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In Gesicht und Genitalien gebissen – das droht dem Hund

Im Kanton Zug in der Schweiz wurde ein Bub (9) von einem Hund angegriffen und schwer verletzt. Ein Verhaltensexperte ordnet ein.

Mit Gesichtsverletzungen wurde das Kind mit dem Rettungshelikopter ins Spital geflogen.
Mit Gesichtsverletzungen wurde das Kind mit dem Rettungshelikopter ins Spital geflogen.
Zuger Polizei

Oliver Weber ist Verhaltensexperte und Geschäftsführer beim Trainingszentrum "Der Dog Coach" in Rothenfluh und beantwortet die wichtigsten Fragen zur Hunde-Attacke.

Herr Weber, können Sie sich erklären, wie es zu einem solchen Vorfall kommen kann?

Die Gründe können sehr vielfältig sein. Da uns keine detaillierten Angaben zum Hergang vorliegen, ist eine genaue Analyse schwierig. Hunde reagieren grundsätzlich auf unbekannte Situationen entweder mit Angriff, Flucht, Erstarren oder Beschwichtigen. Insbesondere bei relativ jungen und unter Umständen unsicheren Hunden, die sich in der Pubertät befinden, können unbekannte Situationen eine Verunsicherung darstellen, die sie dann als Gefahr deuten. In solchen Fällen braucht es eine klare und sichere Führung. Hat der Hundeführer in dieser Situation keine Kontrolle, kommt es leider zu solchen Vorfällen. Auch ein sogenanntes Territorialverhalten könnte ein Grund sein. Wenn der Hund beispielsweise ausbüxt und sich noch in der Nähe seines Zuhauses befindet, glaubt er, dieses verteidigen zu müssen.

Warum werden Kinder oftmals Opfer von Hundeangriffen?

Kinder befinden sich oftmals auf Augenhöhe des Hundes. Deshalb werden sie im Gegensatz zu Erwachsenen häufiger am Hals oder Kopf gebissen, wo es dann schneller zu potenziell lebensgefährlichen Verletzungen kommen kann. Viele Kinder mögen zudem Hunde, verstehen aber die Hundesprache noch nicht. Da kommt es zu Missverständnissen und zu Bissen, oftmals mit dem eigenen Hund oder einem Hund aus dem Bekanntenkreis. So ein Vorfall wie der im Kanton Zug ist sehr selten.

Was bedeutet ein solcher Angriff für das Kind?

Einerseits haben die betroffenen Kinder je nach Verletzungsgrad starke physische Schmerzen. Hinzu kommt der psychische Aspekt durch das erlebte Trauma. Bleibt eine sichtbare Narbe, kann diese die Betroffenen ein Leben lang an den schrecklichen Vorfall erinnern. Wir betreuen bei uns im Therapiezentrum auch Kinder, die einen Angriff erlebt haben. Es braucht lange, bis sie wieder Vertrauen fassen können und sich von dem Trauma erholen.

Wie verhalte ich mich richtig bei einer Hundebegegnung?
Beim Bundesamt für Veterinärwesen heißt es dazu: Hundeverhalten wie knurren, mit dem Blick fixieren, Zähne zeigen, das Nackenfell sträuben oder sich versteifen sind Drohungen. Ihnen kann ein Angriff folgen. Die Broschüre "Tapsi komm" vom Bundesamt für Veterinärwesen beschreibt in einfacher Sprache, wie sich Kinder gegenüber Hunden verhalten sollen, um Missverständnisse und gefährliche Situationen möglichst zu vermeiden.
"Wir sagen den Kindern, dass sie sich wie ein Baum verhalten sollen oder wie eine Statue stehen bleiben sollen", so Oliver Weber ist Verhaltensexperte und Geschäftsführer beim Trainingszentrum "Der Dog Coach" in Rothenfluh. Dabei sollte weder eine verbale Kommunikation stattfinden, noch ein Blickkontakt zum Hund hergestellt werden. "Sollte es zu einem Angriff kommen, raten wir den Kindern, sich einzurollen und den Nacken und das Gesicht mit den Händen zu schützen. Der Rücken dient als Schutz gegen Bisse." Der Hund verliere in der Regel das Interesse an einer Person, die still und unbeweglich ist und entferne sich. Wichtig sei auch, dass sich Hilfspersonen nicht selbst in Gefahr bringen.

Was passiert mit einem Hund in solchen Fällen?

Der Hund kommt zunächst in ein Tierheim oder eine andere geeignete Unterkunft, wo weitere Abklärungen durch Fachpersonen und das zuständige Veterinäramt getroffen werden. Zunächst wird der genaue Hergang abgeklärt. In der Regel wird auch ein Wesenstest durchgeführt, bei dem die Verhaltenseigenschaften überprüft werden. In die Analyse fließen aber auch mögliche Begleitumstände, wie die Herkunft, Genetik und Haltung des Hundes mit ein. Je nach Beurteilung droht dem Hundehalter, dass ihm der Hund weggenommen und weitervermittelt wird. Nur in Ausnahmefällen und wirklich sehr selten wird eine Euthanasierung des Hundes angeordnet. Dies ist der Fall, wenn von dem Hund eine langfristige Gefahr ausgeht und er nicht als resozialisierbar eingestuft wird.

Gibt es Hunde mit einem größeren Gefahrenpotential?

Bestimmte Hunderassen werden in gewissen Kantonen als potenziell gefährlich eingestuft. Um diese halten zu dürfen, benötigt man eine Bewilligung des Veterinäramtes. Doch Listenhunde sind grundsätzlich nicht gefährlicher als andere Rassen. Sie können aber anspruchsvoller in der Haltung sein, sei es aufgrund ihrer Körpermasse, Bisskraft oder gewissen Wesensmerkmalen. Anstatt Verbote halte ich eine Ausbildung, wie beispielsweise eine schweizweite einheitliche Kurspflicht vor der Anschaffung des Hundes wie auch in der Zeit danach, für wichtig. So lernt man, wie wichtig eine verantwortungsvolle Zucht, eine konsequente Erziehung und Sozialisierung ab Welpenalter sind.

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    Stefan, ein fünfjähriger, kerngesunder Schäferhund, wurde fälschlicherweise von einem unaufmerksamen Tierarzt eingeschläfert.
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    Facebook/ Screenshot Scyzoryk się otwiera - satyryczna strona Kielc
    Was halten Sie von Bewilligungen oder Verboten?

    Anstatt Verbote halte ich eine Ausbildung, wie beispielsweise eine schweizweite einheitliche Kurspflicht vor der Anschaffung des Hundes wie auch in der Zeit danach, für wichtig. So lernt man, wie wichtig eine verantwortungsvolle Zucht, eine konsequente Erziehung und Sozialisierung ab Welpenalter sind.