Politik

Häupl, der Spritzwein und die Legende von Jennifer

Mit Wein, aber ohne weinen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl sagte den Journalisten Ciao. Um es kurz zu machen: es war launig.

Heute Redaktion
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"Danke, das war's". 24 lange Jahre im Amt, kurze drei Minuten Redezeit beim Abgang. Michael Häupl steht da, als würde er gerade eine neue Eisenbahnunterführung eröffnen, dabei hat er das letzte Mal als Bürgermeister eingeladen. Keine Wehmut, kein Seufzer, keine Tränen, Häupl ist beim Abschied am Dienstag nicht nah am Matthias Strolz gebaut.

Er trägt was er eigentlich immer anhat, diesbezügliche Eitelkeiten sind ihm fremd. Dunkler Anzug, weißes Hemd, die rotgepunktete Krawatte etwas kürzer gebunden als Donald Trump. Die erste hatte ihm Helmut Zilk umgehängt, da war er noch Stadtrat, aber Zilk wollte, dass er sich mehr von den Lurchen und Fröschen im Naturhistorischen Museum abhebt, wo er ihn entdeckt und herausgeholt hatte. Die eine Hand hat er in der Hosentasche versteckt. Damals wie heute.

Es gibt Leberkässemmeln und Schnitzelsemmeln und Konditoreiware. Veganer wird Häupl auf seine alten Tage nicht mehr. "Fad war mir nie", sagt er und meint eigentlich, dass uns mit ihm nie fad war, was ebenso stimmt. "Meine Nummer habt's ja. Das Telefon werde ich abheben. Ob ich was sage, ist eine andere Sache". Lacher. Viele, die sich im Roten Salon des Wiener Rathauses eingefunden haben, kennt Häupl journalistisch von klein auf. Manche haben es zu etwas gebracht, ein paar auch nur zu Titeln.

Mit fast allen per Sie

Morgen, Donnerstag, wird das so sein, ein letztes Mal: Michael Häupl wird um 6 Uhr früh aufstehen (wie meistens behauptet er, überprüft ist das nicht). Er wird einen Kaffee trinken, dann zum Chauffeur ins Auto steigen, sich die Tageszeitungen schnappen, die im BMW für ihn bereit liegen, und vielleicht wird sein Kopf dann bei der Lektüre noch einmal so tiefrot werden, so wie er die SPÖ in den letzten Jahren manchmal gern gehabt hätte.

Wenn er um 8 Uhr dann das Rathaus erreicht, wird er die Sonne selbst sein. Ja, den Mann, den viele für einen Grantler halten, kennen die Mitarbeiter als Frohnatur. Er grüßt sein Team schlicht mit "Morgen", bis auf einen ist er mit allen per Sie, sie nennen ihn "Bürgermeister", sein "Inner Circle", der nur aus drei Personen besteht, "Chef". "Haberertum ist unprofessionell", sagt Häupl über sein Verhältnis zu Journalisten. Das gilt wohl auch für sein berufliches Umfeld.

"Kartierung der Herpetofauna"

Wenn Häupl in den Raum kommt, den er "sein Büro" nennt, andere Reitsaal, weil er so groß ist, dass sich die Lipizzaner über so viel Auslauf freuen würden, dann lagen früher am Schreibtisch vier Mappen mit Unterlagen. Jetzt ist alles leer. Die Türme aus Büchern, Broschüren, Zetteln, enger aufgestellt als die Hochhäuser auf der Donauplatte, alle weg. Ein Wunder, dass 24 Jahre lang nicht einstürzte, was sich hier stapelte. "Organisch gewachsen", nennt Häupl den Schreibtisch. Im Herzen ist er immer Biologe geblieben, Autor von augenöffnenden Werken wie "Kartierung der Herpetofauna des Burgenlandes" oder "Lurche und Kriechtiere in Niederösterreich" (gebraucht online übrigens um 23 Euro bestellbar)

Die Bücher (und Privates) hat er sich heim liefern lassen oder den Parteiarchiven geschenkt, was nicht gebraucht wurde, ist geshreddert. Häupl ist nicht auf Facebook oder Twitter, auf Instagram schon gar nicht, aber er ist fit mit SMS und WhatsApp, vor allem aber surft er daheim häufig durch internationale Unibibliotheken. Einmal Frosch, immer Frosch.

