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Jugendforscher attackiert Grünen-Chefin

Heute Redaktion
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Bild: Sabine Hertel

Rauchen erst ab 18 Jahren: Diese Forderung der Grünen spaltet. In einem offenen Brief greift Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier nun die "grünen Moral- und Normenapostel" frontal an.

Rauchen erst ab 18 Jahren: Diese Forderung der Grünen spaltet. In einem offenen Brief greift Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier nun die "grünen Moral- und Normenapostel" frontal an.

Die Fantasie der Partei sei "unbegrenzt, wenn sie dem kleinen machtlosen Bürger das Leben durch Gebote und Verbote verderben kann". Und: "Die Grünen, eine Partei unter der Führung einer alarmistischen Helikopter-Mutti, sind herabgekommen zu einer moralisierenden Bobo-Bürger-Bewegung.".

Und: Jungen Menschen würde mit dem Verbot "die Zwangsjacke des grünen kleinbürgerlichen Fürsorgestaates" übergestreift, so Heinzlmaiers Urteil.

 
Hier der offene Brief in voller Länge:

Kommentar von Bernhard Heinzlmaier:

Erstickt die Zivilgesellschaft an der Reglementierungspolitik der Grünen?

Die Grünen reiten wieder. Wie immer stehen sie an erster Stelle, wenn es

um die Normierung, Reglementierung und Gängelung der Zivilgesellschaft

geht. Während die Zurückhaltung der Partei groß ist, wenn es um

Maßnahmen gegen die menschenverachtende Deregulierung der Wirtschaft und

die Freisetzung der Destruktivkräfte des Marktes durch Globalisierung

und Liberalisierung des Handels geht, ist ihre Fantasie und auch ihr

Tatendrang unbegrenzt, wenn sie dem kleinen machtlosen Bürger das Leben

durch Gebote und Verbote verderben kann.

Was die Grünen seit Jahren vorführen, ist die Politik des kleinen

Feiglings, der vor den Mächtigen buckelt und die Schwachen drangsaliert.

Die Grünen, eine Partei unter der Führung einer alarmistischen

Helikopter-Mutti, sind herabgekommen zu einer moralisierenden

Bobo-Bürger-Bewegung, die ihre softifizierten und pazifierten

Kuschelwerte über die Freiheit und Würde des Menschen stellt. Es ist ein

kraftloser Moralismus, dem jeder unkontrollierte Trieb, jede spontane

Lebensäußerung, jeder kleine Exzess suspekt ist. Er ist angeekelt von

der ungestümen, stürmischen, heißblütigen Körperlichkeit der Jugend und

adoriert die leblose Vernunft des abgeklärten und abgestumpften Alters.

Die Altersvernunft wird zur Norm erhoben und den Jungen per Dekret

übergestülpt.

So wird die Autonomie des Einzelnen am Altar eines autoritären

Kommunitarismus der abgestandenen Erwachsenheit geopfert, der versucht,

die Menschen in eine tyrannische Werte-Zwangsgemeinschaft

hineinzudrängen, die mehr an die dörfliche Enge der 1950er Jahre als an

die Offenheit und Freiheit des urbanen Pluralismus der Gegenwart gemahnt.

Der nächste große Wurf, um vor allem den jungen Menschen die Zwangsjacke

des grünen kleinbürgerlichen Fürsorgestaates überzustreifen, wird das

Rauchverbot für alle unter 18-jährigen werden. Obwohl man der Jugend

zumutet, sich ab dem Alter von 16 Jahren an einer moralisch total

verkommenen und programmatisch hohlen Demokratie zu beteiligen, die

nicht mehr als die PR-Agentur von international agierenden Konzernen und

Wirtschaftsorganisationen ist, will man sie in Zukunft von der Polizei

verfolgen lassen, wenn sie sich im Park einen Glimmstängel anzündet. Und

schon ab dem Kindergarten soll dem Nachwuchs der reflexive Umgang mit

Speisen, Getränken, Genussmitteln und so weiter antrainiert werden. Es

soll nicht mehr vorkommen, dass ein junger Mensch sich ein paar Bier

reinkippt, genüsslich an einer Zigarette zieht, Softdrinks konsumiert

oder sich gar am fetten Fleisch des Schweins labt. Genuss soll überhaupt

durch Reflexion und Selbstkontrolle ersetzt werden. Selbstkontrolle und

Selbstoptimierung sollen an die Stelle der Spontanität des Lebens

gesetzt werden, das Nützliche und darum Richtige soll alles Unnütze und

darum vermeintlich Falsche aus dem Weg räumen.

