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Kinder sollen keine "besten Freunde" haben

Heute Redaktion
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Britische Schulen wollen den Kindern einen "besten Freund" verbieten, andere würden sich dadurch ausgeschlossen fühlen. Experten warnen davor.

"Ihre Tochter hat eine beste Freundin. Können Sie schauen, dass die beiden Mädchen nicht mehr so aufeinander fixiert sind?" Die Kindergartenlehrerin äußerste im Elterngespräch während des ersten Kindergartenjahres eine klare Forderung. Für Mutter Sabrina B.* aus Liechtenstein kam diese Aussage überraschend. "Warum sollte ich meiner fünfjährigen Tochter befehlen, sich nicht mehr so oft mit ihrer besten Freundin abzugeben?" Die Freundschaft sei doch ganz normal und etwas Positives.

Tatsächlich gibt es in den USA sowie in Europa den Trend, den Ausdruck "bester Freund" zu verbieten. Die amerikanische Kinderpsychologin Barbara Greenberg sagte zu CBS New York: "Ich sehe die ganze Woche über Kinder, die sich schrecklich fühlen, weil sie keinen besten Freund haben und deshalb ausgeschlossen werden." Die Idee, den Ausdruck "bester Freund" komplett zu verbannen, hält Greenberg für ein sehr faszinierendes gesellschaftliches Experiment.

"Miteinbeziehen statt ausschließen"

Das Ziel davon sei es, den Kindern beizubringen, mit mehreren Klassenkameraden befreundet zu sein, anstatt sich auf einen einzigen Freund zu fixieren. "Miteinbeziehen statt ausschließen", lautet die Vorgabe laut Greenberg. Man könne den Kindern zwar nicht verbieten, einen besten Freund zu haben. "Aber die Schulen versuchen, den Kindern zu vermitteln, dass man mehr als einen Freund haben kann", sagt die Kinderpsychologin. Das sorge für eine "glücklichere Atmosphäre für alle Schüler".

Laut Beat A. Schwendimann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, gibt es hierzulande keine Bestrebungen, Kindern den besten Freund auszureden. Dies würde auch nichts bringen: "Die Kinder hätten dann immer noch einen Freund, der ihnen am nächsten steht." Den Begriff "bester Freund" zu unterdrücken, würde er den Lehrpersonen nicht anraten. "Vielmehr sollte man die Gruppendynamik ansprechen, wenn sie dazu führt, dass einzelne Kinder ausgeschlossen werden."

"Wir alle haben einen besten Freund"

Auch für den deutschen Psychologen Wolfgang Krüger ist ein Verbot des Ausdrucks "bester Freund" undenkbar: "Es ist nicht schlecht, sondern normal, einen besten Freund zu haben. Wir alle haben einen." Man sehe bei Kindern bereits in ihren Poesiealben, dass eine Rangfolge vorhanden sei. "Das kann man doch nicht verbieten", sagt Krüger, Autor des Buches "Freundschaft: Beginnen, verbessern, gestalten".

Dass man verhindern will, dass andere Kinder ausgegrenzt werden, versteht Krüger: Es gebe in fast jeder Schulklasse ein Kind, das Außenseiter ist und ausgelacht wird. Das sei problematisch. Aber: "Schüler müssen lernen, sich zu respektieren und Konflikte zu lösen. Das gehört zur Sozialkompetenz", sagt Krüger. Aber beste Freunde zu verbieten, um das zu erreichen, das sei "geradezu albern".

Lehrer müssen eingreifen, wenn Kinder ausgegrenzt werden

Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm zieht die Eltern in die Verantwortung: "Es braucht Erwachsene, die den Kindern beibringen, dass man sehr wohl beste Freunde haben darf, aber auch mit anderen Kindern Kontakte schließen soll, die eher abseits stehen." Mit einem Verbot von besten Freunden erreicht man nichts.

Gruppendynamiken in Schulklassen sind auch Bestandteil der pädagogischen Ausbildung: "Thematisiert werden etwa pädagogische Maßnahmen, mit denen Lehrer Einfluss auf die Gruppendynamik nehmen können", sagt Christine Villiger, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

*Name der Redaktion bekannt