Politik

"Kurz war auf die Abwahl vorbereitet"

Der Biograf des Ex-Kanzlers spricht im Interview über die Abwahl und sagt, warum Kurz seiner Meinung nach nie mehr mit der FPÖ koalieren sollte.

Heute Redaktion
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"Heute.at": Sie waren Kurz' Biograph, kennen ihn persönlich gut. Wie sehr trifft ihn die Abwahl?

Paul Ronzheimer: Es trifft ihn, dass sein Projekt nach nur anderthalb Jahren scheitert. Andererseits liebt er den Wahlkampf. Er freut sich darauf, diesem Land zu zeigen, dass er gute Chancen hat, im Herbst wieder Kanzler zu werden.

Viele sagen nun: Kurz hätte wissen müssen, dass eine Koalition mit der FPÖ zum Scheitern verurteilt ist. Einverstanden?

Kurz hätte schon in den vergangenen Wochen und Monaten sehen können, dass es einfach nicht funktioniert. Ein Skandal nach dem anderen, danach vermeintliche Entschuldigungen. Die DNA der FPÖ ist nicht regierungsfähig und schadet dem Ansehen Österreichs.

"Wenn sie so weitermacht, hat die SPÖ keine Chance."

Sehen Sie einen Herausforderer für Kurz?

Momentan sehe ich da niemanden. Aber der Wahlkampf ist immer unberechenbar. Wer weiß, welche Themen im Juli oder August dominant sein werden – und wie sich Pamela Rendi-Wagner entwickelt. Man hat sie trotz dieser Krise in der letzten Woche nicht wahrgenommen. Wenn sie so weitermacht, hat die SPÖ keine Chance.

Wie wird Kurz den Wahlkampf anlegen? Schlüpft er in die Opferrolle?

Die Opferrolle wird sich nicht über Wochen und Monate tragen. Bei den Menschen spielt das aber unterbewusst eine Rolle. Laut Umfragen wollte die Mehrheit ja auch, dass er bis Herbst im Amt bleibt. Er wird versuchen, in so viele österreichische Städte wie möglich zu fahren und mit den Menschen zu sprechen.

Zur Person

Er kennt den jüngsten Altkanzler schon lange: Paul Ronzheimer, "Bild"-Reporter und Autor der Biografie von Sebastian Kurz. Für das Buch gewährte ihm der Ex-Bundeskanzler sogar Zugang zu seiner Familie.

"Ich weiß nicht ob es klug war, Tal Silberstein zu erwähnen."

Schläft Kurz derzeit gut?

Sebastian Kurz schläft wieder gut, denke ich. Das Video war eine große Bewährungsprobe, die ihn sicher Nerven gekostet hat. Der erste Auftritt am Samstagabend war aber schon wieder sehr souverän. Er hat sich schnell wieder aufgerappelt.

Und eine Wahlkampfrede gehalten …

Ja, das hat er. Ich weiß nicht ob es klug war, Tal Silberstein zu erwähnen. Das als Kanzler ohne Beweise zu tun – da kann ich verstehen, dass die SPÖ wütend war.

Sie kennen Kurz schon seit Jahren. Sehen Sie ihn jetzt menschlich anders?

Ich habe ihn als Außenminister in der Ukraine kennengelernt. Da war er ähnlich wie heute. Seitdem hat er sich weiter professionalisiert und mehr Erfahrung gesammelt. Wenn ihn eine Sache interessiert, ist er ein wahnsinnig offener Mensch und interessiert sich auch für gegenteilige Meinungen. Ich habe mit ihm kontrovers über die Flüchtlingskrise diskutiert und fand es angenehm, dass er nicht nur eine Meinung akzeptiert.

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Paul Ronzheimer (l.) im Gespräch mit "Heute.at"-Reporter Lukas Urban

Man kann aber auch sagen, dass Kurz in dieser Krise über die Opposition "drübergefahren" ist.

Wenn er das ist, hat er aber wohl ein, zwei Tage später Angebote gemacht. Die SPÖ dürfte sich auch zu schnell auf einen Misstrauensantrag festgelegt haben. Hätte die Partei gewartet, hätte sie mehr rausholen können.

Welchen Eindruck machte Kurz bei seiner Abwahl auf Sie?

Er wusste ja, dass der Misstrauensantrag durchgeht. Kurz war auf die Abwahl vorbereitet, ich habe ihn sehr gefasst, konzentriert und fokussiert gesehen. Danach ging er in den Wahlkampf. Er ist direkt zur Parteiakademie gefahren und hat dort seine erste Rede gehalten. Das war richtig choreographiert.

Sie haben danach noch mit ihm gesprochen.

Er machte er keinen traurigen oder wütenden Eindruck. Ich denke, er weiß, dass seine Chancen bei der Wahl im September ziemlich gut stehen.

"Mit diesen Nazis kann keine Partei koalieren."

Ihre Empfehlung für eine Koalition im Herbst? Wäre eine Zusammenarbeit mit der FPÖ denkbar?

Kurz hält sich derzeit alles offen. Ich sehe das kritisch. Man müsste jetzt klar sagen: "Mit diesen Nazis kann keine Partei koalieren." Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass diese beiden Parteien nach der Wahl wieder koalieren.

Was wäre realistischer als türkis-blau?

Das hängt von vielen Faktoren ab – auch wie sich die SPÖ nach einer möglichen Wahlniederlage verhält. Bleibt Rendi-Wagner oder kommt jemand anders? Ob die ÖVP so gut abschneidet, dass es sich nur mit Neos ausgeht, bezweifle ich ein wenig.

Was war der größte Fehler von Kurz?

Kickl als Innenminister war Kurz' größter Fehler in den Koalitionsverhandlungen. Das hätte er damals einfach nicht tun dürfen. Die Person Kickl dürfte auch dafür sorgen, dass ÖVP und FPÖ nicht mehr zusammengehen können. Man hätte sehen können, welche Verbindungen Kickl zu Identitären hatte und wie er sich in der Vergangenheit geäußert hat.

Hat sich Sebastian Kurz entzaubert?

Er persönlich noch nicht. Die Leute mochten ihn als Kanzler, jetzt kommt es auf den Wahlkampf an. Eine Koalition mit den Rechten hat sich entzaubert.

"In Deutschland ist man erleichtert, dass dieser Spuk mit der FPÖ hoffentlich vorbei ist."

Wie sieht man in Deutschland das Scheitern der Regierung?

In Deutschland ist man erleichtert, dass dieser Spuk mit der FPÖ hoffentlich vorbei ist. Das sieht man auch an der Reaktion der CDU-Größen.

Gehen Sie davon aus, dass Heinz-Christian Strache sein EU-Mandat annimmt?

Ich könnte es mir gut vorstellen. Er ist ein emotionaler Mensch, der von Kommentaren auf seiner Facebook-Seite getragen wird. Er hat ja auch keinen Job mehr. Schon alleine wegen des Gehalts könnte das EU-Mandat für ihn interessant sein. Die FPÖ hat es dank PR-Kampagne auch geschafft, den Diskurs von den Aussagen im Ibiza-Video zur Herkunft der Aufnahmen zu verschieben.

Glauben Sie, dass die Ursprünge des Videos aufgeklärt werden?

Das halte ich mittlerweile für vorstellbar. Die andere Frage ist aber, was die Menschen glauben. Durch Social Media und die Gespräche kann jeder seine persönliche Theorie über das Video haben. Selbst, wenn der Staatsanwalt einen Verantwortlichen präsentiert, ist es nicht sicher, dass das alle glauben – insbesondere FPÖ-Wähler.