Wochenlang haben FPÖ und ÖVP "verhandelt" und über öffentliche Kanäle gestritten – dann der große Knall: Aus Blau-Schwarz wird nichts. So lange wurde in Österreich noch nie um eine neue Regierung gerungen.
Zunächst mit den Ampel-Gesprächen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS und danach in der FPÖ/ÖVP-Konstellation sind seit der Nationalratswahl am 29. September 2024 rund viereinhalb Monate vergangen. Und jetzt heißt es ganz zurück, alles umsonst, zurück an den Start nach den vielen "verlorenen" Wochen. "Heute" hat die Szenarien, wie es nun weitergehen könnte.
Gefordert ist auf jeden Fall Bundespräsident Alexander Van der Bellen – er hat eine zentrale Rolle bei einer Regierungsbildung. Nach dem Aus der blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen wird er wohl die Chefs aller im Nationalrat vertretenen Parteien zu Gesprächen bitten, um zu erfahren, ob sich in anderen Konstellationen neue Optionen auftun.
Möglich wäre ein Comeback der Ampel-Verhandlungen. SPÖ und NEOS betonen, sie seien bereit, die Gespräche wieder aufzunehmen. "Unsere Hand ist weit ausgestreckt", heißt es seitens der Roten. "Die Sozialdemokratie war immer bereit, Verantwortung zu übernehmen", betont der mächtige Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig.
Auch SPÖ-Chef Andreas Babler brachte sich in Stellung – für die Wiederaufnahme von Gesprächen mit der ÖVP oder die Unterstützung einer "Regierung von Persönlichkeiten", die dem Parlament zur Seite stünde: "Das Staatsinteresse hat jetzt vor Parteiinteressen zu stehen", so Babler in einem Video-Statement auf Social Media.
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ließ via Social Media wissen: "NEOS sind weiterhin bereit, die Gespräche mit ÖVP und SPÖ wieder aufzunehmen." Die Sozialdemokraten müssten sich dafür allerdings "Richtung Mitte" bewegen, so die Parteivorsitzende der Pinken. Und es wären insgesamt größere Scherbenhaufen aus dem Weg geräumt werden, um in dieser Konstellation wieder Vertrauen aufzubauen.
Vorstellen kann sich Meinl-Reisinger auch, "eine schwarz-rote Koalition in Reformfragen zu unterstützen oder in einer gemeinsamen Minderheitsregierung mit der ÖVP auf andere Parteien im Parlament zuzugehen, um Mehrheiten für die nötigen Schritte zu schaffen".
Eine schwarz-pinke Minderheitsregierung dürfte die ÖVP für keine gute Idee halten, ist zu hören. Erneut mit den Grünen in eine Regierungskoalition zu gehen, schließen die Schwarzen dem Vernehmen nach weiterhin aus.
Sollten keine weiteren Koalitionsgespräche möglich sein, braucht Österreich eine Übergangsregierung bis zu Neuwahlen. Formal könnte die alte schwarz-grüne Regierung mit Interims-Kanzler Alexander Schallenberg einfach im Amt bleiben. ÖVP und Grüne haben aber seit den Wahlen keine Mehrheit mehr im Parlament – es würde wohl darauf hinauslaufen, diese Regierung in Absprache mit allen Parteien auszutauschen.
Es liefe dann auf eine Expertenregierung hinaus. Bundespräsident Van der Bellen müsste die Personen vorschlagen. Eine solche Expertenregierung wäre jedoch nicht von jetzt auf gleich einzusetzen – wenngleich VdB bereits eine Namensliste in der Lade haben soll. Aber die Besetzung der Expertenregierung würde mit den Parteien akkordiert.
Anders als bei der Expertenregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein 2019, die lediglich zum Verwalten der Staatsgeschäfte bis zu den Neuwahlen eingesetzt war, müsste eine aktuelle Expertenregierung gemeinsam mit dem Parlament tatsächlich einiges durchbringen. Allen voran geht es um das Budget 2025.
Spekuliert wird, dass eventuell Ökonom Christoph Badelt, als Vorsitzender des Fiskalrats Österreichs oberster Schuldenwächter, an der Spitze einer Expertenregierung das Budget durch den Nationalrat bringen könnte.
Möglich aber auch, dass Alexander Schallenberg, der ja schon zum zweiten Mal den Übergangskanzler macht, auch in einer Expertenregierung im Amt bleibt.
Am wahrscheinlichsten sind Neuwahlen – und bis dahin eine Expertenregierung. Ein Urnengang bedarf eines parlamentarischen Prozederes und hat gewisse Fristen, wäre frühestens Ende Mai/Anfang Juni möglich.
Zunächst muss der Nationalrat seine vorzeitige Auflösung beschließen und einen Neuwahlbeschluss fassen – die nächste Plenarsitzung ist am 26. Februar. Anschließend erlässt die Bundesregierung eine Verordnung, in der Stich- und Wahltag ausgeschrieben werden. Der Stichtag muss am 82. Tag vor dem Wahltag liegen. Eine Zusammenlegung der Nationalratswahl mit der Wien-Wahl am 27. April ist übrigens nicht mehr möglich – der Stichtag für diesen Wahltermin wäre der 4. Februar gewesen.
Neuwahlen Anfang Juni würden bedeuten, dass über den Sommer Regierungsverhandlungen stattfinden müssten.