So wird an einer Welt gebastelt, die nur mehr öde und langweilig ist,

weil alles Tun und Handeln der Menschen vorhersehbar und berechenbar,

weil rundum grundvernünftig, sein wird. Man fragt sich schon, warum ein

16-jähriger nicht das Recht haben soll, Tabak zu genießen, auch wenn er

damit seine Gesundheit schädigt? Und wenn die Grünen den 16-jährigen

noch nicht für reif genug dafür halten, eine autonome Entscheidung für

oder gegen ein Suchtmittel zu treffen, warum halten sie ihn dann für

reif genug, an Wahlen teilzunehmen? Vielleicht deshalb, weil sie

überproportional vom Wahlverhalten der Jungen profitieren?

Jedenfalls scheint es notwendig zu sein, die Diskussion über das Niveau

der quälend-primitiven Polit-PR zu heben, der es ja doch nur um

politische Kleinmünzerei auf Kosten von moralisch, rechtlich und

ökonomisch schwachen Bevölkerungsgruppen geht. An Stelle dessen wäre ein

interdisziplinärer Diskurs darüber zu führen, ab welchem Lebensalter von

einem autonomen, zu selbstverantwortlichen Entscheidungen fähigen

Individuum gesprochen werden kann. Kommt dieser Diskurs zum Schluss,

dass 16-jährige das noch nicht sind, so muss man dann dieser Gruppe

konsequenter Weise nicht nur das Rauchen verbieten, sondern ihr gleich

auch das Wahlrecht wieder entziehen.

Und sollte nun jemand auf die Idee kommen zu behaupten, dass der junge

Mensch unter 18 Jahren reif sei für politische Entscheidungen, aber noch

nicht für eine freie Entscheidung über den Konsum von Suchtmitteln, dann

muss der Unter-18-jährige selbst unter dieser Prämisse sein Wahlrecht

verlieren, denn es könnte sich ja eine Partei den Wahlen stellen, die

für das Beibehalten des Rauchens ab 16 Jahren eintritt und damit von den

jungen Menschen eine Entscheidung verlangt, für die sie noch nicht

erwachsen genug sind.

Bis in die 1990er Jahre hat man in der Jugendsoziologie noch von der

beschleunigten Entwicklung der Jugend gesprochen, was bedeutet, dass die

moderne Jugend schneller erwachsen wird als frühere Jugendgenerationen.

Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren, sieht man von der

körperlichen Akzeleration einmal ab, gestoppt worden. Für diese These

gibt es vielfältige empirische Belege. Ein besonders eindrucksvoller,

die Elterntage an deutschen Universitäten, an denen Erwachsene mit ihren

volljährigen Kindern an der Hand die zukünftige Ausbildungsstätte

besuchen. Oder österreichische Universitäten, die ihre Studierenden

dadurch infantilisieren, dass sie in den Aulen Tafeln mit den

Jahrgangsbesten aushängen. Das erinnert an den "Mitarbeiter des Monats"

in DDR-Betrieben und an das bravste Kind der Woche, dessen Konterfei im

Eingangsbereich der Kindergärten der 1960er Jahre gerne präsentiert wurde.

Wir gehen offensichtlich rückwärts, zurück in eine Epoche, in der

Anpassung belohnt und Kritik bestraft wurde, in der eine moralisierende

Normopathie das Allgemeine mit aller Gewalt über das Besondere stellte.

Und die Grünen sind es, die diesen in die Vergangenheit eines betulichen

Autoritarismus marschierenden Zug anführen. So betrachtet sind die

Grünen heute die neuen Konservativen, die den Rückschritt in eine Zeit

betreiben, in der die bedächtige Weisheit des Alters die Gesetze

geschrieben hat, denen die Jungen folgen mussten, wollten sie

körperliche Krankheit und sozialen Untergang vermeiden.

Dass zu einem gelungen Leben auch spontanes Handeln ohne Reflexion,

punktuelle Exzesse und dionysischer Rausch gehören, auch wenn man davon

vielleicht nicht gesünder wird, davon haben die neoprotestantischen

grünen Moral- und Normenapostel noch nie etwas gehört. Und anstelle des

Satzes von Kant, der da lautet "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes

zu bedienen!", setzen die Grünen die Untertanen-Logik "Lass die Grünen

für dich denken und mache das, was sie von dir verlangen". Vor einer

Jugend, die eine solche totalitäre Handlungsmaxime internalisiert, muss

sich die Politik der Zukunft nicht fürchten. Sie wird tun, was man von

ihr verlangt.

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