Szene

Jetzt reden die Eltern der Ballett-Schüler

Heute Redaktion
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In einem offenen Brief fordern die Eltern von 39 Eleven der Ballettakademie der Wiener Staatsoper eine "differenzierte Sicht auf die Ballettausbildung".

Der Tanz an die Spitze ist ein Höllentrip. Sagen die, die sich an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper gedrillt, gedemütigt und sogar misshandelt fühlten ("Heute" berichtete). Schwere Vorwürfe, die den Lack einer der berühmtesten Tanzschmieden der Welt mehr als nur ankratzen – und jetzt auch die Eltern von 39 Eleven zwischen 10 und 13 Jahren auf den Plan rufen.

In einem offenen Brief sprechen sie über die Verunsicherung, die aufgrund "einseitiger Berichterstattung" hinter den Mauern Einzug gehalten hat, und den Wunsch nach einer "differenzierten Sicht auf die Ballettausbildung". "Die Stimme der Eltern" wehrt sich gegen die Stigmatisierung ihrer "kleinen Heldinnen und Helden" zu mitleiderregenden Opfern, verurteilt die Verunglimpfung der "hochersehnten Auftritte" als "schlecht bezahlte Kinderarbeit" und bedauert, dass "Bilder von blutigen Füßen mehr Aufmerksamkeit erzielen als lachende Kinder, die einfach nur tanzen wollen".

Denn genau das ist es, was ihre Kinder ausmache: "Sie sind stolz auf ihre Leistungen und darauf, dieser Akademie anzugehören. Kein Kind kann gezwungen werden, jahrelang die täglichen Strapazen auf sich zu nehmen, wenn es nicht für die Sache brennt. Und ja, es sind Strapazen (…)."

Dass diese mit dem Fortschreiten der professionellen Ausbildung zunehmen, sei allen Beteiligten bewusst: "Dieser Einsatz kann auch an Grenzen gehen, die wir Eltern und die Lehrkräfte genau beobachten müssen." Die Wiener Staatsoper kündigte bereits einen Maßnahmenkatalog an, um dafür künftig Sorge zu tragen.

"Die Kinder der Ballettakademie der Wiener Staatsoper – die Stimme der Eltern

Wir Eltern von Kindern der ersten drei Klassen der Ballettakademie der Wiener Staatsoper (die Kinder sind im Alter von 10 bis 13 Jahren) hatten noch keine Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen. In den Medien dominierte bisher eine einseitige Berichterstattung, da Bilder von blutigen Füßen mehr Aufmerksamkeit erzielen, als lachende Kinder, die einfach nur tanzen wollen. Daher ist es uns ein Bedürfnis, mit diesem offenen Brief zur aktuellen Diskussion beizutragen und eine differenzierte Sicht auf die Ballettausbildung und damit eine objektive Meinungsbildung zu ermöglichen.

Unseren Kindern geht es um die Freude am Tanzen. Sie verfolgen eine Leidenschaft , die aus ihnen selbst kommt. Ohne diesen inneren Drang funktioniert es nämlich nicht. Kein Kind, kein Teenager kann gezwungen werden jahrelang die täglichen Strapazen auf sich zu nehmen, wenn es nicht selbst für die Sache brennt. Und ja, es sind Strapazen: Schule am Vormittag und Training am Nachmittag, Lernen am Wochenende, schweißtreibendes Wiederholen von Übungen und manchmal auch Blasen an den Füßen.

Wir, die unterzeichnenden Eltern, unterstützen unsere Kinder dabei und ermöglichen ihnen diesen Traum zu verfolgen. Und wir hören genau hin, was sie von ihrem Alltag in der Ballettakademie erzählen. Meistens freuen wir uns mit ihnen und wenn es notwendig ist, stehen wir ihnen zur Seite. Wir sind oft auch vor Ort in der Ballettakademie. Dort sehen wir unsere Kinder, wie sie sich auf das gemeinsame Training freuen, lachend durch das Haus laufen und als Ausgleich zum klassischen Tanz in den Nebenfächern improvisieren. Sie sind stolz auf ihre Leistungen und darauf, dass sie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper angehören.

Das alles passt zwar nicht ins Bild der letzten Tage, aber dennoch ist das der Alltag unserer Kinder. Oder besser gesagt, es war der Alltag. Jetzt sind unsere Kinder - und mit ihnen auch wir Eltern - verunsichert und verstehen Vieles nicht mehr. Der von unseren Kindern hochersehnte Auftritt auf der Bühne der Wiener Staatsoper als Engel, Waldfee oder Ratte im "Nussknacker" ist eine großartige Möglichkeit aus ihrem Alltag hervorzutreten und wunderbare Verwandlungen zu erleben. Leider wird das von manchen als schlecht bezahlte Kinderarbeit verunglimpft. In Wirklichkeit sehen unsere Kinder solche Auftritte als Zeichen der Anerkennung und als einzigartige Möglichkeit, ihr Können zu präsentieren und die so wichtige Bühnenerfahrung zu sammeln.

Selbstverständlich sind Misshandlungen und sexuelle Übergriffe absolut indiskutabel und wir sind die ersten, die an einer lückenlosen Aufklärung interessiert sind, auch wenn das nicht unser Bild ist, das wir und unsere Kinder in der Ballettakademie bisher erlebt haben. Die Kinder haben es genossen in einer Ballettschule zu tanzen und täglich dazuzulernen, die ersten Schritte auf Spitzenschuhen wurden lange herbeigesehnt. Freude und Spaß standen für unsere Kinder ganz oben.

Es ist uns bewusst und als verantwortungsvolle Eltern besprechen wir das auch mit unseren Kindern, dass die professionelle Ausbildung zur Balletttänzerin oder zum Balletttänzer mit fortschreitender Dauer intensiver wird. Wenn in den oberen Klassen ein internationales Spitzenniveau erreicht werden soll, ist, so wie in jeder Art des Spitzensports oder bei Profimusikern, ein sehr hoher Einsatz erforderlich. Dieser Einsatz kann auch an Grenzen gehen, die wir Eltern und die Lehrkräfte genau beobachten müssen. Wir finden es gut, dass die aktuelle Diskussion die Aufmerksamkeit auf diese laufende Begleitung der Elevinnen und Eleven lenkt und dass sich die Ballettakademie der Wiener Staatsoper künftig - im Sinne einer modernen Ausbildungsstätte - auch dem Thema der psychologischen Betreuung der Kinder widmen wird.

Mit diesem offenen Brief wünschen wir für unsere Kinder, dass ihnen die Freude an ihrer Leidenschaft erhalten bleibt. Sie sind keine Opfer, die Mitleid und Bedauern seitens der Öffentlichkeit brauchen, sondern kleine Heldinnen und Helden, denen wir Anerkennung und Achtung zukommen lassen möchten oder auf jeden Fall mehr Verständnis für ihre Leidenschaft - das Tanzen.

Wien, am 14.4.2019
" (mado)