Zu Mittag wird er zwei Wurstsemmeln (Extra oder Wiener, ohne Gurkerl) essen, früher liebte er Leberkäse und Mannerschnitten, das lässt er der Gesundheit wegen nun weg. Eine Konzession an seine Frau, Ärztin, beruflich wie privat. Dass er nun nicht mehr Espresso trinkt, sondern Caffé Latte ist daher mehr eine Anbiederung an sie als an die Boboszene und vor allem der inneren körperlichen Schonung geschuldet.

"Tschüss ist zu preußisch"

"Diese 24-Stunden-Verfügbarkeit wird mir nicht abgehen", sagt Häupl zu den Journalisten, "ich gewinne Freiheit zurück. Ich sage nicht Tschüss, das ist mir zu preußisch, sondern Ciao". Ausgerechnet an einem Dienstag. Vor zwei Jahren hatte er die Lehrer kreidebleich gemacht. "Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig", hatte er ihnen ausgerichtet. Mehr Ärger kann keine Zentralmatura anrichten als so ein Satz.

Heute geht Häupl nicht heim, sondern sagt: "Man bringe den Spritzwein". So hatte er 2010 die Koalitionsgespräche mit den Grünen beschlossen und begossen, so schenkt er nun seiner politischen Karriere ein letztes Mal ein.

Wer ein (oder mehrmals) im Bürgermeisterbüro war, kennt den Satz etwas anders. Wenn Häupl da in der rot gesprenkelten Sitzgarnitur rechts vom Eingang saß und es gemütlicher haben wollte, dann rief er - egal ob die Tür zum Vorzimmer nun offen oder geschlossen war - lauthals "Spritzwein bitte, aber Jennifer".

Lange dachte ich, dass im Vorzimmer von Häupl eine arme Haut mit diesem Vornamen sitzt, aber bei der Tür kam nie eine Jennifer herein. Ich merkte das schnell, denn immer servierten Männer. Erst mit der Zeit erfuhr ich die Hintergründe und die sind leider etwas komplex. Also: In den achtziger Jahren gab eine Sängerin namens Jennifer Rush, deren größter (weil einziger) Hit "The Power of Love" hieß.

Auf Häupl dürfte die Dame gröberen Eindruck gemacht haben, jedenfalls ließ er sich auf folgenden verbalen Stunt ein: Er nutzte den Namen Rush als Synonym für rasch, ließ dann beides weg und setzte dafür ihren Vornamen ein. "Spritzwein bitte, aber Jennifer" bedeutete also "Spritzwein bitte, aber rasch". Darauf muss man erst einmal kommen, ich jedenfalls nicht schnell.

Problem? Dann löst es!

Seine Mitarbeiter kapierten ihn Rusher, also rascher. Einmal kam Häupl vorbei, als sie mit bedrückten Gesichtern beisammenstanden. "Und", fragte er mitfühlend, "habt's ein Problem"? "Ja", antworteten die Mitarbeiter. Häupl überlegte kurz, sagte dann "na, dann müsst ihr es lösen" und ging weiter. Das Problem wurde gelöst, von selber, ohne Chef, und wenn Häupl fortan fragte, ob es Schwierigkeiten gäbe, lautete die Antwort immer: "Nein". So einfach ist es manchmal in der Politik und im Leben.

"Am Freitag", sagt Häupl jetzt noch zu den Reportern, werde er etwas länger schlafen, am ersten Tag in der Pension. Im Rathaus werde er den Schlüssel an seinen Nachfolger übergeben, zu seiner Frau ins Auto steigen und dann nach Niederösterreich fahren, auf die Hochzeit eines befreundeten Baumeisters. "Dann beginnt ein neues Leben".

In Wien eine neue Zeitrechnung.