Politik

Kurz-Bio: "Ich habe ihn gefragt, ob er verrückt ist"

Heute Redaktion
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Am 05. Februar ist die erste "offizielle" Biographie über Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erschienen. "Heute" hat sie vorab gelesen. Das Fazit.

Der Autor: Paul Ronzheimer, mit 31 gleich alt wie Kurz, "Kriegsreporter" der "Bild", berichtete aus Syrien, Afghanistan, Libyen. Er kennt Kurz seit 2014, traf ihn erstmals am Höhepunkt der Ukrainekrise in Kiew.

Das Buch: 192 Seiten, trägt den schlichten Titel "Sebastian Kurz", erschien am Montag, den 05. Februar, bei "Herder", kostet 24 Euro. Keine (Jugend-)fotos. Sechs Kapitel, von "Kindheit und Jugend" bis "Die Zukunft". Kernthema natürlich: die Flüchtlingskrise.

Kennt Kurz das Buch? Jein, die Zitate sind autorisiert, den Text hat er (noch?) nicht gelesen.

Was ist neu? Ronzheimer hat lange mit den Eltern Elisabeth (Lehrerin, 60) und Josef (Ingenieur, mit 67 noch berufstätig) von Kurz geredet, war am Bauernhof der Großmutter in Niederösterreich.

Flüchtlinge in Familie. Kurz ist sechs, als 1992 der Jugoslawienkrieg ausbricht. Die Familie lebt in Zogelsdorf, nimmt eine Flüchtlingsfamilie auf. "Wir haben dann mit ihnen Deutsch gelernt", sagt Josef Kurz, "manchmal bin ich mit den zwei Flüchtlingsmädchen und Sebastian ins Hallenbad und musste aufpassen, dass die alle drei nicht ertrinken".

Die Großmutter von Kurz stammt aus Novi Sad (heute Serbien), flüchtete im Zweiten Weltkrieg mit 16 Jahren 598 Kilometer nach Niederösterreich, sieht Menschen im Straßengraben sterben. Elisabeth Kurz pflegt sie heute, sagt: "Sie hat immer wieder plötzlich diese Bilder vor Augen und träumt auch davon. Das ist so, als hätten wir dieses Fluchtthema in den Genen".

Geburt im Tschernobyljahr. Die Mutter von Kurz ist erst 16, als sie ihren Josef kennenlernt. Man zieht schnell nach Wien in eine Miniwohnung, mit Ölofen ("alles hat danach gestunken") und Glastür zum Gang ("gruselig"). Das Geld ist knapp. 1985 (Elisabeth Kurz hat ihr Lehramtsstudium abgeschlossen) kündigt sich Nachwuchs an. Es ist das Jahr von Tschernobyl. "Ich habe mir natürlich riesige Sorgen gemacht, weil ich im sechsten Monat schwanger war".

Dreieinhalb Monate nach dem Super-Gau in der Ukraine (26. April) kommt Sebastian auf die Welt. Die Familie wohnt in Wien-Meidling. "Als Baby war er am Anfang ganz brav, aber nur die ersten zehn Monate, dann ist es schwieriger geworden, weil er immer so quicklebendig war, dass es kaum zum Aushalten war".

Als Teenager schon Chef. Den Sommer verbringt die Familie am Land in Zogelsdorf, inmitten von Natur, Tieren, immer sind viele Kinder da. Eine Welt zwischen Heidi und Pippi Langstrumpf. Daheim versucht der Papa den Sohn für Technik zu begeistern, kauft ihm Lego. "Er hatte dann Freunde dabei und da war er meistens schon der Chef und hat gesagt: Ich möchte das so und nicht so".

Sebastian wechselt von der Volksschule ins Gymnasium, die Flüchtlinge aus Jugoslawien sind da, auch in seiner Klasse. "Die Hälfte hatte schon damals einen Migrationshintergrund". In der Schule klappt das, aber es habe auch "Schattenseiten" gegeben, Straßen und Gegenden, "wo Migranten waren, die keine Schulausbildung gemacht haben und die dann am Nachmittag im Park waren und andere belästigt haben. Da hatten dann damals Frauen bereits Sorgen, wenn sie allein da langgelaufen sind".

"Sebastian Kurz - Die Biografie" von Paul Ronzheimer (Autor)

~ Porträt eines der wichtigsten europäischen Politikers unserer Zeit
~ Exklusive Interviews mit Sebastian Kurz, seiner Familie und Freunden

Hier geht es zum Buch: www.herder.de

Als Teenager macht Kurz viel Sport (Bergsteigen, Tennis), die Eltern erziehen ihn liberal, er geht früh in Bars und Diskos. "Wenn ich bald selbst Kinder hätte, wüsste ich nicht, ob ich das so machen würde".

Papa wird arbeitslos. Am 23. Dezember 2005 verliert Josef Kurz seinen Job bei Philips, er weiß nicht, ob er es daheim sagen soll. "Es wird das schlimmste Weihnachten, das die Familie je erlebt hat".

Erst nach einem Jahr (in dem sogar Sohn Sebastian nebenbei jobbt, um "das Familienbudget aufzubessern") findet Josef Kurz eine neue Arbeit. Die Zeit hat "Sebastian Kurz in seiner Jugend geprägt wie nichts anderes". Wenig später wird er politisch tätig.

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Politischer Anfang. Kurz belegt Kurse bei der Jungen ÖVP. Mama ist nicht begeistert. "Ich habe ihn dann gefragt, ob er jetzt ganz verrückt ist und gar nichts anderes mehr zu tun hat in der Freizeit".

