Neues Album "Saviors"

Green Day melden sich aus der Belanglosigkeit zurück

Green Day hatten lange etwas von Bon Jovi: Je erfolgreicher die Band wurde, umso fader wurde ihre Musik. Mit "Saviors" reissen sie das Ruder herum!

Fabian J. Holzer
Green Day melden sich aus der Belanglosigkeit zurück
Green Day mit ihrem neuen Album "Saviors"
Warner, Alice Baxley

Mit 75 Millionen verkauften Alben seit 1992 müssen sich Green Day längst niemandem mehr beweisen: Kaum eine Band der letzten Jahrzehnte weiß es besser, wie es sich anfühlt, zuerst ganz unten, dann plötzlich ganz oben, dann wieder unten, dann wieder super ganz oben und ab dann zu groß zu sein, als dass es wieder nach unten gehen könnte. Von ihrem Sound mag Green Day als Band absolut unverwechselbar sein, ihre Alben in den letzten fünfzehn bis sogar 20 Jahren waren aber sehr wohl. Das neue Album "Saviors" ist jetzt eine wahre Wohltat. Billy Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool sind jetzt wieder so gut, wie sie groß sind. 

Der Autor dieser Zeilen war 1994 Austauschschüler in Südkalifornien als Green Days zweites Album "Dookie" die Charts eroberte. Und der sonst eigentlich rechte brave und harmlose Austauschschüler tanzte und rockte mit Freunden zu "Dookie" ab, als wüsste er, wie man sich dazu bewegen sollte. Wie das aussah war egal, denn das machten damals alle. Ganze Schul-Turnsäle überall in den USA - also die Orte, in denen für junge Amerikaner die Veranstaltungen am Freitag Abend stattfinden - entdeckten durch Green Day den Punk oder was die Kids damals Punk nannten. Die cooleren Kids hörten damals natürlich The Offspring und bezeichneten Green Day und deren Fans als Weichspüler. Die tatsächlichen Punkfans der Ära schüttelten natürlich sowohl bei Green Day, als auch bei The Offspring den Kopf, aber das ist eine andere Geschichte.

Der schelle Aufstieg und der langsame Abstieg von Green Day in den mittleren und späten 90ern: 

"Dookie" verkaufte sich mit Hits wie "Basket Case", "When I Come Around" oder "Longview" alleine in den USA über 20 Millionen mal und wurde zum Prototyp eines Pop-Punk-Albums für die Massen und erhielt 1995 auch einen Grammy. Maßgeblich für den Erfolg des Albums verantwortlich war auch dessen Produzent Rob Cavallo, der die Band dazu bewegt hatte, ihre Punksongs in kommerziellere Formen zu gießen. Der ambitionierte Nachfolger "Insomniac" war eine musikalische Weiterentwicklung, gleichzeitig aber härter und düsterer als "Dookie". Mit zehn Millionen verkauftet Alben war "Insomniac" (1995) zwar ein Riesenhit, wurde aber trotzdem von vielen als Enttäuschung gewertet, weil der Vorgänger eben so viel größer war. Das Spiel wiederholte sich 1997 mit "Nimrod", dass sich "nur" sechs Millionen Mal verkaufte. Heute würden sich Künstler wie Taylor Swift alle Finger abschlecken, um sechs Millionen physikalische Tonträger zu verkaufen. Mit "Nimrod" endete auch die Zusammenarbeit mit Rob Cavallo. Das 2000-er Album "Warning" enthielt keinen einzigen Hit mehr und konnte in den USA gerade einmal 500.000 Stück verkaufen. Der Stern von Green Day schien für viele untergegangen, die Band legte eine länger Pause ein. 

