Politik

Kogler führt die Grünen vom Exil in die Regierung

Heute Redaktion
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Das Comeback kam schneller und fulminanter als erwartet. Werner Kogler zog als neuer Grünen-Frontmann den Karren aus dem Dreck und bescherte den Ökos auch noch die erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. "Heute" weiß, wer der neue Vizekanzler ist.

Werner Kogler ist der starke Mann bei den Grünen. Der 58-jährige Steirer hat der Öko-Partei nach einer vernichtenden Niederlage bei der Nationalratswahl 2017 in diesem Jahr zu einem sensationellen Comeback verholfen.

Mangel an Alternativen

Dabei kam der amtierende Bundessprecher der Grünen eher notgedrungen zu seinem Posten. Denn außer Kogler blieb im Herbst 2017 schlicht kaum jemand mehr übrig, der die am Boden liegende Partei übernehmen konnte. Eva Glawischnig hatte sich verabschiedet, die Parlamentswahl geriet mit dem Spitzenduo Ulrike Lunacek und Ingrid Felipe zum Desaster. Wohl auch, weil sich der ehemalige Grünen-Aufdecker Peter Pilz eine eigene Liste gezimmert hatte. Er kam ins Parlament, die Grünen scheiterten an der 4-Prozent-Hürde.

Die Folge: Den Grünen entgingen von einem Moment auf den nächsten viele Millionen Euro Parteienförderung – und Angestellte mussten reihenweise beim AMS vorsprechen. Kogler, zuvor eher auf Stellvertreter-Posten in der Partei und an der Spitze der Landesgruppe Steiermark zu finden, übernahm den (damals) undankbaren Job. Er holte junge Köpfe nach oben, sanierte die Finanzen, hielt die Reste der Partei zusammen – und bezog dafür monatelang nicht mal ein Gehalt.

Das grüne Facelift

Fast noch wichtiger: Kogler verpasste den Grünen auch ein neues Image. Weg von der abgehobenen Verbotspartei mit dem erhobenen Zeigefinger, hin zu einem pragmatischen, bodenständigen Ansatz. Das alles verkörperte der selbsterklärte "Fundi" zumindest, als er die grüne Spitzenkandidatur für den EU-Wahlkampf zur Chefsache machte. Hemdsärmelig, trotz unzähliger TV-Diskussionen mit Schmähs auf den Lippen und mit klaren Botschaften (Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz) gelang ihm der Befreiungsschlag. 14,08 Prozent, zwei Mandate im EU-Parlament.

Zunächst hatte Kogler ja noch geplant, zwischen Brüssel, Straßburg und Österreich zu pendeln. Gleichzeitig die Partei zu führen und im EU-Parlament tätig zu sein war wohl ambitioniert, wäre aber vermutlich irgendwie machbar gewesen. Doch dann kam Ibiza dazwischen. Heinz-Christian Strache versenkte mit seinem Auftritt im berüchtigten Video nicht nur seine Karriere als FPÖ-Chef und Vizekanzler, sondern gleich die gesamte türkis-blaue Regierung. Neuwahlen im Herbst.

Greta sei Dank

Auf der einen Seite kam die vorgezogene Neuwahl für die Grünen zu einer schlechten Zeit. Sie hatten gerade erst einen Wahlkampf geschlagen und abgesehen von Kogler keinen realistischen Spitzenkandidaten. Dieser musste seinen Wählern also alsbald erklären, dass er sein Mandat in Brüssel nicht annehmen und stattdessen fast nahtlos in die nächste Schlacht ziehen würde. Andererseits spielte die Themenkonjunktur den Ökos massiv in die Hände. Die weltweiten Klimaproteste und Greta Thunberg gaben dem Hauptthema der Grünen Rückenwind, Kogler garnierte das noch mit sozialer Gerechtigkeit, Bekämpfung der Kinderarmut und dem Wunsch nach Transparenz in der Politik.

Am 29. September dann die Sensation: Kogler führte die Grünen zu 13,9 Prozent und damit in noch nie dagewesener Stärke zurück in den Nationalrat. Noch dazu mit komplett neuer Mannschaft, einmal abgesehen von der erfahrenen Abgeordneten Sigi Maurer. Und plötzlich saß der Grünen-Chef in Sondierungsgesprächen mit der "türkisen Schnösel-Truppe", wie er sie noch zuvor genannt hatte. Aber wie das so ist, wenn man sich näher kennenlernt, wurden offenbar gegenseitige Vorurteile abgebaut.

Rekord-Redner

Der wohl erste grüne Vizekanzler Österreichs ist eigentlich schon ein alter Hase im Polit-Geschäft. Bereits von 1985 bis 1988 saß der Hartberger für die Grünen im Grazer Gemeinderat. Von 1999 bis 2017 war er im Nationalrat als Abgeordneter tätig, unter anderem als Leiter des Rechnungshofausschusses, Fraktionsführer im Hypo-U-Ausschuss sowie Budget- und Finanzsprecher der Grünen.

In dieser Funktion sorgte er übrigens für einen Rekord im Parlament. Am 16. Dezember 2010 hielt er die bislang längste Rede im Plenum mit 12 Stunden und 42 Minuten. Aus Protest gegen den Haushaltsplan der rot-schwarzen Koalition sprach er ohne Unterbrechung bis 2 Uhr Früh. Er schloss seinen Redebeitrag mit folgenden Worten: "Das ist eigentlich schon alles, was ich sagen wollte. Das solls gewesen sein. Wir sind gespannt, ob Sie unsere dargebrachten Vorschläge aufnehmen werden." Die Koalition beschloss das Budget trotz des Fillibusters.

Seit neun Jahren lebt Kogler, studierter Volkswirt, in einer privaten Koalition, die ist allerdings nicht parteiübergreifend. Er ist mit Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, liiert. Er ist begeisterter Sportfan und kann sich in Gesprächen über Fußball regelrecht verlieren. Bei einem Besuch in der "Heute"-Redaktion im Frühling dauerte die Plauderei des damaligen EU-Kandidaten mit den Sportredakteuren länger als das gesamte zuvor geführte Interview.

Das türkis-grüne Experiment

Jetzt, nach der "größten Auferstehung seit Lazarus" (Zitat Kogler), landet der ewige Stellvertreter in der ersten Bundesregierung mit grüner Beteiligung. Möglich machte das Koglers hart erkämpfte Hausmacht in der Partei. Selbst die sonst lauten Stimmen in der Partei schwiegen während der heiklen Koalitionsverhandlungen. Die echte Härteprobe folgt aber erst. Es muss sich weisen, wie gut es die Grünen vertragen, wenn sie trotz aller Öko-Leuchtturmprojekte die Politik der "türkisen Schnöseltruppe" mittragen müssen.

Allerdings dürften sich sowohl die ÖVP als auch die Grünen um das Gelingen des Experiments bemühen. Sebastian Kurz kann kein Interesse an seinen dritten vorgezogenen Neuwahlen oder einem Bündnis mit den Scherbenhaufen SPÖ und FPÖ haben. Und die Grünen? Die wollen, wie Kogler bereits betonte, "Verantwortung übernehmen" und eine Neuauflage von türkis-blau verhindern.