Wien

Job verloren – Vater setzte Max (19) auf die Straße

Als er seinen Bäckerei-Job verlor, setzte ihn sein Vater auf die Straße. Seither wohnt Max (19) in der Jugendnotschlafstelle "a_way" der Caritas Wien. 

Louis Kraft
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    Seit Max P. (19, Name geändert) seinen Hilfsjob in einer Bäckerei verlor, kann er nicht mehr nach Hause. In der Jugendnotschlafstelle "a_way" der Caritas fand er Hilfe.
    Seit Max P. (19, Name geändert) seinen Hilfsjob in einer Bäckerei verlor, kann er nicht mehr nach Hause. In der Jugendnotschlafstelle "a_way" der Caritas fand er Hilfe.
    Sabine Hertel

    Laut Schätzungen sind rund 22.500 Menschen in Österreich wohnungslos. Die Dunkelziffer könnte bis zu viermal höher liegen. Wieviele Jugendliche und junge Erwachsene von Obdachlosigkeit betroffen sind, kann nur spekuliert werden. Erhebungen zu diesem Thema gibt es bisher nicht.

    Auch in Wien "sitzen" junge Menschen auf der Straße. Die Gründe sind vielfältig: bei den meisten ist es Gewalt in der Familie, bei anderen Suchtmittelprobleme. Bei Max P. (19, Name geändert) waren es Streitereien mit seinem Vater. "Als ich meinen Hilfsjob in einer Bäckerei verlor, gab es wieder Streit. Er hat mich einfach vor die Tür gesetzt. Er hat gesagt, ohne Job brauche ich nicht mehr heimkommen", erzählt der gebürtige Syrer gegenüber "Heute". 

    Das war vor rund vier Wochen. Seither hat er in der Jugendnotschlafstelle a_way der Caritas in der Neumayrgasse 4 (Ottakring) eine neue Bleibe gefunden. Max ist einer von rund 400 bis 500 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 20 Jahren, die hier pro Jahr Zuflucht finden, erklärt Einrichtungsleiter Thomas Adrian (40). Der junge Syrer kam durch seinen Zwillingsbruder zu "a_way": Auch er suchte nach Konflikten mit seinem Vater bei der Caritas Zuflucht. Mittlerweile geht er – dank der Unterstützung, die er hier erfuhr – seinen eigenen Weg.

    95 Prozent der Jugendlichen erleben Gewalt in der Familie

    Zu 95 Prozent haben die jungen Klienten in ihren Familien physische und/oder psychische Gewalt erlebt. Dadurch steige bei ihnen der Druck, irgendwann wollen sie dann einfach weg. Im "a_way" werden sie aufgenommen – unabhängig vom Grund ihrer Obdachlosigkeit können sie sich hier ein paar Nächte ausruhen und wieder einen klaren Kopf bekommen. "Es gibt bei uns nur drei Grundregeln: Keine Selbstgefährdung, keine Fremdgefährdung und die Außentür soll nur von Mitarbeitern geöffnet werden", erklärt Tom Adrian. Der Name "a_way" ist zugleich Programm: In der Jugendnotschlafstelle – die einzige in Wien – kommen sie nicht nur "weg" von Zuhause, ihnen wird gleichzeitig beim Weg in eine selbstbestimmte Zukunft geholfen. 

    Wäsche waschen und kochen als Teil der Sozialarbeit

    In der Jugendnotschlafstelle gibt es zehn Betten in Doppelzimmern, dazu kommen acht Zimmer für das sogenannte Stabilisierungswohnen in drei Wohngemeinschaften. Hier kommen junge Menschen unter, die aus unterschiedlichen Gründen länger als nur ein oder zwei Nächte "weg müssen". Auch Max P. lebt hier in einer Wohngemeinschaft. Wie andere Mitbewohner kann er im "a_way" schlafen, Wäsche waschen, kochen und Zeit mit anderen Jugendlichen verbringen. Besonders wichtig ist auch das Gespräch mit den Sozialarbeitern der Caritas wie etwa Pascal Laun (31).