Zweimal von Freundin getrennt. "Zwischen Matura und Wehrdienst (Maria-Theresien-Kaserne, Anm.) lernt Sebastian Kurz die Frau kennen, mit der er seitdem sein Leben verbringt. Zweimal waren sie kurz getrennt ...Susanne Thier arbeitet heute im Finanzministerium, sie hat in Wien Wirtschaftspädagogik studiert und ist im Ministerium in der Öffentlichkeitsarbeit tätig". Mit Ronzheimer (oder anderen Journalisten) mag sie nicht sprechen. "Sie will, so gut es geht, ihr normales Leben behalten". Auftritte mit Kurz sind selten.

Kurz macht Karriere. Er beginn ein Jus-Studium, jobbt als Tennislehrer und Kellner. In der Jungen ÖVP fällt er schnell auf - nicht nur positiv. "Wir haben damals schon ein bisschen über ihn gelästert, dass er jedem Klischee entspricht", erzählt ein früherer Parteifreund. "Wenn man sich heute seinen Weg anschaut, dann sieht es so aus, als habe er die Karriere im Detail geplant und wusste immer was er will. Mir kam es so vor, dass es ihm vor allem darum ging, wie er am schnellsten weiterkommt". Sebastian Kurz bestreitet das. "Ich glaube, das sind einfach Vorurteile".

Nackter Wahnsinn. Kurz macht Radau. Seine Junge ÖVP fordert eine U-Bahn rund um die Uhr, wirbt dafür mit zwei fast nackten Models und dem Spruch: "24 h Verkehr am Wochenende". Die Empörung kommt schnell, die U-Bahn später. Ebenso das "Geilomobil", ein Jeep, auf dem Kurz in lasziver Pose fläzt. Seine (noch junge) Karriere gerät ins Schleudern. "Peinlich", nennt ihn Strache 2010.

Mama rät ab. "Ende April 2011 erreicht ihn am späten Anruf des neuen ÖVP-Vorsitzenden Michael Spindelegger. Er soll sofort ins Büro des damaligen Außenministers kommen". Spindelegger will, dass er Integrations-Staatssekretär wird. "Kurz ist kaum ansprechbar, bleich, so überrascht ist er über das Angebot". Freunde raten ab. Er ruft seine Eltern an, seine Mutter ist am Apparat. "Ich habe ihm gesagt: Nein, das machst du nicht, du machst dein Studium fertig". Kurz zögert, sagt dann zu.

Die Schlagzeilen in den nächsten Wochen und Monaten sind brutal ("Verarschung"). Elisabeth Kurz schneidet die Berichte aus. "Ihr kommen die Tränen ... Ich war daheim und mir war nur übel. Ich bin immer im Kreis gegangen, Tag und Nacht. Es war so furchtbar, das war wirklich für mich die schlimmste Zeit". Kurz selbst wird auf der Straßen angepöbelt. Er steckt es weg. Nach einem halben Jahr wendet sich das Blatt.

Bubi als Außenminister. 2013, nach der Wahl, will ihn VP-Chef Spindelegger als Außenminister, ein vermeintlich einfacher Job, von Ukrainekrise, Terror, Flüchtlingen noch keine Spur. Kurz ist 27, er stellt Forderungen (er will die Integrationsagenden dazu) und setzt sich durch. Viele in der ÖVP toben, die Welt staunt. Im Ministerium beginnen hinter seinem Rücken die Lästereien. "Was wird wohl der erste ausländische Minister sagen, wenn dieser Bubi ihn besuchen kommt", witzeln die Diplomaten.

Tagwache um 5.30 Uhr. Kurz macht einfach weiter, lebt weiterhin in Meidling. "Wenn er von irgendwo zu spät zurückkommt, fährt er noch an einer Tankstelle vorbei und wärmt sich eine Tiefkühlpizza auf. Ich denke mir da manchmal auch: Ein bisschen seltsam ist das schon", sagt sein Vater.

"Kurz lernt im Außenministerium schnell, er arbeitet viel, steht um 5.30 Uhr auf, geht nie vor Mitternacht ins Bett. In den Bars und Diskotheken von Wien wird er nur noch selten gesehen"... "Kurz glaubt bald, dass er auch Kanzler kann".

"Hässliche Bilder". Ukraine-Krise, Iran-Abkommen, Flüchtlinge, Kurz bewährt sich, stellt sich gegen Deutschland, Merkel, das Schließen der Balkanroute wird sein Mantra, die "hässlichen Bilder" in Idomeni nimmt er in Kauf. Der Spiegel schreibt: "Er macht das kleine Österreich ziemlich groß".

"Nie FPÖ gewählt". Kurz wird ÖVP-Chef, gewinnt die Wahl, schließt eine Koalition mit Strache. "Kurz selbst hatte nie eine persönliche Nähe zur FPÖ ... Niemand von Kurz? Freunden war in der FPÖ. Für jemanden wie ihn wäre es immer undenkbar gewesen, mit einer Partei wie dieser zu sympathisieren. Die radikale Sprache von Haider und später Strache hat ihn als Jugendlicher abgeschreckt, die teilweise extrem rechten Strömungen angewidert ... So ist Sebastian Kurz auch erzogen worden, seine Eltern haben nie FPÖ gewählt". "Ich war noch nie ein FPÖ-Freund", sagt sein Vater. "Natürlich macht das Bauchschmerzen", die Mutter.

Fazit: Lohnt sich das Lesen? Sicher, mit zwei Einschränkungen. Wer Kurz etwas kennt, erfährt wenig Neues. Und: Wer (und wie) Kurz nun genau ist, erschließt sich (wohl auch dem Autor) nicht. Er bilanziert gegen Ende: "Das Geheimnis Kurz .... ist auch, dass die Wähler immer noch nicht genau wissen, mit wem sie es da eigentlich zu tun haben".



Zum Buch "Sebastian Kurz - Die Biografie" von Paul Ronzheimer