Kleidervorschrift

Kassiererin will Kopftuch tragen – fristlose Kündigung

Eine Kurdin (42) wollte bei der Arbeit ein Kopftuch tragen. Kurze Zeit später kam die Kündigung. War sie rechtens? Ein Arbeitsrechtsanwalt ordnet ein.

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    Die 42-jährige Kurdin A.M. beschloss letztes Jahr, ein Kopftuch zu tragen.
    Die 42-jährige Kurdin A.M. beschloss letztes Jahr, ein Kopftuch zu tragen.
    20min/Zoé Stoller

    M.A.* wurde entlassen, nachdem sie seit 2017 in einer Luzerner Migros-Filiale als Kassiererin gearbeitet hatte. Die Kurdin, die seit Jahren in der Schweiz wohnt, trug lange kein Kopftuch, bis sie sich im Juli 2023 dazu entschloss, eines zu tragen. Um auf Nummer sicher zu gehen, erkundigte sich A. zuerst, ob sie so zur Arbeit gehen dürfe. Die Antwort ließ lange auf sich warten. Dann kam die Kündigung.

    "Fühle mich wirklich diskriminiert"

    "Mein Chef sagte mir, dass ich nicht mit dem Kopftuch zur Arbeit kommen dürfe. Sonst würde ich nach Hause geschickt", erzählt A. Ihre Vorgesetzten hätten mit der Kleiderordnung argumentiert und gesagt, die Kleidung dürfe keine religiösen Symbole enthalten. "Aber meine Mitarbeiterinnen durften mit riesigen tätowierten Kreuzen auf der Hand arbeiten", sagt die 42-Jährige. "Ich fühle mich wirklich diskriminiert."

    Auf ihre Frage, ob sie in eine andere Abteilung versetzt werden könne, erhielt sie ebenfalls eine Absage. "Und das, obwohl ich sechs Jahre in der Filiale gearbeitet habe." Als sie sich daraufhin für die nächsten Tage abgemeldet habe, weil sie sich ohne Kopftuch nicht mehr wohl gefühlt habe, sei sofort die fristlose Kündigung gekommen. Nun klagt A. gegen die Migros.

    Das sagt Supermarkt

    Carmen Hefti, Mediensprecherin der Migros, sagt auf Anfrage: "Die Kleiderordnung für Filialpersonal der Genossenschaften ist national geregelt mit Raum für die Genossenschafts- bzw. Unternehmens-spezifische Ausgestaltung." So sei es allen Mitarbeitenden, die bei der Arbeit Kundenkontakt hätten, verboten, mit Kopfbedeckung zu arbeiten. "Dies schließt religiöse Kopfbedeckung, so auch Kopftücher, Turbane oder Kippas mit ein." Hintergrund der Regelung: die Einhaltung der Sicherheits- und Hygienevorschriften.

    Aber: "Aktuell sind wir in Diskussion mit den Genossenschaften, die Kleiderordnung in einigen Punkten anzupassen." Der Punkt der Kopfbedeckung im Allgemeinen sei Teil davon, so Hefti.

    Auf die Frage, ob man A. nicht hätte umdisponieren können, sagt sie: "Wenn die Anforderungen passen (Physis, Ausbildung und Kompetenzen) und es eine freie Stelle gibt", sei ein interner Stellenwechsel für Migros-Mitarbeitende ein gängiger Weg der beruflichen Weiterentwicklung. Auf den konkreten Fall möchte Hefti aus Datenschutzgründen aber nicht eingehen.

    Rechtsanwalt ordnet ein

    Wie Arbeitsrechtsanwalt Livio Stocker erklärt, darf ein Arbeitgeber dann Kleidervorschriften erlassen, wenn diese "der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten, dem Schutz von Gesundheit, der Sicherheit und Sittlichkeit sowie einem einheitlichen Unternehmensauftritt dienen". Zentral sei die sachliche Begründung für die Kleidervorschrift.

    Lag eine indirekte Diskriminierung vor?

    "Interessant wäre vorliegend zu wissen, wie die Migros das Tragen von anderen religiösen Symbolen handhabt. Wenn generell Kopfbedeckungen verboten sind, könnte auch die Frage einer sogenannten indirekten Diskriminierung vorliegend von Relevanz sein", so Stocker. "Indirekte Diskriminierungen sind neutral formulierte Bestimmungen, die für alle Mitarbeitenden gelten, im Ergebnis aber einen bestimmten Personenkreis regelmäßig benachteiligen."

    Hätte die Migros M.A. umdisponieren müssen?

    Der Rechtsanwalt erklärt: "Befindet sich eine Arbeitnehmerin aufgrund ihrer geschuldeten Arbeitsleistung und ihrer Religion in einem Konflikt, so hat sich die Arbeitgeberin zu bemühen, eine entsprechende Alternative zu schaffen, damit die Arbeitnehmerin die geschuldete Arbeitsleistung erbringen kann", so Stocker. Aber: "Es gibt keine gesetzliche Pflicht für eine Arbeitgeberin, einer Mitarbeiterin eine Alternative im Lager oder der Logistik zu verschaffen."

    War die fristlose Kündigung rechtens?

    Wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin derart zerstört sei, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar sei, dürfe fristlos gekündigt werden. Wenn die Arbeitnehmerin von der Arbeit fernbleibe, handle es sich dabei um Arbeitsverweigerung, "auch wenn sie die Abwesenheit ankündigt."

    Wäre A. mit Kopftuch am Arbeitsplatz erschienen, "hätte man sie vermutlich verwarnt und allenfalls nach Hause geschickt, aber noch nicht fristlos wegen Arbeitsverweigerung gekündigt", sagt Stocker.

    Die Migros ist nicht der einzige Schweizer Supermarkt, der das Kopftuch bei der Arbeit mit Kundenkontakt verbietet. Auch bei Coop ist es Mitarbeitenden verboten, mit Kopfbedeckung zu arbeiten.

    *Name der Redaktion bekannt

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      Wiener Linien / Manfred Helmer

      Auf den Punkt gebracht

      • Eine Kassiererin wurde fristlos entlassen, nachdem sie beschloss, ein Kopftuch zur Arbeit zu tragen
      • Die Migros beruft sich auf die Kleiderordnung, die das Tragen religiöser Kopfbedeckung untersagt, jedoch ist die Frage der indirekten Diskriminierung relevant
      • Arbeitsrechtsanwalt Livio Stocker erklärt, dass eine Arbeitgeberin alternative Lösungen für Mitarbeiterinnen in religiösen Konflikten finden sollte, und dass die fristlose Kündigung möglicherweise nicht gerechtfertigt war
      20 Minuten, wil
      Akt.