjährige, egal ob in Begleitung oder alleine - "besondere Sorgfalt" nötig sei. Und das könne im Einzelfall auch bedeuten, dass eine "explizite Zusicherung" von den italienischen Behörden vorliegen muss, was Unterbringung und Betreuung betreffe.

Auswirkungen auf EU-Asylpolitik

Während sich Österreich nicht betroffen fühlt, könnte das EGMR-Urteil Konsequenzen für die europäische Asylpolitik haben. Die EU-Kommission spricht zumindest von "möglichen Auswirkungen auf das Funktionieren des Asylsystems in Italien und in der EU". Die Juristen werden das Urteil dahingehend genau prüfen.

Die Familie aus Afghanistan war 2011 über Italien in die EU gekommen. Nach Ablehnung eines Asylantrags in Österreich wollten die Mitglieder in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden. Die dortigen Behörden lehnten eine Bearbeitung jedoch mit Hinweis auf das Einreiseland Italien ab.

"Funktioniert vorne und hinten nicht"

Für die Grünen im EU-Parlament zeigt das Urteil, dass die europäische Flüchtlingsregelung "vorn und hinten nicht mehr funktioniert". Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl forderte ein sofortiges Ende der Italien-Überstellungen. Seit Jahren sei klar, dass Flüchtlinge in Italien oft obdachlos und ohne staatliche Hilfe sich selbst überlassen würden.