    "Wenn die Jugendlichen zu uns kommen, sind viele zuerst verängstigt und unsicher. Manche sind auch enttäuscht und aggressiv. Nach zwei, drei Tagen machen sie dann langsam auf, erzählen, was geschehen ist", erzählt Pascal. Im Durchschnitt bleiben die Klienten zwei oder drei Wochen. Mit Hilfe des Sozialarbeit-Teams lernen sie neue Perspektiven zu entwickeln. Bei der Jobsuche, bei Bewerbungen oder bei der Wohnungssuche werden sie laufend begleitet.

    "Manche Jugendliche lernen bei uns auch echte Grundkenntnisse, zum Beispiel, wie wasche ich meine Wäsche oder wie koche ich mir etwas zu essen", erzählt Tom. Im Kleiderlager können sie sich Kleidung ausborgen. Zudem werden den Jugendlichen neue Rollen vorgelebt: etwa wenn Männer gemeinsam den Geschirrspüler ausräumen. Bewohner des Stabilisierungswohnens gehen auch mit den Haushaltshilfen einkaufen und lernen so den Wert dessen, was sie später konsumieren.

    Jugendliche müssen sich tagsüber selbstbeschäftigen

    Im "a_way" sind immer zwei Mitarbeiter im Dienst, gemeinsam betreuen sie – bei Vollbelegung – 18 bis 20 Bewohner. Im Idealfall sind ein männlicher Betreuer und eine weibliche Betreuerin im Einsatz. "Es gibt Themen, die Mädchen nur mit einer weiblichen Sozialarbeiterin besprechen wollen", erklärt Tom. Dem versuche man Rechnung zu tragen. Dass Mädchen und Burschen in dem Gemeinschaftsräumen aufeinander treffen, sei aber kein Problem. "Jugendliche sind toleranter, als manche meinen", so Tom.

    Die Jugendnotschlafstelle ist außer an den Wochenenden und Feiertagen (hier gibt es einen 24h Betrieb) täglich von 17 Uhr bis 9 Uhr geöffnet. Für die Jugendlichen heißt das, dass sie sich tagsüber eine Beschäftigung suchen müssen. Max P. besucht gerne die nahegelegene Hauptbibliothek am Urban-Loritz-Platz (Rudolfsheim-Fünfhaus) oder geht spazieren. Daneben besucht er einen Berufsorientierungskurs des AMS Wien. Nächste Woche beginnt er mit dem Pflichtschulabschlusskurs. Dies ist nötig, weil sein Abschluss der Unterstufe in einer syrischen Schule hier nicht anerkannt wird. Mit Hilfe der Caritas stellt er sich dieser Herausforderung und träumt schon jetzt von einer Lehre: "Ich würde gerne Tischler werden", erzählt er "Heute". 

    Caritas fordert Schaffung einer Jungerwachsenenhilfe

    Wie der Jahresbericht der Caritas für das Jahr 2020 zeigt, gab es im Vorjahr 4.878 Nächtigungen im "a_way". 377 junge Menschen, davon waren 58,6% Burschen, wurden betreut. Heuer zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Der Bedarf für mehr Krisenplätze für junge Menschen ist also da. 

    Dennoch bleiben große Lücken, wie Tom erklärt. "Viele Jugendliche verbringen ihren 18. Geburtstag auf der Straße, weil ihre Eltern ab da rechtlich nicht mehr zuständig sind", so Tom. Daher fordert er nicht nur einen Ausbau des Betreuungsnetzes für obdachlose Jugendliche und junge Menschen, sondern auch eine Ausweitung des gesetzlichen Anspruchs auf Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus. Es brauche eine Jungerwachsenenhilfe, weil viele zwischen den Zuständigkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und der Wiener Wohnungslosenhilfe "durchrutschen". 

    Spenden von Jogginghosen und Gutscheinen für Hygieneartikel erbeten

    Neben Geldspenden freut sich die Jugendnotschlafstelle vor allem über die Spenden von "jugendlichen und neuwertigen Jogginghosen".  Gefragt sind auch Gutscheine für Hygieneartikel oder Lebensmittel. Alle Infos dazu findest Du hier