"Good Riddance (Time of your Life)" wurde von vielen schon als Abschiedssong der Band gesehen:  

Green Day vollführten 2003 etwas ungewöhnliches, eigentlich sogar viele ungewöhnliche Dinge: Sie begannen Songs zu schreiben, die die damalige politische Situation in den USA in der Bush-Ära widerspiegelte: Die Stimmung nach 9/11, während dem Irak-Krieg und während einer spürbaren Spaltung des Landes. Das Werk sollte mehr als nur ein Konzeptalbum werden, es sollte eine Rockoper sein. Für die Aufnahmen für "American Idiot" holte die Band Rob Cavallo zurück und erschufen einen Hybrid aus Pop, Punk, Stadionrock, Protestsongs, Balladen und Hymnen. Das Songwriting von Billie Joe Armstrong, der damals 32 Jahre alt war, erreichte seinen absoluten Höhepunkt und das im Sommer 2004 veröffentlichte Album wird nicht nur als das musikalisch beste in der Karriere von Green Day angesehen, sondern war mit über 15 Millionen verkauften Einheiten alleine in den USA auch fast so erfolgreich wie "Dookie" und erhielt 2005 endlich auf wieder einen Grammy als bestes Rockalbum. 

Das Comeback, mit dem niemand gerechnet hätte: "American Idiot" (2004)

Nach "American Idiot", das weltweit auf Platz 1 der Charts stand, folgte der "Bon Jovi-Effekt": Wenn es um das Songwriting geht, versuchte das Trio seinen bisherigen Erfolge einfach zu kopieren. Auf "21st Century Breakdown" imitierte sich die Band streckenweise selbst, was durchaus noch funktionierte, denn das Werk stürmte wieder alle Charts und wurde ebenfalls mit einem Grammy belohnt. Aber dann war die Luft lange draußen. Green Day hatten dank der frühen Erfolge und der Hits von "American Idiot" und "21st Century Breakdown" ausreichend Material, um ihren Status als Stadionband zelebrieren zu können. Green Day waren auf einem Niveau von U2 oder Coldplay und spielten ein "Greatest Hits"-Konzert nach dem anderen, neues Material wurde immer egaler. Die Album-Trilogie "Uno", Dos", "Tré" (alle 2012) war an Belanglosigkeit kaum zu überbieten bzw. unterbieten. "Revolution Radio" von 2016 war in etwa so revolutionär wie der Opernball. Auch das 2020er Werk "Father of All Motherfuckers" war mehr eine Begründung für eine weitere Tour, als eine ernstgemeinte Platte. Green Day waren immer noch eine phänomenale Liveband, aber ihre Alben waren komplett belanglos.

Mit "Saviors", so wie es jetzt klingt, hätten viele so eigentlich nicht gerechnet. Schon die Vorzeichen haben Großes versprochen: Die Band holte sich wieder einmal Rob Cavallo zurück und ging mit ihm für einen offenbar dringend notwendigen Tapetenwechsel nach London. 30 Jahre nach "Dookie" und zwanzig Jahre nach "American Idiot" präsentieren sich die drei Musiker, die mittlerweile Anfang 50 sind, immer noch als Punks und kritisieren die Gesellschaft und die Politik, ohne aber so konkret zu werden wie 2004. Donald Trump bekommt als Nemesis natürlich schon die eine oder andere Pflicht-Watsche ab. Die Band blickt hier aber auch auf ihre Leben zurück und thematisiert die Kindheit, den frühen Erfolg, Alkohol, Drogen, aber auch Familie und Kinder.

"The American Dram is Killing Me" aus "Saviors":

Der britische Einfluss auf "Saviors" ist unüberhörbar, scheinen die Musiker doch Anleihen bei Thin Lizzy, The Clash, den Beatles oder sogar auch bei Queen genommen zu haben. Alleine schon das Epos "Father To A Son" eröffnet ganz neue Klangwelten für die Band. Gleichzeitig hat das Trio den eigenen Sound mit Nuancen verfeinert, die an die Ramones oder AC/DC erinnern, ohne abgekupfert zu klingen. "Saviors" ist keine Musikrevolution wie "Dookie" und bei weiten nicht das Opus Magnum, das "American Idiot" war. Aber es ist ein starkes Album, mit intelligenten bis nachdenklichen Songtexten und Arrangements, die sich extrem vom belanglosen Minimalismus der Vorgänger unterscheiden. Somit ist "Saviors" locker das beste Album der Band seit 20 Jahren. Ihre nächsten Tournee wären auch so ausverkauft gewesen, aber dank "Saviors" werde sie musikalisch definitiv wertvoller sein. In Österreich wird die Platte am 13. Juni live zu hören sein, wenn Green Day Headliner beim Nova Rock Festival sein werden.   

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